Bayern München:"So langsam kommen wir ins Rollen"

Mit überraschender Taktik führt Jürgen Klinsmann den FC Bayern zum 4:1 gegen mutlose Berliner und feiert den ersten Sieg.

Wenn man das in den letzten vier Jahren richtig verstanden hat, dann hat Jürgen Klinsmann den Fußball erfunden. Er hat aus Kalifornien Gummibänder und Torwartkonkurrenzkämpfe mit zum deutschen Fußball-Bund gebracht, und als er beim FC Bayern landete, hatte er ein paar Buddhas im Handgepäck. Am dritten Spieltag der neuen Saison überrascht er die Bundesliga gleich mit der nächsten Weltsensation: Im Heimspiel gegen Hertha BSC gab er eine Taktik in Auftrag, die so alt war, dass sie schon wieder neu war.

Bayern München: Jürgen Klinsmann, Trainer und auch Taktiker.

Jürgen Klinsmann, Trainer und auch Taktiker.

(Foto: Foto: Getty)

Er ließ Demichelis, Lucio und van Buyten eine Dreierkette bilden - das war recht ungewöhnlich in der Ära der allgemeinen Viererketten-Verherrlichung, in der Dreierketten als gestrig gelten. Es war eine Maßnahme, die sich wie so viele Maßnahmen von Jürgen Klinsmann vor allem am Ergebnis bemessen lässt. Klappt es, ist es mutig, frech und hat Charme. Klappt es nicht, ist es naiv und viel zu riskant. An diesem Abend war es also mutig, frech und hatte Charme: Mit 4:1 (1:0) siegte der FC Bayern gegen Hertha BSC - der erste Liga-Erfolg für den Trainer Klinsmann.

"So langsam kommen wir ins Rollen", sagte Klinsmann später entspannt. Er wirkte wie ein Trainer, der weiß, dass er an diesem Tag alles richtig gemacht hat. "Wir wollten heute mehr die Zweikämpfe suchen, das war das Manko in den ersten beiden Partien", sagte er. "Deshalb haben wir heute bewusst fünf Mann ins Mittelfeld gestellt." Einen besonderen Reiz hatte diese Partie aus ihrer Tabellensituation bezogen. Nur zwei Punkte hatten sich Klinsmanns Bayern bisher erspielt, und nachdem Schalker, Hamburger und Dortmunder am Tag zuvor bereits bei sieben Punkten angelangt waren, standen die Bayern bereits unter Druck - was Klinsmanns kühnes Taktikexperiment noch kühner machte. In der Saisonvorbereitung hatte Klinsmann den Versuch mit einer Dreierkette schon mal angekündigt, aber die Umstände hatten es bisher nicht zugelassen. Im Testspiel gegen Inter Mailand hatte er das Experiment gewagt, nach 20 Minuten aber abbrechen müssen, weil sich Demichelis verletzte.

Das Gegenteil von Hitzfeld

Wer vom Wechsel auf dem bayerischen Trainerstuhl bisher noch nichts mitbekommen hatte, der wusste spätestens an diesem Sonntag Bescheid: Ottmar Hitzfeld, Klinsmanns defensiv denkender Vorgänger, hätte niemals im laufenden Spielbetrieb eine neue Taktik ausprobiert. Klinsmann, der offensiv denkende Nachfolger, findet dagegen, dass man's ruhig mal probieren kann.

Was vor lauter Verwunderung über die Münchner Taktik fast ein wenig unterging: Auch Hertha BSC spielte mit einer Dreierkette. Auch Berlins Trainer Lucien Favre gilt ja als Innovator, wobei sich seine Dreierkette an diesem Abend eher nicht fürs Taktiklehrbuch aufdrängte. Die drei Abwehrspieler Friedrich, von Bergen und Kaka standen wahrscheinlich genau so im Raum, wie sie das im Training geübt hatten, aber leider hatten sie dabei die Münchner vergessen. Sie standen viel zu weit weg von ihren Gegenspielern - ein ebenso banaler wie folgenschwerer Fehler, der sich durch die gesamte Berliner Mannschaft zog.

"So langsam kommen wir ins Rollen"

Völlig friedlich ließen die zuletzt hochgelobten Berliner die Bayern kombinieren, sie schienen überrascht von der Münchner Taktik und den ständigen Rochaden der Mittelfeldspieler. Die Bayern wirkten sichtlich erfrischt, speziell die Innenverteidiger zeigten, dass eine Dreierkette keineswegs gestrig sein muss. Sie ließen sich immer wieder zu Vorstößen inspirieren; sie wussten ja, dass noch zwei weitere Kollegen absichern. Mit Demichelis kehrte die Stabilität zurück in Bayerns Defensive, und auch der zuletzt kritisierte van Buyten gefiel mit souveränem Stellungsspiel und klaren Pässen nach vorne.

Das 1:0 war ein Treffer, der den Spielverlauf der ersten Halbzeit trefflich wiedergab. Aus der Mitte der eigenen Hälfte entwickelte sich eine Kombination über Demichelis, Ottl, Klose und Schweinsteiger, der den Ball zu Luca Toni leitete. Mit einer geschickten Köpertäuschung übertölpelte der Italiener das Berliner Dreierkettenmitglied von Bergen, beim Abschluss hatte Toni aber Glück, dass sein Schuss eine Rasenunebenheit nutzte, um über den ausgestreckten Hertha-Keeper Drobny hinwegzuhoppeln (12.).

Auch in der zweiten Halbzeit steckte eine Menge Klinsmann. Der Bayern-Trainer gilt als Verfechter straff geführter Anfangsphasen, er will, dass seine Teams beide Halbzeiten aggressiv eröffnen. Gegen eine ausgesprochen blasse Hertha war dieses Rezept mehr als genug: Elf Minuten nach Beginn des zweiten Durchgangs stand es schon 3:0. Zunächst hatte Lahm einen selbst initiierten Vorstoß mit einem herrlichen Effetschuss ins entfernte Eck abgeschlossen (54.), zwei Minuten später verwandelte Schweinsteiger einen Strafstoß, den er sich selbst mit geschicktem Fall, nunja, organisiert hatte.

Beim nächsten Mal mit Oddo

Nun hatten die Münchner vollends leichtes Spiel und nahmen die arme Berliner Dreierkette weiter auseinander. Fürs 4:0 benötigten sie aber einen zweiten Elfmeter, den sie spontan zum Care-Paket für Klose umdefinierten (70.). Am Ende durfte sich die Bayern zu einen eindrucksvollen Sieg gratulieren lassen, der sich aber auch der Berliner Mutlosigkeit verdankte. Ein Tor gelang den Berlinern am Ende noch, Pantelic nutzte eine Fehlerkombination der Fehlerdreierkette Borowski-Ottl-van Buyten zum 1:4 (84.).

Ob die schöne, neue Taktik Bestand haben wird? Beim nächsten Spiel wird Zugang Massimo Oddo dabei sein, ein Viererketten-tauglicher Rechtsverteidiger.

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