Bayern-Sieg in Stuttgart:Scherenschlag in der Nachspielzeit

VfB Stuttgart - FC Bayern München

Akrobatisch in der Nachspielzeit: Thiago trifft zum Sieg des FC Bayern in Stuttgart

(Foto: dpa)

Glückliches Ende im Nachholspiel: Ein akrobatischer Treffer des Spaniers Thiago sichert den 2:1-Sieg des FC Bayern in Stuttgart. Obwohl der VfB die Münchner in einem imposanten Kampfspiel fordert, hat der Tabellenführer jetzt schon 13 Punkte Vorsprung in der Liga.

Ursprünglich sollte dieses Duell kurz vor Weihnachten stattfinden, doch kurz vor Heiligabend hatten die Bayern Besseres vor. Während die Bundesliga den 17. Spieltag vollzog, mit erstaunlichen Niederlagen für Dortmunder (1:2 gegen Hertha BSC) und Leverkusener (0:1 in Bremen), feierten die Münchner im milden Wüstenklima von Marokko. Dort ließen sie sich auch offiziell zur besten Mannschaft des Jahres 2013 auf diesem Planeten ausrufen, dokumentiert durch ein souverän herausgespieltes 2:0 im Finale der Klub-Weltmeisterschaft gegen das Überraschungsteam von Raja Casablanca.

Im Jahr 2013 hatten die Münchner in der Liga nicht einmal verloren. Schon 42 Spiele ohne Niederlage in Serie waren bis zum Anpfiff des Nachholspiels am gestrigen Mittwoch beim VfB Stuttgart gezählt. Doch in diesem Duell bestand bis zur 76. Minute tatsächlich die Gefahr, dass die Serie zu Ende geht, dass die Münchner das Verlierer-Gefühl mal wieder kennenlernen. Der VfB spielte unbeeindruckt, mutig, frech, er hatte die besseren Chancen, er lag durch den stark abseitsverdächtigen Treffer von Vedad Ibisevic 1:0 (29.) vorne.

Dann aber traf einer, der etwas in Vergessenheit geraten war, was seinen imposant sprießenden Vollbart erklären könnte: Claudio Pizarro wurde eingewechselt, er traf mit einer Schulter-Kopf-Berührung zum 1:1. Für den ewig jungen Goalgetter Pizarro, 34, war es das zweite Tor im erst fünften Saison-Einsatz.

Auf diesen Joker ist Verlass. Sein Tor schien schon das Finale zu sein, das Ende eines unterhaltsamen, kämpferisch und lustvoll geführten Süd-Derbys. Ein Irrtum: Jener Scherenschlag, den Thiago in der Nachspielzeit zum 2:1 ins Netz setzte, dürfte schon jetzt, im Januar, fürs Finale zum "Tor des Jahres 2014" gesetzt sein. Auch wenn er weniger mit dem Fuß als mit dem Schienbein vollzogen wurde. Wer gedacht hatte, die Liga könne vielleicht durch dieses Nachholspiel noch einmal spannend werden, der sah sich bei Abpfiff zumindest durch das Resultat getäuscht.

25 Punkte lagen die Münchner zum Ende der vorigen Saison vor Dortmund, im Augenblick sind es, nach 18 von 34 Runden, bereits 13 Punkte auf Leverkusen. So nebenbei haben die Münchner einen weiteren imposanten Rekord ausgebaut: Sie haben jetzt in 55 Bundesliga-Spielen in Serie jedes Mal getroffen. Bald wird keine Bestmarke mehr zu finden sein, die der FC Bayern nicht gebrochen hat.

Mit in die Pause hatten die Münchner jedoch einen Rückstand, ein erstaunliches 0:1 genommen. Zudem eine interessante Regel-Debatte. Denn zwei Szenen hatten die Dramaturgie diktiert, die exemplarisch waren für all die Regel-Debatten, die diese Saison prägen. Ein Streitfall übers Handspiel, der zu Gunsten der Bayern entschieden wurde; und ein Fall von Abseits, der zu ihrem Nachteil interpretiert worden war.

