Bayern - Schalke:Kurz vor der Explosion

Hoeneß versus Lahm und ein Eklat durch Toni: In Anbetracht der unbefriedigenden sportlichen Situation verlieren beim FC Bayern die Ersten die Nerven.

Johannes Aumüller

Es ist schon ein paar Jahre her, dass die Verantwortlichen und die Spieler des FC Bayern über sich lesen mussten, der deutsche Rekordmeister sei ein FC Hollywood. Rund um das 1:1 der Münchner gegen den FC Schalke mag sich mancher Beobachter wieder an diesen Begriff erinnert haben. Denn so viel Unruhe wie an diesem Tag gab es im Klub schon lange nicht mehr, selbst nicht in den turbulentesten Klinsmann-Tagen.

Bayern - Schalke: Luca Toni nach einem Sturz. Nach dem Unentschieden flüchtete er aus dem Stadion.

Luca Toni nach einem Sturz. Nach dem Unentschieden flüchtete er aus dem Stadion.

(Foto: Foto: Getty)

Da kritisiert Abwehrspieler Philipp Lahm in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die Einkaufspolitik und fordert eine sportliche Identität - und da droht Manager Uli Hoeneß dem stellvertretenden Kapitän mit den markigen Worten "Er wird dieses Interview noch bereuen". Da werden prompt Konsequenzen gezogen: Mit einer klubinternen Rekordstrafe für Lahm reagierte der Rekordmeister schon am Tag nach dem Spiel auf die ungewöhnlich scharfe Kritik des Nationalspielers.

Kein Luxusproblem

Da riskiert der eingewechselte Arjen Robben mit einem Revanchefoul eine rote Karte und damit eine Niederlage in diesem Spiel - und ist Trainer Louis van Gaal ob des Spielverlaufs ratlos und frustriert. Da verlässt Angreifer Luca Toni nach seiner Einwechslung das Stadion, ohne das Spielende abzuwarten - und machen sowohl Hoeneß als auch van Gaal deutlich, dass dieses Verhalten Konsequenzen haben wird.

Jedoch: Der Begriff FC Hollywood ist trotz all dieser Turbulenzen nicht ganz zutreffend. Hollywood zu sein war etwas, was sich die Münchner in gewissem Sinne leisten konnten, aus einer Position der Stärke heraus, als zwar lästiges, aber durchaus auch beschmunzelbares Luxusproblem eines Luxusklubs.

Der FC Bayern des Herbstes 2009 ist aber weder in einer Position der Stärke noch im Besitz eines Luxusproblems. Der FC Bayern des Herbstes 2009 ist mitten in einer substanziellen Ergebnis- und Identitätskrise, in der angesichts von Platz acht in der Liga, dem drohenden Aus in der Champions League und den wenigen Fortschritten in der Spielanlage offenbar die Ersten die Nerven verlieren.

"Wer san mia?"

Lahms eher perspektivisch umsetzbare Anmerkungen vermischen sich mit Aussetzern wie denen von Toni und den schwachen Resultaten - und so steht der FC Bayern des Herbstes 2009 kurz vor der Explosion.

Es sind sicherlich mehrere Stellschrauben, an denen die Münchner etwas tun müssen, um die Lage zu deeskalieren. Doch eine zentrale Position hat die Frage nach ihrer sportlichen Identität: "Wer san mia?" Die selbstbewussten Siegergen-Bayern, die in letzter Minute noch das entscheidende Tor erzielen, sind nur noch selten zu sehen, wie das durchaus anständige 1:1 gegen Schalke gut illustrierte. Die kontrollierenden van-Gaal-Bayern gibt es nur in Ansätzen, die kreativen Schönspiel-Bayern höchstens, wenn Franck Ribéry und/oder Arjen Robben auflaufen. Das eigene Grundgefühl ist in den vergangenen Monaten verloren gegangen, die Konkurrenz gleichzeitig kecker geworden. Und alle Bayern-Fans fragen sich: Was ist die Lösung?

Keine inhaltliche Kritik von Hoeneß

Die Verantwortlichen schweigen derzeit dazu, Philipp Lahm war der Erste, der diesen Mangel öffentlich ansprach. Eine Spielphilosophie und ein klares System wünschte er sich, eine andere Einkaufspolitik und ein anderes Verhalten der Mittelfeldspieler.

Es war bezeichnend, dass sich nach dem Spiel keiner der Bayern-Bosse mit der inhaltlichen Kritik des Abwehrspielers auseinandersetzte, Hoeneß lediglich ein kurzes "Man kann mit uns über alles reden" anmerkte und sich ansonsten über die Form mokierte. "Es hat mich schon gestört, dass er dieses Interview an einem Tag vor so einem wichtigen Spiel gegeben hat. Er hat damit eindeutig gegen die Regeln verstoßen und Sie können sichern, dass er dieses Interview noch bedauern wird", sagte er.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Uli Hoeneß sich sicher ist, dass Lahm und Luca Toni ihr Handeln noch bereuen werden.

Eine Konsequenz ist sicher

Auch sportliche Kritik sandte er in Richtung des Nationalspielers, der sich nach der Partie nicht äußerte: "Die Meinung, dass er ein guter rechter Verteidiger ist, die hat er ziemlich exklusiv." Gemeinsam mit Trainer van Gaal, müsste man vielleicht anfügen.

Vermeintlicher Einfluss der Berater

Zudem thematisierte Hoeneß erneut den vermeintlichen Einfluss von Beratern auf die Akteure. Schon im Mai, als er seinen Kommentar zu einem Fernsehauftritt des kurz zuvor entlassenen Trainers Jürgen Klinsmann bei Günther Jauchs Stern TV abgab, moserte er, dessen Berater Roland Eitel habe "die Fragen vorher aufgeschrieben und Jauch hat sie vorgelesen. Sowas kennen wir ja."

Nun griff Hoeneß Lahms Manager Roman Grill an, der früher einmal für die Bayern arbeitete und kürzlich ein Kandidat für den Sportdirektoren-Posten beim Hamburger SV war. "Ich sehe natürlich auch die Handschrift von Roman Grill in diesem Interview, der möglicherweise gerne bei uns arbeiten würde, nachdem sie ihn ihn Hamburg nicht genommen haben. Der meint sowieso, er habe die Weisheit mit Löffeln gegessen, und deswegen meine ich, wird das Interview den beiden nicht so gut bekommen."

Von den Mitspielern wollte sich kaum jemand zum Interview äußern. Man habe es nicht gelesen, lautete die Standard-Antwort. Kapitän Mark van Bommel erklärte, dass so etwas grundsätzlich nicht gut sein, aber er nicht wisse, was Lahm genau gesagt habe und sich erst das Interview durchlesen wolle. Und Mittelfeldspieler Anatolij Timoschtschuk meinte allgemein: "Ich denke, Spieler sollten sich nicht in die Transferpolitik des Klubs einmischen. Das ist Sache der sportlichen Leitung."

In den kommenden Tagen will Hoeneß Lahm zum Gespräch bitten. Dass es eine Strafe gibt, ist nach den deutlichen Worten des Managers klar. Die Frage ist nur, welche.

Sanktionen auch für Luca Toni

Auch Luca Toni muss nach seiner frühzeitigen Stadionflucht mit einer Sanktionierung rechnen. Aber ebenso wie in der Causa Lahm wollte sich Hoeneß unmittelbar nach dem Spiel noch nicht auf die konkrete Strafe festlegen. Während selbst eigene Mitspieler wie van Bommel das Verhalten des Italieners kritisierten ("Ich finde das nicht gut. Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen. Kein Spieler ist größer als der Verein"), gab es zumindest auf Seiten des Gegners einen Spieler, der Verständnis zeigte: Schalke-Angreifer Kevin Kuranyi, der beim Länderspiel gegen Russland im Oktober 2008 eine ähnliche Reaktion gezeigt hatte.

Bis zum nächsten Bayern-Spiel vergeht nun erstmal einige Zeit, in den nächsten 14 Tage stehen zwei Länderspiele im Terminkalender. Für die Bayern eine willkommene Atempause. "Vielleicht ist es gut, zwei Wochen weg zu sein", sagt Mark van Bommel. Es kann tatsächlich sein, dass die anstehende Länderspielpause dem FC Bayern zu ein bisschen Ruhe verhilft. Es kann aber auch sein, dass sie die Aufruhr lediglich um einige Tage verschiebt.

Das nächste Pflichtspiel bestreiten die Münchner gegen Bayer Leverkusen, den Tabellenführer. Sollte der FCB diese Partie verlieren und der Rückstand in der Tabelle damit auf neun Punkte anwachsen, dürfte es endgültig zur Explosion kommen.

Bayern München - Schalke 04 1:1 (1:1) München: Butt - Lahm, van Buyten, Demichelis, Badstuber (64. Hamit Altintop) - Timoschtschuk, van Bommel, Schweinsteiger - Müller - Toni (46. Robben), Klose (75. Gomez). - Trainer: van Gaal Schalke: Neuer - Höwedes (46. Zambrano), Westermann, Bordon, Schmitz - Rafinha (70. Mineiro), Matip, Moritz - Farfan, Kuranyi, Sanchez (54. Pliatsikas). - Trainer: Magath Schiedsrichter: Florian Meyer (Burgdorf) Tore: 1:0 van Buyten (31.), 1:1 Matip (43.) Zuschauer: 69.000 (ausverkauft) Gelbe Karten: Robben, Schweinsteiger (4) - Sanchez, Kuranyi, Zambrano (5), Schmitz

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