Bayern-Jugendtrainer im Gespräch:"Dann schnappen uns die anderen die Talente weg"

Peter Wenninger ist seit 2004 Jugendtrainer beim FC Bayern, derzeit trainiert er die U-14-Auswahl. Im Interview spricht er über die Verpflichtung von 13-Jährigen, das Scouting der Münchner und den schädlichen Einfluss der Berater auf die Jugendspieler.

Thomas Hummel

SZ: Herr Wenninger, Fußball-Deutschland debattiert über die Vereinswechsel von zwei 13-Jährigen nach Hoffenheim und Wolfsburg.

Bayern-Jugendtrainer im Gespräch: Juli 2002 - hätten Sie sie erkannt? Links Piotr Trochowski, rechts Bastian Schweinsteiger. Beide spielten damals in der A-Jugend des FC Bayern.

Juli 2002 - hätten Sie sie erkannt? Links Piotr Trochowski, rechts Bastian Schweinsteiger. Beide spielten damals in der A-Jugend des FC Bayern.

Peter Wenninger: Wir sehen das kritisch, so junge Leute aus dem Elternhaus rauszureißen. Gefördert wird diese Entwicklung unter anderem durch die neue U15-Regionalliga (seit dem Spieljahr 2010/11; Anm. d. Red.). Jeder große Verein will dort eine gute Rolle spielen, denn das ist die erste richtige Leistungsstufe im Jugendbereich. Deshalb wollen oder müssen sich die Vereine die Talente schon ein Jahr früher sichern als bisher.

SZ: Wie geht der FC Bayern vor?

Wenninger: Wir haben bislang normalerweise zur U 16 von außerhalb Spieler ins Jugendhaus geholt. Aber jetzt gehen die Überlegungen dahin, schon zur U 15 die Spieler zu verpflichten.

SZ: Der FC Bayern macht das Wettrennen mit?

Wenninger: Die Tendenz geht dahin. Unsere Absicht ist es jedoch, die Jungs für Hausplätze möglichst lange in ihrem Elternhaus und bei ihrem Heimatverein spielen zu lassen. Dabei bleiben wir in Kontakt mit den Familien und die Talente trainieren regelmäßig bei uns mit. Andere Vereine denken da anders, die holen die Jungs sofort. Es gab Fälle, da hatten wir Kontakt zu Spielern und haben ihnen geraten, noch ein Jahr zu Hause zu bleiben. Doch dann sind oft die Eltern zu ehrgeizig und rufen an: "Der Verein XY hat uns ein Angebot gemacht, die wollen unseren Sohn ins Jugendhaus holen." Machen wir dies nicht mit, schnappen uns die anderen Vereine die großen Talente weg.

SZ: Aber wo soll das enden? Holen die Klubs bald Zehnjährige?

Wenninger: Wir hoffen das nicht.

SZ: Was waren die jüngsten Spieler im Bayern-Jugendhaus?

Wenninger: Wir haben zweimal einen 14-Jährigen geholt. Einer kam vor vier Jahren aus Österreich.

SZ: Ist er noch hier?

Wenninger: Er spielt jetzt in der U 19. Solche Spieler sind wirklich handverlesen, da schauen wir schon genau hin. Wenn man so eine Entscheidung trifft, müssen wir hundertprozentig überzeugt sein von dem Spieler. Wir probieren den nicht nur aus, sondern glauben fest daran, dass er später mindestens Bayern II oder sogar mehr spielen kann.

SZ: Auf welche Fähigkeiten achtet der FC Bayern bei einem Jugendspieler besonders?

Wenninger: Für uns ist die Perspektive wichtig. Ob der nun im Alter von 13 bis 16 körperlich seinem Alter hinterherhinkt, spielt da keine Rolle. Bei uns laufen pro Team vier, fünf Spieler auf, die deutlich kleiner sind als die des Gegners. Es ist wichtig, dass die Technik gut ist, die Spielintelligenz, auch der Spielwitz und das taktische Verständnis - dann geben wir diesen Spielern Zeit.

SZ: Die neue Generation im deutschen Fußball macht einen sehr intelligenten Eindruck. Müssen Fußballer heute auch schlau sein?

