Halbfinale der Champions League:Bayern hoffen aufs Genuss-Inferno

FC Bayern Muenchen - Training & Press Conference

Pep Guardiola will auch im Rückspiel angreifen - und Reals Konter? Am besten alle verhindern.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Angreifen, aber mit Vorsicht. Ballbesitz, aber mit Zug zum Tor. Für Pep Guardiola ist das Halbfinal-Rückspiel gegen Real Madrid vor allem eine Frage der Balance. Dazu gehört auch, das bereits Erreichte zu würdigen - falls es doch nichts werden sollte mit dem historischen Doppel-Triple.

Von Claudio Catuogno

Brennende Bäume? Hölle? Inferno? Nein, bitte keine Sorge, hat Pep Guardiola seinen Landsleuten versichert, "Deutschland ist eine sehr höfliche, respektvolle Gesellschaft, in der die Gesetze befolgt werden". Niemand wird zu Schaden kommen, der am Dienstagabend, in diesem Spiel des Jahres, Real Madrid die Daumen hält. "Ihr werdet feststellen, wie höflich man euch empfangen wird."

Das war ihm offenbar wichtig. Das Martialische greift sowieso um sich vor so einem Spiel, auf das die Welt blickt und von dem beim FC Bayern viel abhängen wird - Geschichte schreiben oder Erwartungen enttäuschen, dazwischen gibt es wenig Spielraum. Soll Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef, dem Halbfinal-Gegner aus Spanien ruhig einen Mix aus biblischen Qualen androhen. Guardiola spricht derweil vom "Genießen": "Wir müssen im Hotel gut essen, gut schlafen, die Spieler müssen viel kommunizieren, sie müssen sich in die Augen schauen."

Hölle vs. Vorfreude, Inferno vs. Gruppendynamik. Pep Guardiola ist gerade auf der Suche nach der Balance. In jeder Hinsicht.

Da ist zunächst einmal die Balance auf dem Platz, das richtige Dosieren von Angreifen und Aufpassen. Ganz wichtig gegen Real. 0:1 haben die Münchner das Hinspiel im Estadio Santiago Bernabeú verloren, das ist erst mal keine so gute Ausgangslage. Weil sie bedeutet, "dass wir zwei, drei Tore schießen müssen" - und dabei möglichst keines kassieren. Gegen die wohl konterstärkste Mannschaft der Welt, Cristiano Ronaldo inklusive.

Wird Pep Guardiola also viel verändern im Vergleich zum Hinspiel? Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel, der Spanier wiegt seinen Kopf hin und her: "Zunächst habe ich gedacht, ja." Zunächst habe er sich überlegt, "wie kriegen wir mehr Aggressivität auf den Platz, aber manchmal bedeutet mehr Aggressivität auch weniger Kontrolle - und dann gewährt man ihnen vielleicht gerade deshalb einen Konter".

Die alte Balancefrage. Vielleicht wird Guardiola also doch nicht so viel ändern. Zumal er auch bekräftigt, jeder Tag Abstand mache ihn noch "stolzer" darauf, wie seine Mannschaft in Madrid das Spiel bestimmt habe, mehr Ballbesitz, mehr Spielanteile. Bloß halt keine Tore.

Was wird aus dem vielen Ballbesitz?

Das wäre dann auch schon die zweite Balance-Kategorie, die in München seit Tagen die Debatten prägt: die nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Auch da lieferte das Hinspiel ja eine Art Blaupause fürs Grundsätzliche: Wird das Ballbesitz-Dogma des Bayern-Trainers nicht als Aktionismus entlarvt, wenn dabei keine Tore herausspringen? Während der Gegner mit ein paar präzisen Vorstößen aus der Deckung heraus das Spiel an sich reißt?

Im Welt- und Europameisterland Spanien, wo die goldene Ära der vergangenen Jahre unter anderem auf Guardiolas Tiki-taka gründet, hat man das zuletzt irritiert verfolgt: dass der Coach sich in Deutschland nun dafür rechtfertigen muss, dem FC Bayern eine kompromisslos dominante Spielweise zu lehren.

Pep, ist das nicht seltsam, dass du dafür kritisiert wirst?, fragten am Montag die spanischen Journalisten. "Ich versuche, Argumente zu finden", sagte Guardiola, "vor dem Spiel, nach dem Spiel. Ich suche nicht nach Ausreden. Aber ich bleibe dabei, dass dieses Spiel darauf ausgelegt ist, dass man den Ball hat."

Für Dogmatik hält Guardiola das aber keinesfalls - und wenn er eines in dieser Saison schon bewiesen hat, dann ja, dass er durchaus aktiv coacht, dass er sein Team auf wechselnde Situationen einstellt. "Wir können gegen Real eventuell auch ein bisschen abwartend spielen", sagt er nun. Eventuell. Ein bisschen.

Aber was wäre das für ein Signal, wenn er seinen Spielern jetzt eine Marschroute vorgäbe, die im Widerspruch zu all dem stünde, was den Fußballlehrer Guardiola nun mal ausmacht? "Ich kann doch von meinen Spielern nichts verlangen, was ich nicht vorlebe, ich kann sie nicht betrügen, mich nicht verstellen", sagt er. Was würde das ausstrahlen? Dass er Angst hat!

Nein, Angst hat er nicht. Aber die Frage, was das bedeuten würde, wenn im Halbfinale Schluss wäre, die beschäftigt ihn schon. Die Frage nach der Balance zwischen den unbegrenzten Erwartungen, die in München zwangsläufig auf das erfolgreichste Jahr der Klubgeschichte folgten, und der Unvorhersehbarkeit des Fußballs. Was wäre das für eine Saison, wenn sich die Bayern nun vom Doppel-Triple verabschieden müssten? Ohne sich viel vorwerfen zu können, quasi im Hölleninferno brennender Fröttmaninger Bäume?

Das Pokalfinale gegen Dortmund sollten Guardiola und seine Männer dann besser nicht verlieren. Aber es wäre trotzdem nicht alles schlecht. "Wenn ich alleine bin mit meinem Kopf, mit meinen Leuten, dann realisieren wir: Bundesliga gewonnen im März, Pokalfinale, Halbfinale gegen Real. Das ist alles nicht selbstverständlich." Pep Guardiola kann so einen Gedanken tatsächlich formulieren, ohne dass es wie eine vorauseilende Ausrede klingt.

Er hat auch viel über "Charakterstärke", gesprochen, über "Wille" und "Drang". Darüber, dass jeder Spieler in jeder Sekunde verinnerlichen müsse, dass "uns jeder Schuss, jede Flanke nach Lissabon bringen kann". Ins Finale. Pep Guardiola sagt: "Wir werden es versuchen."

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