Bayern-Gegner FC Valencia:Primus unter den Provinziellen

Jährlich verkauft der FC Valencia seine besten Spieler, nur um wirtschaftlich überleben zu können. Dennoch will der Gruppengegner des FC Bayern seinen Status als Nummer drei in Spanien verteidigen. Identifikationsfigur Roberto Soldado könnte der Nächste sein, der gehen muss.

Oliver Meiler, Barcelona

Wie ein Mahnmal steht die Betonschüssel am Rand des Stadtzentrums von Valencia. Grau, mächtig, in seiner jetzigen Form dem Kolosseum nicht unähnlich, aber nur halb fertig. Seit einigen Jahren schon ruhen die Bauarbeiten am Nuevo Mestalla. So heißt das hoffnungsfroh geplante, mit Trommelwirbel beworbene neue Zuhause des Valencia C.F., Club de Fútbol, gegründet 1919, ein Verein mit stattlichem Stolz und durchzogener Glorie, der zum Champions-League-Start beim FC Bayern gastiert. Es ist ein provisorischer Name. Wie so vieles an diesem Klub provisorisch ist, auch das wirtschaftliche Überleben. Vor jeder Saison bedarf es dafür eines kleinen Wunders.

Champions League: Bayerns Gegner FC Valencia

Roberto Soldado vom FC Valencia jubelt. Er ist die Identifikationsfigur und der Torjäger der Spanier. Noch kann der Verein den Stürmer halten. 

(Foto: dapd)

Die Arena sollte mal die Ambitionen der Valencianos spiegeln: mit 75 000 Sitzplätzen, von einer gigantischen Stahlkonstruktion umfasst. In der drittgrößten, drittwichtigsten, drittstärksten Stadt Spaniens träumte man immer schon davon, sich mit Madrid und Barcelona messen zu können. Nicht mehr nur Nummer drei zu sein. Auch fußballerisch. Das alte Mestalla war auf dem Papier bereits verkauft. Und da die zentraler gelegene Parzelle vor fünf Jahren hoch gehandelt wurde, zeichnete sich ein schönes Geschäft ab.

Dann platzte in Spanien die Immobilienblase. Eine Reihe von Bauunternehmern aus Valencia ging unter, und mit ihnen die Ambition, die man mit diesem Stadion verband. 150 Millionen Euro sind schon verbaut, noch einmal 150 Millionen wären nötig, um es fertigzustellen. Als Hausbank hat man jedoch Bankia, jenes arg lädierte Geldinstitut, das kürzlich vom Staat gerettet werden musste. Und so ist die Betonschüssel nicht nur ein Symbol für den Größenwahn Valencias, sondern auch eines für Spaniens Krise.

Sportlich dagegen läuft es recht gut, trotz aller Widrigkeiten. Diesmal kam auch noch ein komplizierter Kalender hinzu. Nach vier Meisterschaftsspielen weist Valencia einen Sieg, zwei Unentschieden und eine Niederlage aus. Fünf Punkte also, Platz zehn. Das hört sich bescheiden an. Doch immerhin spielte man schon auswärts gegen Barça und gegen Real und machte dabei einen fähigen Eindruck. In den vergangenen drei Saisons musste sich der FC Valencia jeweils nur diesen beiden Übergegnern beugen. Das Verdienst wurde einem Mann zugeschrieben, dem baskischen Trainer Unai Emery, der sein Team nach jedem Aderlass neu motivieren und etwas revolutionieren konnte.

Das war auch nötig. Um nicht pleite zu gehen, mussten "Los Ches", wie man den Klub nennt, jedes Jahr ihre besten spanischen Profis verkaufen und investierten jeweils einen Teil des Erlöses in billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland: David Villa, Raúl Albiol, David Silva, Juan Mata, Jordi Alba - alles Nationalspieler, alles Stars, alle weg.

Zehn Spieler aus acht Ländern

Im Sommer ging nun auch Emery, zu Spartak Moskau. Man wähnte sich wieder am Abgrund. Ersetzt wurde er durch den Argentinier Mauricio Pellegrino. Der hatte zuvor zwar noch nie eine erste Mannschaft trainiert, war aber bei Valencias jüngsten Triumphen als Spieler dabei, als großgewachsener Innenverteidiger. Er weiß, wie's geht, aus der Erfahrung wenigstens. Zehn Jahre ist es her. Trainer war Rafa Benítez, den sie seitdem in Valencia wie einen Heilsbringer verehren. Man gewann zwei Meisterschaften (2002 und 2004), den Uefa-Cup und den europäischen Supercup (2004). Man war wer, nicht mehr nur die Nummer drei, auch mal die Nummer eins. Es war die Zeit, da man in Valencia glaubte, man müsse ein Stadion bauen.

Pellegrino bekam nun eine Mannschaft, in der zehn Spieler aus acht Nationalteams vertreten sind: aus Süd- und Zentralamerika, aus Afrika, aus Europa. Kein Verein Spaniens hat mehr internationales Personal. Die Sportzeitungen nennen den FC Valencia auch die "Vereinten Nationen des nationalen Fußballs". Ganz große Namen sind nicht dabei. Zu den Prominenteren zählt der Paraguayer Nelson Valdez, früher mal bei Werder Bremen und Borussia Dortmund, der kurz vor Ablauf der Transferfrist vom russischen Verein Rubin Kasan zu Valencia stieß.

Neu ist auch der Argentinier Fernando Gago, ehemals Real Madrid, der wegen einer Verletzung aber gerade pausieren muss. Im offensiven Mittelfeld fällt dafür immer wieder ein robuster, international kaum bekannter Franzose mit algerischen Wurzeln auf, Sofiane Feghouli, der mit schnellen Tempowechseln das Spiel weit aufreißen kann. Im Tor steht der Brasilianer Diego Alves, von dem man glaubt, er habe das Potenzial, seinem Land bei der Heim-WM 2014 dienen zu können.

Der unumstrittene Chef der "Ches", ihr Kapitän auch, ist ein Spanier mit leiser Stimme und schüchternem Gemüt, ein gebürtiger Valenciano: Roberto Soldado, 27, Mittelstürmer. Über ihn sollen sich die Fans mit dem Klub identifizieren. Und es schadet nicht, dass der junge Mann als vorbildlich gilt, als erdiger Zeitgenosse. Die Umkleidekabine verlässt Soldado immer als Letzter, kaum eine gemeinnützige Veranstaltung muss ohne ihn auskommen. Vor allem aber schießt er Tore, viele Tore, im vergangenen Jahr waren es 17. Kein Spanier erzielte mehr Meisterschaftstore als Soldado. In der Nationalmannschaft gelang ihm unlängst der einzige, erlösende Treffer gegen jene Georgier, die den Weltmeistern die Qualifikation zur Titelverteidigung 2014 zumauern wollten.

Soeben wurde Soldados Vertrag bis 2017 verlängert, obwohl es appetitlichere Angebote von finanziell potenteren Klubs gegeben haben soll, von Paris Saint-Germain etwa. Obwohl es Ende 2012 wirtschaftlich wieder eng werden könnte. Obwohl man dann die Millionen für den hauseigenen Helden vielleicht braucht, um Schulden zu tilgen. Und die Zinsen der Schulden. Um zu überleben. Von Soldado erwartet man, dass er das Wunder wieder wahr macht, das trotzige Wunder des Erfolgs. "Nummer drei" in Spanien wäre wieder genehm in diesen schwierigen Zeiten, immerhin Primus unter den Provinziellen, und ein bisschen was in Europa.

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