Stuttgart agiert flink und flexibel

12. Minute, das Handspiel: VfB-Stürmer Harnik flankt auf VfB-Stürmer Werner, dessen Kopfball an den Arm von Bayern-Verteidiger Rafinha prallt. Früher wäre dies so entschieden worden: Keine Absicht, alles okay! Im Sommer aber wurde das Regelwerk überarbeitet und damit komplizierter. Schiedsrichter Gräfe hätte nach der neuen Interpretation entscheiden können, entscheiden müssen: Keine aktive Bewegung, aber Rafinha vergrößerte, wie es im Schiedsrichter-Deutsch heißt, "seine Körperfläche" - also Elfmeter. Solche Elfmeter wurden in vergleichbaren Situationen schon häufiger gepfiffen.

29. Minute, die Abseitssituation. Die ganz hohe Kunst der Regelkunde. Wieder setzt Timo Werner den Impuls. Wieder hat ihn Rechtsverteidiger Rafinha nicht unter Kontrolle. Werner zieht zur Mitte, schießt, ein Augenblick, in dem sich Abdellaoue und Ibisevic abseits-verdächtig am Strafraumrand rumtreiben. Das Spiel aber läuft weiter, Ibisevic fälscht den Ball zu Abdellaoue ab, bekommt den Ball zurück und drückt ihn freistehend zum 1:0 ins Toreck. Ausgleichende (Un-)Gerechtigkeit - und wieder eine komplexe Situation fürs nächste Schiedsrichter-Seminar auf Mallorca.

Was sonst noch geschah vor der Pause? Nicht viel, die Bayern hatten den Ballbesitz, die Stuttgarter waren flexibel und flink sortiert, sie hatten offenbar das Auftaktspiel der Rückrunde studiert, den 2:0-Sieg der Bayern am Freitag in Mönchengladbach. Sie stellten kniffligere Aufgaben, besonders über außen. Werner hielt Rafinha auf der einen Seite in Bewegung, auf der anderen sorgte Harnik dafür, dass Alaba nicht fror. So fehlte den Münchnern zunächst jeder Impuls über ihre sonst so gefährlichen Flügel. Die beste Torszene bis zur Pause war folgerichtig ein Fernschuss von Thiago, den Torwart Ulreich resolut über den Balken boxte.

Auch diese Szene floss später ein in das Fazit von VfB-Trainer Thomas Schneider: "Wir haben leidenschaftlich gearbeitet gegen die Bayern, wir hätten mindestens einen Punkt verdient gehabt." Allerdings hatten sich die Bayern nach dem Wechsel mehr vorgenommen. Das signalisierte schon die Attacke von Kroos gegen Khedira (gelbe Karte), die aber Rüdiger (gelbe Karte) umgehend gegen Shaqiri konterte. Auch Dante sah gelb, Sakai ebenso, es wurde wild, es wurde turbulent, aber der VfB besaß weiterhin die besseren Chancen - dokumentiert durch Boatengs Kopfball-Rettung auf der Torlinie.

Nach einer Stunde hatte Trainer Pep Guardiola genug gesehen, er verordnete einen radikalen Programm-Wechsel, wie er selten ist im Fußball. Wie ihn sich in der Bundesliga nur die Bayern mit ihrem exklusiven Personal leisten können. Kroos und Shaqiri mussten raus, Mandzukic und Pizarro kamen. Statt keinem echten Mittelstürmer hatten die Münchner nun gleich zwei zentrale Spitzen auf dem Platz. Guardiola erkannte, dass die Überlegenheit im Ballbesitz - an diesem Abend - eher ein Dokument gehobener Langeweile und Fantasielosigkeit war. Tore mussten her.

Der Auftrag wurde befolgt. Erst lieferte Pizarro, dann Thiago. Und was sagte der Spanier? "Natürlich war das ein wunderschönes Tor von mir, aber wichtiger ist der Erfolg für die Mannschaft." Klar doch. Sein Solo beim Scherenschlag wird in keinem Rückblick auf die Saison 2013/2014 fehlen.

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