Wenninger: Wir legen sehr viel Wert auf die Schule und eine charakterliche Erziehung. Nicht nur die Noten müssen stimmen, auch das Verhalten. Wir möchten, dass die Spieler auf eine möglichst gute Schule gehen - und das möglichst lange. Auch weil der Schulbetrieb kompatibel mit dem Fußballbetrieb ist. Wenn sie früh eine Lehre beginnen, ist das schwierig. Das kann man kaum mit dem Alltag hier vereinbaren.

SZ: Lehnen Sie Hauptschüler ab?

Wenninger: Nein, überhaupt nicht. Aber wir versuchen, ihn zu animieren, nach dem Abschluss dann die mittlere Reife zu machen. Wenn wir allerdings einen Spieler sichten und feststellen, dass er familiär, charakterlich und schulisch nicht gefestigt ist, dann kann es sein, dass wir Abstand nehmen. Selbst wenn es ein großes Talent ist. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass Talent alleine nicht ausreicht, sondern Komponenten wie Einstellung, Disziplin, Wille und Verhalten ebenso wichtige Voraussetzungen sind.

"Schon vor einem Jahr wurden viele 14-Jährige geholt"

SZ: Wie findet man einen 14-jährigen Österreicher?

Wenninger: Wir haben ein Netzwerk von Scouts in Österreich und in ganz Deutschland. Oftmals läuft es über Tipps oder Sichtung durch die einzelnen Jugendtrainer, zum Beispiel bei Turnieren.

SZ: Wie geht's dann weiter?

Wenninger: Wir beobachten den Spieler mehrmals. Mit dem Verein sprechen wir dann ein Probetraining ab, im besten Fall mehrere Tage. Vielleicht machen wir das nach drei Monaten noch mal, weil viele Jugendliche sehr aufgeregt sind, wenn sie hier vorspielen. Am Ende entscheidet ein Gremium mit Michael Tarnat (Sportlicher Leiter der FCB-Jugendabteilung, Anm. d. Red.) und einigen Trainern, ob wir ihn holen.

SZ: Es bemühen sich also viele Klubs um junge Spieler, wieso dann jetzt der Aufschrei?

Wenninger: Ich denke, weil Hoffenheim und Wolfsburg die beiden 13-Jährigen schon zur Winterpause verpflichten, damit sie von Sommer an in der U 15 spielen. Vor einem Jahr wurden sehr viele 14-Jährige zu Saisonbeginn geholt, da kam das gar nicht in die Öffentlichkeit.

SZ: Um Nico Franke, der nun von Berlin nach Hoffenheim wechselt, haben viele Klubs geworben.

Wenninger: Er war auch hier beim FC Bayern. Er hat vier Tage bei mir mittrainiert, wir haben uns aber dagegen entschieden, ihn zu holen. Und wenn, dann hätten wir es ohnehin erst zur kommenden Saison gemacht.

SZ: Was sind die Chancen und Risiken, wenn man Talente so früh ins Internat holt?

Wenninger: Man will das Talent frühzeitig an den Verein binden und möglichst lange an seiner Entwicklung feilen. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert. Die Jungs verlassen ihre Familien und ihr bekanntes Umfeld. Dadurch kann es zu Problemen kommen.

SZ: Wie löst das der FC Bayern?

Wenninger: Wir haben mit Gertrud Wanke eine sehr gute Hausmutter, die sich Tag und Nacht der Anliegen der Jungs annimmt. Außerdem wird bei unseren Trainern viel Wert auf pädagogische Kompetenz gelegt. Bei uns ist das recht familiär, wir haben nur 13 Plätze im Internat, was eine individuelle Betreuung ermöglicht. Bei Real Madrid zum Beispiel ist das überdimensional, da gibt es 70 oder mehr Plätze. Aber Schwierigkeit macht uns auch, dass die Jungs immer früher "professionelle" Berater haben.

SZ: Gehen die Spielerberater die Jugendspieler an?

Wenninger: Die Jugendlichen sind heutzutage "in", wenn sie einen Berater haben. Das ist eine ganz schlimme Entwicklung. Und die Berater sind zum Teil sehr dreist, rufen die Spieler an, schreiben sie über Facebook an, setzen ihnen Flausen in den Kopf. Die Berater sagen: "Du bist der Superman, du bist das große Talent, du hast eine große Zukunft, du musst doch auf der und der Position spielen." Und so weiter. Wir Trainer müssen dann die Spieler wieder runterholen.

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