Beginn der englischen Premier League:Kaufrausch und Olympischer Geist

Debatten um sportlichen Anstand und die Lehren aus den Olympischen Spielen, mehr Geld vom Fernsehen, 313 Millionen Euro für neue Spieler: Englands Liga ist mit einigen offenen Fragen in die Saison gestartet. Nicht Lärm, sondern kollektive Sorge begleitet den Auftakt der neuen Spielzeit. Viele fragen sich: Muss es schon wieder Fußball sein?

Raphael Honigstein, London

Das international vertriebene Premier-League-Highlight-Programm ist nach dem Schallwort "Roarrr" benannt, der landestypischen Mischung aus Kampf- und Brunftschrei in den Stadien. Diese Woche musste man jedoch ganz leise sein, um die Rückkehr des Fußballs zu vernehmen. Nicht Lärm, ein kollektives Seufzen begleitet den Auftakt der neuen Saison: Muss es schon wieder sein?

Arsenal vs Sunderland

Neu in London: Lukas Podolski verbrachte beim 0:0 gegen Sunderland ein enttäuschendes Debüt.

(Foto: dpa)

Englands Fußball ist diesen Sommer PR-technisch in die Defensive geraten. Verantwortlich dafür war weniger das vorhersehbare Viertelfinal-Aus der Nationalelf bei der EM als der Rassismus-Strafprozess gegen Auswahlverteidiger John Terry im Juli. Richter und Publikum hörten zwei Wochen lang den unappetitlichen, kindischen Beleidigungen zu, die auf englischen Plätzen ausgetauscht werden.

Terry wurde am Ende frei gesprochen - und der Berufsstand schuldig. Zu krass erschien zuletzt der Gegensatz zwischen den überbezahlten, undankbaren Flegeln und dem Hass auf den Rängen einerseits - sowie den sympathischen Olympia-Athleten und der Party-Atmosphäre in Stratford andererseits.

Noch während der poppigen Abschlussfeier im Osten der Hauptstadt forderte Fußball-Verbandschef David Bernstein seine Profis per Pressemitteilung auf, sich vom olympischen Geist inspirieren zu lassen. "Die Spieler müssen sich ein Beispiel an diesen Spielen nehmen", sagte der 69-Jährige, "mit den Privilegien kommt auch die Verantwortung, sich vorbildlich zu verhalten." Bernstein weiß aber auch, dass dieser Wunsch ein Wunsch bleiben wird.

Sein Geschäft lebt nicht zuletzt davon, dass es die niedrigsten Instinkte bedient. Fußball ist Eskapismus, die Gelegenheit für alle Beteiligten, jene engstirnigen Aggressionen auszuleben, die in der britischen Leitkultur geächtet sind. Das jüngste unschöne Kapitel: Am Freitag verhängte der Verband eine Geldstrafe von umgerechnet 57.000 Euro gegen Rio Ferdinand, weil der Manchester-United-Profi den dunkelhäutigen Ashley Cole (Chelsea) via Twitter als "Schokoladen-Eis" bezeichnet hatte.

Sensible Gemüter sollten am Samstag also lieber nicht genau zuhören, was die Fans des FC Arsenal zum Auftakt gegen Sunderland über ihren bisherigen Kapitän Robin van Persie singen werden. Der Niederländer, in der Vorsaison Stürmer des Jahres, hat sich für gut 30 Millionen Euro zu Manchester United verabschiedet. Zuvor hatte sich der 29-Jährige geweigert, seinen im Juni 2013 auslaufenden Vertrag in London zu verlängern.

"Es ist traurig und tut weh, aber wir hatten keine andere Wahl", sagte Arsenal-Trainer Arsène Wenger, für den die Trennung aber nicht überraschend kam. In Olivier Giroud (Montpellier), Santi Cazorla (Malaga) und Lukas Podolski (Köln) hat der Elsässer frühzeitig Ersatz für die Offensive verpflichtet.

313 Millionen für neue Spieler

Van Persie ist seit der Gründung der Premier League vor 20 Jahren der erste Arsenal-Spieler, der ins Old Trafford wechselt, auch dank dieses symbolischen Coups strahlte United-Coach Alex Ferguson auf dem Präsentationsfoto neben seinem Einkauf wie ein Geburtstagskind auf der Vorschulparty.

Die Offensivreihe Wayne Rooney/van Persie/Shinji Kagawa (bisher Dortmund) lässt die United-Fans vom 20. Ligatitel träumen, und auch bei den Finanzen sieht es nach einem erfolgreichen Börsengang in New York wieder besser aus. Der Verkauf von zehn Prozent der Anteile spülte 189 Millionen Euro in die Kassen beziehungsweise in die Taschen der amerikanischen Eigentümer, die immerhin ein Drittel für die Reduzierung des Schuldenbergs auf 440 Millionen Euro verwendeten.

Meister Manchester City, das von der Herrscherfamilie von Abu Dhabi geführt wird, muss noch auf die nächsten Zukäufe warten. Trainer Roberto Mancini ist ein Gefangener früherer Sünden: Der Italiener darf erst Geld ausgeben, wenn der Scheichverein einen der unzähligen überschüssigen Bestverdiener (Edin Dzeko, Roque Santa Cruz, Emmanuel Adebayor) los wird. City bleibt aber auch ohne Verstärkungen Favorit auf den Titel vor United. Hinter den Lokalrivalen wird es sehr spannend: Nicht nur Arsenal, sondern die gesamte Konkurrenz stellt sich völlig neu auf.

Chelsea zum Beispiel soll auf Geheiß von Besitzer Roman Abramowitsch nicht nur Champions-League-Sieger sein, sondern nun auch dementsprechend glänzen. Für rund 75 Millionen Euro wurden Eden Hazard (Lille), Oscar (Porto Allegre) und Marko Marin (Werder Bremen) gekauft, die das Spiel der Blauen jünger, flacher und schöner machen sollen.

Barcelona ist ebenfalls das erklärte Vorbild des neuen Liverpool-Trainers Brendan Rogers, der mit Angreifer Fabio Borini (AS Rom, 13 Millionen Euro) und Talent Joe Allen (Swansea, 20 Millionen) aufgerüstet hat. Bei Tottenham wurde der portugiesische Trainer André Villas-Boas beauftragt, die Moderne einzuläuten - wahrscheinlich aber ohne Spielmacher Luka Modric, den es zu Real Madrid zieht.

Bis Freitag hatte die Elite-Liga 313 Millionen Euro in neue Spieler investiert. Nicht einmal die Wirtschaftskrise kann dem Boom Einhalt gewähren. Der im Juni abgeschlossene Fernsehvertrag steigert das derzeitige Einkommen ab 2013 um unglaubliche 71 Prozent. Die Premier League wird zukünftig 1,27 Milliarden Euro jährlich einnehmen, dazu kommen knapp 600 Millionen Euro aus den Auslandsverträgen.

Diese irren Zahlen belegen, dass sich Bernstein und die Liga trotz der aktuellen Sorgen um Anstand und Moral keine grundsätzliche Sorgen um ihr Produkt machen müssen. Die sportliche Qualität und die Hochglanz-Kontroversen des Spektakels werden Olympia schon bald wieder vergessen und England leicht verwundert zurück lassen. Darüber, dass man sich in einem zweiwöchigen Sommertraum tatsächlich für Siebenkämpferinnen und Radfahrer die Seele aus dem Leib geschrien hat.

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