Bayern-Niederlage:Nagelsmann verwirft seinen Plan und siegt

Bayern-Niederlage: So schlägt man die Bayern: Julian Nagelsmann hat's wieder gezeigt.

So schlägt man die Bayern: Julian Nagelsmann hat's wieder gezeigt.

(Foto: AFP)

Von Sebastian Fischer, Sinsheim

Auf einmal, rund zwanzig Minuten vor dem Ende des Spiels, feuerte Julian Nagelsmann nicht mehr seine Spieler an. Jedenfalls für einen kurzen Moment. Der Trainer der TSG Hoffenheim kehrte gerade von der Seitenlinie auf seinen Platz auf der Bank zurück, als er einen Blick auf die Zuschauer in der Arena in Hoffenheim warf. Er ruderte mit den Armen. Er rief "lauter, lauter", es war von seinen Lippen abzulesen. Es wirkte, als würde er für einen kurzen Moment reflektieren und den Menschen bedeuten wollen: Freunde, das ist übrigens ziemlich großes Fußball-Kino, was wir hier gerade darbieten.

Die TSG Hoffenheim hat am Samstagabend den FC Bayern mit 2:0 (1:0) geschlagen, dem deutschen Meister die erste Niederlage dieser noch jungen Saison zugefügt. Und es ist wohl eher kein verrückter Zufall, dass der Bayern-Bezwinger mal wieder Nagelsmann heißt, dass er nun von insgesamt drei Spielen gegen die Münchner keines verloren und zwei gewonnen hat, nach dem 1:0-Sieg in der Vorsaison. Es ist wohl eher großes Fußball-Kino.

"Alle haben schnell geschaltet, Andrej, Mark und der Balljunge"

Mittlerweile haben wahrscheinlich auch Menschen, die sich nur peripher mit der Bundesliga beschäftigen davon gehört, dass dieser 30 Jahre alte, jüngste Trainer der Liga irgendwann mal ein Kandidat für den Rekordmeister sein könnte. Vor dem Spiel jedenfalls waren so viele Kameras auf ihn gerichtet, dass man sich fragen musste, ob er in überhaupt irgendeiner Pose nicht fotografiert worden ist, sitzend, stehend, Blick in die Ferne, Hände in den Taschen. Es ging fraglos um ihn an diesem Abend. Er gilt nun mal als der wohl innovativste und talentierteste Coach der Liga.

Die Aktion allerdings, die dem Abend die entscheidende Wendung geben sollte, war jedoch so innovativ, dass sie sich nicht mal Nagelsmann hätte ausdenken können. Fußball ist ein Spiel, das auch im Jahr 2017 mit einem Ball gespielt wird. In der 27. Minute spielte Hoffenheim mit zweien.

Mats Hummels schlug den Ball in seiner eigenen, der Hälfte des FC Bayern an der Außenlinie nach vorne; weil er ihm versprungen war, erwischte er ihn erst im Seitenaus. Es war eine Situation, wie sie in einem Fußballspiel ein Dutzend Mal vorkommt und keine, aus der eine Torchance entstehen müsste. Eigentlich. Doch der Hoffenheimer Andrej Kramaric ließ sich einen zweiten Ball von einem Balljungen zuwerfen, als Hummels' Befreiungsschlag noch durch die Hoffenheimer Hälfte rollte. Kramaric warf ihn in den Lauf seines Stürmer-Kollegen Mark Uth, der seinen Verteidigern enteilte und mit dem Außenrist ins kurze Eck traf, technisch perfekt. Nagelsmann schob beim Jubeln den Unterkiefer nach vorne. "Alle haben schnell geschaltet, Andrej, Mark und der Balljunge", sagte Nagelsmann.

Die Münchner liefen aufgebracht zu Schiedsrichter Daniel Siebert, doch der winkte ab. "Vielleicht sind die Spielregeln geändert worden", sollte später Carlo Ancelotti sagen, doch das sind sie natürlich nicht. Siebert interpretierte die Szene lediglich so, dass kein Regelverstoß vorlag: Der zweite Ball im Spiel, der in Hoffenheims Hälfte rollte, beeinflusste ja nicht das Spielgeschehen. Es lag vielmehr ein Zeugnis beeindruckender Gedankenschnelligkeit vor; ein Zeugnis beeindruckenden Willens. 6:23 lautete am Ende die Torschussbilanz aus Hoffenheimer Sicht, das "größere Herz" habe den Unterschied gemacht, sagte Nagelsmann. Doch etwas komplexer war es schon. "Das Spiel war schwer", sagte Bayerns Trainer Carlo Ancelotti, "da war kein Raum".

Nagelsmanns Hände in den Hosentaschen

Die Begegnung hatte mit Innovationen jenes Trainers begonnen, dem man solche eher nicht zutraut, weil er für das Vertrauen auf das Bewährte steht. Ancelotti ließ den FC Bayern nicht etwa mit Franck Ribéry und Arjen Robben auf den Flügeln spielen, wie es vorher in jeder Zeitung gestanden hatte. Ancelotti ließ die Münchner so früh in der gegnerischen Hälfte angreifen, wie man es selten gesehen hatte zuvor, und er stellte den zuletzt so unzufriedenen Thomas Müller auf, und Kingsley Coman, die beiden tauschten hinter und neben Robert Lewandowski die Positionen, es schien zu funktionieren, schon nach sieben Minuten schlug Müller eine Flanke aus dem Halbfeld auf Lewandowski, der die Latte traf.

Nagelsmann hat einen kleinen nervösen Tick. Er zupft sich ständig sein Hemd am Rücken zurecht, und er zupfte zu Beginn der Partie sehr viel. Nagelsmann war überrascht vom System der Bayern, er verwarf seinen Plan, stellte um, von einem 5-4-1-System auf ein 5-3-2. Es war sicher auch das gewonnene Selbstbewusstsein nach dem Führungstreffer, doch hernach gelang den Hoffenheimern viel. Und den Bayern, trotz viel Ballbesitz, wenig.

Sechs Minuten waren in der zweiten Halbzeit gespielt, als wieder Mark Uth am Münchner Strafraum auftauchte; jener Uth, 26, der in Hoffenheim schon als Fehleinkauf galt, im Sommer einem Wechsel in seine Heimatstadt Köln nicht abgeneigt war - und nun schon drei Saisontore erzielt hat. Er kombinierte sich im Zusammenspiel mit Steven Zuber durch die auch in der zweiten entscheidenden Situation des Abends indisponierte Münchner Abwehr. Er traf mit einem Flachschuss aus elf Metern.

Für die Bayern kamen Robben, Ribéry und James Rodriguez, der Torschützenkönig der letzten Weltmeisterschaft. Doch das war egal. Am Ende des Abends zupfte Julian Nagelsmann nicht mehr am Hemd. Die Hände des Siegers ruhten in den Hosentaschen, als sei es Gewohnheit.

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