Bayern-Verteidiger Jérôme Boateng:Endlich innen

Nach Daniel Van Buytens Verletzung rückt Jérôme Boateng auf seine Lieblingsposition in der Innenverteidigung. Diese Rochade könnte eine Unwucht im Bayern-Spiel beenden - das wäre vor allem gut für die Vordermänner Thomas Müller und Arjen Robben.

Christof Kneer

Es kann in dieser Branche ein Wettbewerbsvorteil sein, wenn man Kevin-Prince Boateng zum Halbbruder hat. Jérôme Boateng ist jedenfalls abgehärtet, ihn kann nichts mehr erschrecken. In der Disziplin "Beantwortung unangenehmer Fragen" hat er es inzwischen zu beachtlicher Meisterschaft gebracht.

Al-Ahly Cairo v Bayern Muenchen - International Friendly

Darf nach Daniel Van Buytens Verletzung in der Innenverteidigung aushelfen: Jérôme Boateng.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Er wurde zum Beispiel schon gefragt, warum sein Halbbruder dem Berufskollegen Ballack so in die Beine sprang, dass der die WM 2010 verpasste. Er musste sagen, ob er noch Kontakt zu ihm hat, ob er ihn noch lieb hat, ob er ihm verzeiht. Und dann wollten Menschen auch noch wissen, ob er ihn im direkten WM-Duell gegen Ghana rachehalber umhauen würde.

Kann einen da eine Frage nach Franz Beckenbauer schocken?

"Ich glaube nicht, dass man nach einem einzigen Spiel endgültig urteilen kann", sagte Jérôme Boateng am Dienstag nach dem Training in einem Zustand gelangweilter Lässigkeit. Nach dem 1:3 in Mönchengladbach hatte Beckenbauer die rechte Seite des FC Bayern als Achse des Bösen ausgemacht. "Boateng und Robben passen nicht zusammen", grantelte er auf Sky, "der Boateng schießt den Ball immer auf die andere Seite, dann ist der Robben unzufrieden, weil er jeden Ball haben will." Boateng hat artig eingeräumt, dass das Zusammenspiel "natürlich nicht gut ausgesehen" habe, aber man müsse "deshalb nicht alles in Frage stellen". Man werde es nächstes Mal besser machen, "wenn's dazu kommt".

Es ist dieser kleine Nebensatz, der Boateng so entspannt sein lässt. Er weiß ja, dass es erstmal nicht mehr dazu kommen wird. Nach Daniel Van Buytens Mittelfußbruch ist nun jener Platz in der bayerischen Zentralverteidigung frei geworden, auf den Boateng von Anfang an spekuliert hat.

Er hat die Arbeitsstelle bei Manchester City vorigen Sommer ja vor allem deshalb geräumt, um nicht mehr Rechtsverteidiger spielen zu müssen, und München war als Alternative auch deshalb verlockend, weil die Bayern flankierend den Rechtsverteidiger Rafinha erwarben. Der Rest war Aufstellungs-Arithmetik für Anfänger. Rafinha würde also rechts spielen. Und Boateng innen.

Man muss nicht mal Franz Beckenbauer sein, um jene Unwucht zu erkennen, die das Bayern-Spiel in Gladbach so holpern ließ. In einer Art doppeltem Misstrauensvotum hat Trainer Jupp Heynckes seine Abwehrspieler Boateng und Rafinha zuletzt ja häufig in Rollen besetzt, die nicht ihre liebsten sind.

Selbstbewusster Innenverteidiger

Der gelernte Innenverteidiger Boateng bemühte sich dann tapfer, rechts hinten Stabilität auszustrahlen, der gelernte Rechtsverteidiger Rafinha versuchte, sich auf der Bank seinen Verdruss nicht anmerken zu lassen. Rechts hinten, das klingt nach Nebensache, nach Randproblem, aber die Position ist groß genug, um das ganze Spiel beeinflussen zu können.

Das Gladbach-Spiel hat den vorläufigen Beweis erbracht, dass vom rechten Abwehrflügel eine Schieflage ausgeht, die das Bayern-Spiel leicht entzifferbar machen. Rechts hinten fehlen Sicherheit und Automatismen, wenn mal der fachfremde Boateng, mal der verunsicherte Rafinha auflaufen. Darunter leiden die Vordermänner Müller oder Robben, weil sie sich nie darauf verlassen können, dass ihr Hintermann den Raum nutzt, den sie öffnen.

Thomas Müller ist ein loyaler Bursche, er würde nie öffentlich granteln oder gar franzln, aber ihm fällt schon auf, wie linkslastig das Spiel der Bayern geworden ist. Links spielen normalerweise Philipp Lahm und Franck Ribéry, das ist eingespielt und funktioniert; wenn Ribéry nach innen prescht, wieselt Lahm die Flanke hinauf. Rechts hat der Gegner meist nicht mehr zu tun, als Robben oder Müller die Lust am Spiel zu nehmen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es Bayerns nächster Gegner mit Beckenbauers Achse des Bösen zu tun bekommt, ist "nicht so groß", wie Boateng mit einem Schmunzeln anmerkt. "Ich denke, dass ich gegen Wolfsburg innen spiele", sagt er. Van Buytens Verletzung hat die Defensive personell ausgedünnt, bietet nun aber die Chance, mehrere Wochen lang die ursprünglich geplante Symmetrie zu erproben. Der Spezialist Rafinha spielt rechts. Der Spezialist Boateng innen.

Immerhin können die vom Rückrunden-Auftakt ernüchterten Bayern darauf vertrauen, dass sie über einen selbstbewussten Innenverteidiger verfügen. "Ich muss mich nicht beweisen", sagt Boateng, "ich habe innen schon viele gute Spiele gemacht."

Die Aussicht auf die Lieblingsposition ermuntert ihn sogar zu dem vereinspolitischen Hinweis, dass man wegen Van Buytens Verletzung "keinen Alarm machen" müsse. "Wir haben immer noch genug Qualität für die Abwehr. Ich glaube nicht, dass wir noch neue Abwehrspieler brauchen." Breno sei "auch noch da", sagt Boateng, auch die Mittelfeldspieler Luiz Gustavo und Anatoli Timoschtschuk wären im Notfall in der Abwehrzentrale zu verwenden.

Lieber gäbe der Ukrainer aber weiterhin den Mittelfeld-Partner von Bastian Schweinsteiger, der am Dienstag das Training abbrechen musste, wegen "eines Ziehens in der gereizten Kniesehne", wie es bei den Bayern heißt. Er soll aber spielen können am Samstag, seine Sehne ist offenbar weniger gereizt als Franz Beckenbauer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: