Bayer Leverkusen:Ekliges aus der Wundertüte

Lesezeit: 3 min

In seinen beiden ersten Jahren als Trainer von Bayer Leverkusen kam Roger Schmidt, 49, jeweils in die Champions League. Das dürfte dieses Mal nicht mehr klappen. (Foto: Maja Hitij/Getty)

Bayer Leverkusen droht die erste europapokallose Saison seit 2009. Die Mannschaft von Trainer Roger Schmidt wird fußballerisch immer unzuverlässiger, ihre Launen schlagen zunehmend aus.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Rudi Völler ist für seine Wutausbrüche bekannt. Der Sportdirektor von Bayer Leverkusen zeigt gern, wann seine Geduld zu Ende ist. Nach dem 0:2 gegen Mainz war das offenbar noch nicht der Fall. "Wundertüte", nannte Völler seine unberechenbare Mannschaft, und das klang durchaus milde. Die Wundertüte ist eine sentimentale Erinnerung an die Kindheit, böse Überraschungen gab es eigentlich nicht, aber Bayer Leverkusen ist eine Tüte, in der auch mal was Ekliges steckt.

Die Rheinländer werden fußballerisch immer unzuverlässiger, ihre Launen schlagen zunehmend aus. Der Trainer Roger Schmidt, auf den diese Unberechenbarkeit zurückfällt, stellt nicht mehr nur das Potenzial seiner Spieler heraus. "Wir können zwar hervorragend Fußball spielen, aber im Moment fällt es uns schwer, das kontinuierlich zu zeigen." Nach einem 2:4 gegen Atlético Madrid und nun dem 0:2 gegen Mainz hatte er keine Lust auf Beschönigungen. "Solange wir keine Konstanz in unser Spiel kriegen, werden wir höheren Ansprüchen nicht gerecht." Mit anderen Worten: Schmidt befürchtet zunehmend, dass sein Team die Qualifikation für die internationalen Wettbewerbe verpasst.

Es ist jetzt schon acht Jahre her, dass die Leverkusener zuletzt ein Jahr ohne Europapokal absolvieren musste. Seither haben sie zweimal in der Europa League und fünfmal in der Champions League gespielt. In den vergangenen vier Jahren war es dabei stets die Königsklasse (einmal Gruppenphase, dreimal Achtelfinale). Eine Spielzeit ohne Kontinentalreisen wäre für Bayer ungefähr so ernüchternd wie für Weltenbummler ein Urlaub auf dem Balkon.

Als Leverkusen sich zuletzt 2009/10 auf die Bundesliga beschränken musste, spielten dort noch René Adler, Renato Augusto, Arturo Vidal und Toni Kroos. Der Trainer hieß Jupp Heynckes. Auch Lars Bender und Stefan Kießling liefen damals schon für Bayer 04 auf, sie wissen also, wie sich so eine Saison anfühlt. Kein Barça, kein Atlético, kein Paris Saint-Germain. Hochrangige Fußballgäste haben dem Selbstwertgefühl der 160 000-Einwohner-Stadt nördlich von Köln zuletzt geschmeichelt. Doch nach der Niederlage gegen Mainz mit Gegentoren von Stefan Bell (3.) und Levan Öztunali (11.) wirkte nicht nur der Trainer kleinlaut. "Das geht so nicht", sagte streng der Torwart Bernd Leno, "darüber müssen wir ehrliche Worte finden."

Heynckes war 2009 allerdings nicht der Trainer, der Bayer den Europapokal versäumen ließ. Das war Bruno Labbadia. Unter ihm wurde Leverkusen im Mai 2009 nur Neunter. Labbadia ging nach jener Saison auf eigenen Wunsch zum Hamburger SV, dabei hätte Völler ihn eigentlich gern behalten. In den darauffolgenden sieben Jahren erreichte Bayer unter diversen Trainern Abschluss-Platzierungen zwischen Rang zwei und fünf, nie schlechter. Aber die bisherige Ausbeute und die Formkurve deuten nicht auf ein erneutes Abschneiden in diesem Bereich hin: Der Klub rangiert mit neun Siegen und zehn Niederlagen aus 22 Spielen auf Platz acht. Als die Mainzer Fans "Oh, wie ist das schön" sangen, stimmten die Leverkusener Anhänger sarkastisch mit ein. Später pfiffen sie.

Auffällig war wie schon gegen Madrid, dass die Leverkusener es besonders in der Rückwärtsbewegung an Leidenschaft und Einsatz mangeln ließen, aber das aggressive Pressing, dieses riskante Spiel, das vollen Einsatz erfordert, will Schmidt trotzdem nicht aufgeben. "Unser Gesamtkonzept passt", sagte er, "wir müssen es mit großer Konsequenz umsetzen, sowohl nach vorne als auch nach hinten. Aber im Defensivverhalten sind wir im Moment nicht geschlossen, das ist eine Aufgabe der kompletten Mannschaft." Schmidt beklagte mangelnden Einsatz. "Die Basis für alles im Fußball ist, die zu erledigenden Aufgaben geschlossen umzusetzen und mit Leben zu füllen, mit Zweikampfhärte und Robustheit, darauf baut alles Weitere auf."

Die Frage, wer die Verantwortung trägt für die mangelhafte Konstanz, wird über das Schicksal des Trainers mitentscheiden. Schmidt trainiert Leverkusen in der dritten Saison. Dass er den Klub zweimal in die Champions League führte, hat ihm Kredit eingebracht. Am Samstag erweckte Völler nicht den Eindruck, als stünde Schmidt zur Debatte, er nahm vielmehr die Spieler in die Verantwortung: "Einige sollten in den Spiegel schauen, wenn mal wieder der Trainer attackiert wird." Das klang dann schon eher so, als könnte Völler bald mal wieder einen Wutanfall bekommen.

© SZ vom 27.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: