Bayer Leverkusen:Selbst in Abwesenheit anwesend

Lesezeit: 3 min

In Leverkusen ärgern sie sich nicht nur über die Pokalniederlage in Lotte. Auch die Manöver von Trainer Roger Schmidt strapazieren allmählich die Nerven seiner Fürsprecher.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Am Tag nach der Niederlage bei den Sportfreunden Lotte wurde am Leverkusener Trainingsplatz mit vorbildlichem Eifer die Arbeit aufgenommen. Allerdings kamen nicht Bälle und Hütchen zum Einsatz und auch nicht die von den Anhängern geforderte neunschwänzige Katze zur Züchtigung der Pokalversager vom Vorabend, sondern Laubbläser, Hochdruckreiniger, Rechen und Besen. Und es waren auch nicht die Profis von Bayer 04 auf den Feldern an der BayArena zugange, sondern Gärtner und Handwerker. Das für elf Uhr am Vormittag angesetzte Training entfiel, angeblich zugunsten einer Übungsstunde in den nahen Fitnessräumen. Dafür kündigte der Pressesprecher eine Stellungnahme des Cheftrainers an - am kommenden Freitag bei der turnusmäßigen Pressekonferenz. Dann stünde Roger Schmidt wieder für Fragen zur Verfügung.

Worte wie "verstecken" oder gar "verkriechen" hat der Sprecher von Bayer 04 hingegen nicht verwendet. Diese fielen lediglich aus den Reihen derer, die an diesem Morgen vergeblich erschienen waren, um den Zustand der Leverkusener Fußballprofis zu begutachten.

Bloß der Stammtorwart Bernd Leno betrat später noch in Arbeitskleidung den Trainingsplatz. Ein Fan rief ihm zu: "Du hast gefehlt gestern." Leno erwiderte: "War leider zu Hause." Wie Julian Brandt und Benjamin Henrichs sollte er sich daheim ein wenig erholen, während die Kollegen beim westfälischen Drittligisten den Einzug ins Achtelfinale klarmachen sollten. Stattdessen richtete die nicht optimal, aber immer noch erstklassig besetzte Leverkusener Pokal-Delegation so viel Unheil an, dass selbst Rudi Völler den väterlichen Schutz versagte. "An Dämlichkeit nicht zu überbieten", zürnte der Sportchef, nachdem Bayer während der Verlängerung in Überzahl die 2:1-Führung verspielte. Völler hat in bald 40 Jahren Profifußball manch schwere Niederlage erlebt - diese nimmt in allen Unehren einen Spitzenplatz ein.

Der gesperrte Trainer wird beim Telefonieren im Teambus gefilmt. Bleibt die Frage: Darf er das?

Ob der stellvertretende Nationalkeeper Leno das Unheil in Lotte hätte abwenden können, werden die Bayer-Anhänger und der Rest der Welt niemals erfahren. Der diensthabende Schlussmann Ramazan Özcan, genannt "Rambo", trug an den beiden Gegentreffern keine erkennbare Schuld. Im Elfmeterschießen wehrte er zwei Bälle ab. Vielleicht hätte der Elfmeterspezialist Leno in drei oder vier Fällen Erfolg gehabt, seine Auftritte im Laufe der Saison legen dies jedoch nicht zwingend nahe. Leno fällt bisher nicht durch serielle Spitzenleistungen auf, ein Merkmal, das er mit den meisten seiner Mitspieler teilt. Woraus sich bereits eine Antwort auf die Frage ergibt, warum Bayer 04 derzeit ziemlich schlecht aussieht. Prägende Spieler wie Brandt oder Tah, Aránguiz, Toprak oder Chicharito sind weit entfernt von der prächtigen Form im Finale der vorigen Saison. Kapitän Bender muss wegen ständiger Verletzungen eine Zwangspause nach der anderen einlegen, die teuren Neulinge Volland, Dragovic und Baumgartlinger sind noch nicht heimisch geworden, Flügelspieler Bellarabi fehlt seit Längerem verletzt.

Am Mittwoch standen jedoch weniger die frappierend nachlassenden Leistungen einzelner Profis im Mittelpunkt als vielmehr Cheftrainer Schmidt, der selbst in Abwesenheit die Aufmerksamkeit absorbiert. Schmidt hatte die Partie im Teambus verfolgt, dank einer Kabeltrommel, die der Fernsehsender Sky für den nötigen Elektroanschluss und Fernsehempfang bereitstellte. Auf der Bank durfte er bekanntlich nicht sitzen, weil ihn der DFB vorübergehend gesperrt hat. Laut Völler nahm Schmidt im Bus Platz, weil er auf einem Schalensitz im Stadion nicht in Ruhe das Spiel hätte gucken können. Aber dieser Coup rief bloß neue Unruhe hervor.

Während die Trainerzunft der Liga nach den Enthüllungen durch den Lausch-Angriff der TV-Mikrofone am vorigen Samstag - Stichwort "Spinner!" - vereint für weniger öffentliche Überwachung kämpft, brachte Schmidt auf dem Parkplatz in Lotte die Frage auf, ob der DFB in gewissen Fällen nicht mehr Überwachung gewährleisten müsste. Im Laufe der Halbzeit der Pokalpartie wurde der Coach beim Telefonieren gefilmt. Das wäre kein Problem, wenn er mit seiner Frau, seinem Hund oder seinem Steuerberater gesprochen hätte. Aber es wäre ein Verstoß gegen die DFB-Regeln, wenn er Verbindung zur Teamkabine aufgenommen hätte. War also der isolierte Logenplatz im Bus bloß ein Trick, um den Aufsehern des DFB zu entgehen?

Darüber wird geredet und geraunt, was zwar nicht weiter schlimm ist. Was aber auch nicht dazu beiträgt, den Trainer Schmidt etwas demütiger oder einsichtiger aussehen zu lassen. Dabei geht es nicht bloß um das öffentliche Wohlgefallen, sondern auch um die Stimmung im Inneren. Stefan Kießling klagte in Lotte, das Theater um Schmidt nach dem Vorfall mit dem Kollegen Julian Nagelsmann beim Hoffenheim-Spiel habe "ein Ziel kaputt gemacht". Gemeint ist der DFB-Pokal.

Schmidts eigensinnige Manöver strapazieren allmählich auch die Geduld seiner Fürsprecher. Rudi Völler hat in den gemeinsamen knapp zweieinhalb Jahren bereits mehrmals sein Ansehen und seine Autorität eingesetzt, um den immer wieder umstrittenen Trainer zu stützen. Auch diesmal blieb Völler der Linie treu, "die Trainergeschichte" habe mit dem Versagen in Lotte nichts zu tun. "Wir glauben weiter an den Trainer", versicherte Völler. Aber er hat auch schon mal überzeugender geklungen.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: