Bayern-Spieler Thomas Müller:"Dann schießt Du ein Tor und kannst gleich liegen bleiben"

Thomas Müller bereitet beim Sieg des FC Bayern einen Treffer vor und trifft dann selbst: Er nutzt die Partie gegen den VfB Stuttgart zur Selbstvermarktung und Therapie - der 22-Jährige befindet sich auf dem Sprung zum zweiten Lebenszyklus eines Fußballers. Nicht wenige Fußballer scheitern beim Übergang in die nächste Phase.

Jürgen Schmieder, München

Nach seinem Treffer sank Thomas Müller auf seine Knie und riss die Hände nach oben. Er sah ein wenig aus wie Gerd Müller nach dem WM-Finale 1974, er sah aber auch ein wenig aus wie Thomas Müller beim WM-Viertelfinale 2010 gegen England. Beim sommerlich lockeren Vergleich mit dem VfB Stuttgart ging es für Müller und den FC Bayern weder um die Weltmeisterschaft, es ging ja noch nicht einmal mehr um die Meisterschaft in der Bundesliga - und es war nur der zweite Treffer kurz vor Ende des Spiels.

FC Bayern München - VfB Stuttgart

Jubel über das 2:0 durch Müller: Bayern-Spieler Thomas Müller (l-r), Ivica Olic und Arjen Robben beim Spiel gegen den VfB Stuttgart in der Münchner Allianz Arena.

(Foto: dpa)

Der Jubel von Müller war ein überaus seltener Einblick in die Gefühlswelt des Offensivspielers, der gewöhnlich mit überschäumendem Lob genauso gleichmütig umgeht wie mit harscher Kritik. Der auf die Frage eines Journalisten nach dem Spiel, wie man mit dem Erfolg gegen Real Madrid und dem bevorstehenden Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea umzugehen habe, trocken sagte: "Keine Zeitungen lesen!"

Müller freute sich diebisch über seinen Treffer - und spielte den Jubel dann mit Routine und Humor herunter: "Man kann ja eh seit der 60. Minute nicht mehr, wenn einem da die Sonne drauf brennt. Beim letzten Konter läufst Du dann noch mal vor mit großen Schritten und merkst, dass es zäh ist. Dann schießt Du noch ein Tor, dann ist Abpfiff, dann kannst Du gleich liegen bleiben. War `ne schöne Sache, deshalb freut es einen halt."

Er hatte zuvor auch noch ein Tor vorbereitet, als er nach groteskem Defensivverhalten der Stuttgarter nicht selbst abschloss, sondern Mario Gomez zum einfachsten seiner nun 26 Saisontreffer verhalf. "Ich hätte auch selbst schießen können", sagte Müller nach dem Spiel, "aber vom Spielertypus bin ich jetzt schon so einer, der dann sagt: Mach' Du ihn!"

Auf dem Sprung zum zweiten Lebenszyklus eines Fußballers

Es war ein also ein großartiger Nachmittag für ihn gewesen - und Müller ahnte wohl, dass er genau so einen Nachmittag gebraucht hatte. Dem letzten Spiel in der Bundesliga beim 1. FC Köln folgen die beiden Endspiele im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund (Müller: "Wir wollen ja nicht drei Mal in einer Saison gegen die verlieren.") und in der Champions League gegen den FC Chelsea. Müller will bei beiden Partien dabei sein, er will sie prägen.

Die 2012er Version von Thomas Müller hat ja nicht mehr viel gemein mit dem 2010er Modell. Er spielt eine für seine Verhältnisse durchwachsene Saison, nach zuvor 13 und zwölf Treffern in der Bundesliga kommt er derzeit auf gerade einmal fünf - zuletzt wurde ihm von Franz Beckenbauer die Unbekümmertheit abgesprochen, Uli Hoeneß rechtfertigte den kleinen Knick in der Leistung mit den zahlreichen Einsätzen unter dem ehemaligen Trainer Louis van Gaal.

Tatsächlich befindet sich der 22 Jahre alte Müller auf dem Sprung zum zweiten Lebenszyklus eines Fußballers, er wird vom Talent zum etablierten Spieler. Irgendwann einmal wird er Leitwolf sein und danach die Post-Leitwolf-Phase bis zum Ende der Karriereende bestreiten. Nicht wenige Fußballer scheitern beim Übergang in die nächste Phase - umso wichtiger ist es, einen Trainer bei sich zu wissen, der einem dabei begleitet.

Der perfekte Partner

Jupp Heynckes scheint dafür der perfekte Partner zu sein, der Trainer des FC Bayern präsentierte sich in den vergangenen Monaten als herausragender Pädagoge - wie auch gegen Stuttgart: Er gewährte den Spielern, die in Madrid 120 Minuten lang auf dem Feld gestanden waren, eine ausgedehnte Pause - nur die im Finale gesperrten Holger Badstuber und Luiz Gustavo mussten gegen Stuttgart 90 Minuten lang über den Platz wetzen.

Gomez durfte seine Torquote verbessern, Anatolij Timoschtschuk durfte sich auf der Position des Innenverteidigers einspielen, weil er dort wohl auch gegen den FC Chelsea agieren wird - und Müller durfte sich erst auf der rechten Außenbahn austoben und in der zweiten Halbzeit noch Selbstvertrauen auf der zentralen Position im Angriff holen.

Heynckes weiß: Er braucht im Champions-League-Finale einen selbstbewussten Thomas Müller, wenn er Toni Kross neben Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld aufbieten muss und Müller wohl in der Offensive beginnen wird. Der verdrängt den Gedanken nicht nur durch die Verweigerung der Zeitungslektüre, sondern verbietet sich auch eine Vorab-Feier: "Viele tun ja nun schon so, als hätten wir dieses Spiel schon gewonnen - doch es gibt noch eine Partie zu spielen. Ich will nicht in fünf Jahren dastehen und sagen: Ja super, wir waren im Finale in München und haben verloren!"

Müller ahnt, dass er nach den schwierigen vergangenen Wochen, in denen er oftmals als Reservist hatte agieren müssen, nun wieder enorm wichtig wird für den Verein: "Dass es nicht schön ist, wenn man auf der Bank sitzt, das dürfte jedem bewusst sein. Aber in so einer wichtigen Situation muss man die Entscheidung der Trainer akzeptieren und für das Team arbeiten."

Er hat hervorragend gearbeitet an diesem Nachmittag, deshalb durfte er selbstbewusst sagen: "Ich werde meine Chance bekommen - und dann werde ich da sein." Das ist durchaus als Drohung an Dortmund und Chelsea zu verstehen, vielleicht sogar schon an alle Teilnehmer an der bevorstehenden Europameisterschaft: Thomas Müller will auf die Knie sinken und seine Hände nach oben reißen.

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