Bayern-Stürmer Thomas Müller:Anarchische Vollendung des Bazi-Fußballers

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Mit Krampf ins Tor: Thomas Müller nach seinem zweiten Tor gegen den FC Barcelona. (Foto: AFP)

Thomas Müller entspricht mit seinen schlaksigen Beinen nicht dem Klischee eines Super-Technikers wie Lionel Messi. Und doch war der Münchner gegen Barcelona der beste Mann auf dem Platz und an allen Toren beteiligt. Seine Fähigkeiten kann man nicht mal an der besten Fußballakademie lernen.

Von Thomas Hummel

Wie soll Thomas Müller einen Krampf kriegen? Dazu braucht es ja Muskeln, die sich verkrampfen können, und wer Thomas Müller so anschaut, wie er in kurzer Hose über den Rasen läuft, der kann da wenig entdecken. Mit so dünnen Haxen hätte man früher einem Mann in Oberbayern die Lederhose verweigert, weil die Mutter Angst hätte haben müssen, dass der arme Bub ausgelacht werde mit solch windigen Wadln.

Thomas Müller hätte sich von solchen Lachern freilich nicht kleinmachen lassen. Im Gegenteil: Er hätte es den "gscherdn Ruam" (gemeinen Rüben) gezeigt und sich ordentlich revanchiert. Denn Thomas Müller hasst Verlieren, er hasst es ausgelacht zu werden. Und er gibt nie auf.

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Als er in den zehn Minuten vor Schluss im Halbfinal-Hinspiel gegen den FC Barcelona tatsächlich einen Muskelkrampf erlitt, humpelte der Profi des FC Bayern München ein wenig, verzerrte das Gesicht und deutete an, er wolle bitteschön ausgewechselt werden. Niemand nahm ihm das nach seinem Einsatz und seiner Leistung zuvor übel, auch kein einziger Spanier hätte sich erlaubt, deshalb zu grinsen. Was dann geschah, schilderte Müller später so:

"Ich habe angezeigt, dass ich einen Schlag bekommen habe und muskulär nicht mehr ganz so gut drauf war. Dass ich raus muss. Dann hab ich gesehen, wir sind noch in Ballbesitz, dann musste ich mich wieder einordnen, damit ich nicht im Abseits stehe. Und dann sehe ich, wie der Angriff läuft, und wenn man Stürmerblut hat, dann weiß man, wo man hingehen muss und dann war's so und das war natürlich ein traumhafter Moment."

Ja, dann war's so, dass Müller noch eben das 4:0 schoss, mit einem Ausfallschritt bugsierte er eine Hereingabe von David Alaba über die Linie. Es war das famose Finale einer wieder mal außergewöhnlichen Leistung des 23-jährigen Offensivspielers.

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Müller hat nicht so feine Füße wie Mario Götze, Marco Reus und Mesut Özil, seine Konkurrenten in der Nationalmannschaft. Dennoch ist er praktisch unersetzlich, muss sich auch vor Bayern-Neuzugang Götze nicht wirklich fürchten. Denn Müller bringt seine Stärken ein, und über die verfügt sonst niemand in Deutschland. Eigentlich überhaupt niemand in der Welt des Fußballs. So jemand macht sich unersetzlich.

Er ist die anarchische Vollendung des Bazi-Fußballers, Schmerz für alle Abwehrreihen, mit Laufwegen, die man so sicher nur am Südufer des Ammersees lernen kann mit Blick auf die Wildheit der Berge. Diesen Optimismus, mit dem er jeden Angriff angeht - gepaart mit dem Opportunismus des Torjägers - kann man schlecht lernen, nicht mal in der besten Fußballakademie der Welt. Wie oft haben die Verteidiger des FC Barcelona geglaubt, nun hätten sie ihm die Kugel abgenommen, oder ihn unter Kontrolle. Und dann klaute er ihnen doch noch den Ball oder tauchte plötzlich am anderen Eck des Strafraums auf.

So lief Thomas Müller beim 1:0 genau dorthin, wo Dante hinköpfeln würde - er selbst verwandelte. Beim 2:0 übersprang er am hinteren Pfosten seinen Gegenspieler und servierte Mario Gomez den Ball. Das 4:0 gehört schon zur Müller-Legende und vor dem 3:0 verwandelte er sich in einen Basketball-Center, der für seinen Mitspieler den Gegner wegblockt. Eigentlich ein Foul, doch der Schiedsrichter ließ es durchgehen. Für Müller natürlich nur ein Ausdruck von Witz und Bauernschläue, denn Hauptsache, der Ball ist drin:

"Das war internationale Härte, ich denke, das muss man nicht pfeifen. Wenn ich schon mal eine clevere Aktion im Spiel habe, dann kann man das durchaus laufen lassen."

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Nach der Partie stand er merklich erschöpft vor Kameras und Mikrofonen, nachdem er dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge zufolge "gerade seine zwölf Krämpfe in Eiswasser" gekühlt hatte. Er redet bekanntlich gerne und trägt bei solchen Gelegenheiten immer sein gesundes Selbstvertrauen nach außen. Wenn einer seiner Meinung nach dumm fragt, bekommt er eine dumme Antwort.

Ob er sich ein 4:0 vor dem Spiel erträumt habe? "Ich bin kein Träumer."

Ob und wie er sich über seine zwei Tore freut? "Überhaupt nicht."

Nicht einmal ein bisschen genießen? "Ich fahre jetzt nach Hause, werde eine Behandlung beginnen wegen des Schlages, den ich abbekommen habe. Morgen fahre ich zum Training, lasse mich ein bisschen feiern (grinst) und dann geht's weiter Richtung Samstag."

Ob er denn Stadionsprecher was für ihn wäre, nachdem er am Ende die Leute zum Anfeuern animiert hatte? "Schaumermal was nach der Karriere ist, aber jetzt spiele ich noch ein bisserl."

So wie er redet, so spielt er auch: derb-charmant und immer darauf bedacht, am Ende als Gewinner aus der Sache rauszukommen. Damit ist er die ideale Besetzung im Angriff des FC Bayern.

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