Bayer 04 Leverkusen:Bester Kader, miserable Saison

Bayer 04 Leverkusen v FC Schalke 04 - Bundesliga

Die Saison hat gezeigt, dass der für seine innovativen Methoden bekannte Liga-Standort Leverkusen neuer Orientierung und Professionalisierung bedarf.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Temporäres Phänomen oder grundlegende Probleme? Bundesligist Bayer 04 Leverkusen muss die missratene Spielzeit erklären.
  • Im Sommer war noch die Rede vom besten Kader seit 15 Jahren - nun endet die Saison in Abstiegsängsten.
  • Auch den Trainerposten muss Bayer besetzen - Lucien Favre soll abgesagt haben, doch der Klub könnte sich um Thomas Tuchel bemühen.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Stefan Kießling hat allerhand erzählt vor dem Derby gegen den 1. FC Köln, unter anderem hat er wichtige Empfehlungen an seine Mannschaft ausgesprochen ("du musst einfach Gas geben"), klare Ziele benannt ("müssen dieses Spiel einfach gewinnen") und klipp & klar sowie offen & ehrlich Nein zum Relegationsplatz gesagt ("den will niemand haben"). Eines aber hat er nicht gesagt: dass er am Samstag sein letztes Bundesliga-Heimspiel für Bayer Leverkusen bestreiten und trotz des bis 2018 laufenden Vertrages die Karriere nach dieser Saison beenden wird.

Nicht wenige Leute in Leverkusen haben diese Abschiedserklärung längst erwartet. 33 Jahre ist der Mittelstürmer Kießling inzwischen alt, aber das Alter an sich ist nicht das Problem. Das Problem ist unter anderem die chronisch schmerzende Hüfte, die ihm die Freude am Hochleistungsfußball verdirbt.

Die Partie gegen den Nachbarn im ausnahmsweise ausverkauften Stadion wäre im Grunde der passende Rahmen für sentimentale Feierlichkeiten und verdiente Ovationen, an denen sich bestimmt auch Kölner Anhänger beteiligen würden, weil Kießling zu der Sorte von Profis gehört, die von Fußballfans aller Farben gemocht wird. Doch es wird keine Blumen und keine Präsente und keinen Sonderbeifall für den Mann geben, der seit 2006 in Leverkusen spielt. Die einzigen Zukunftspläne, die Kießling den Bayer-Leuten bisher enthüllt hat, sind seine Urlaubspläne: Erst geht es an den Wörthersee und dann nach Ibiza.

Leverkusens Funktionäre müssen sich entscheiden

Man könnte allerdings auch meinen, dass es Aufgabe der Leverkusener Verantwortlichen wäre, mit Kießling ein vertrauensvolles Gespräch darüber zu führen, ob die für jedermann ersichtliche Quälerei noch Sinn ergibt. Doch in Leverkusen wissen die Verantwortlichen im Moment nicht, wo sie mit den vertrauensvollen Gesprächen beginnen und wohin diese führen sollen.

Dass die Saison in Abstiegsängsten endet, obwohl man im vorigen Sommer glaubte, den besten Kader seit 2001 beisammen zu haben, das bannt zunächst mal die ganze Aufmerksamkeit. Doch die Zeit wird kommen, da sich die Bayer-Funktionäre für einen Standpunkt entscheiden müssen: entweder die missratene Spielzeit zum temporären Phänomen zu erklären, weil ja der Kapitän Lars Bender ständig verletzt war und fünf Elfmeter verschossen wurden. Oder den Misserfolg als Ergebnis grundlegender Defizite zu bewerten.

Grundsatzdebatten gehören allerdings nicht zu den Vorlieben von Sportchef Rudi Völler, 57. Er zieht es vor, seinem bewährten Weltbild zu vertrauen, als in die mikroskopische Detailanalyse einzutreten. Vom zweiten Betriebsleiter, dem beim Fan-Volk herzlich unbeliebten Marketing-Experten Michael Schade, ist ohnehin keine Inspiration zu sportlichen Themen zu erwarten. Doch die abgelaufene Spielzeit hat gezeigt, dass der für seine innovativen Methoden bekannte Liga-Standort Leverkusen neuer Orientierung und Professionalisierung bedarf.

Dabei ist es nicht so, als ob Völler nicht zur Selbstkritik fähig wäre. Er würde jetzt nicht mehr bestreiten, dass die Versuche, den vormaligen Trainer Roger Schmidt im Amt zu halten, fehlschlugen und böse Folgen hatten. Völler ist nicht so stur, ein missglücktes Manöver zu verkennen. Andererseits ist es eben nur die halbe Wahrheit, wenn man zugibt, Schmidt zu spät entlassen zu haben.

Lucien Favre soll Bayer abgesagt haben

Die andere Hälfte der Wahrheit ist, dass dem Trainer in den mehr als zweieinhalb Jahren bei Bayer ein störrisches Eigenleben gestattet wurde. Daraus entwickelte sich unter anderem eine Mannschaftsführung, in der ein paar Spieler alle Freiheiten bekamen und überreichlich ausnutzten (Calhanoglu, Kampl, Bellarabi), während andere das Gefühl hatten, von einem zunehmend schlecht gelaunten Trainer kleingehalten zu werden (beispielsweise die Zugänge Baumgartlinger und Volland). Das ist womöglich nicht allein Roger Schmidts Schuld, der als Fußball-Lehrer selbst noch ein Lernender ist. Sondern auch die Folge mangelnder Unterstützung im Alltag durch das erfahrene Management.

Die Besetzung des Trainerpostens ist die wesentliche Personalie, die nun bei Bayer zu klären ist. Tayfun Korkut, Schmidts tapferer, aber glückloser Nachfolger, wird vor dem Spiel gegen den 1. FC Köln keine Blumen bekommen, obwohl es sein letztes Heimspiel mit Bayer sein wird (es sei denn, der Schrecken der Relegation wird doch noch wahr). Korkuts Interim endet zum Saisonschluss. Die Sondierung der Kandidaten fürs nächste Jahr hat längst begonnen.

Vertreter von Lucien Favre, derzeit noch sehr erfolgreich im Dienst von OGC Nizza, sollen bereits in Leverkusen vorgesprochen haben. Allerdings, so heißt es, hat es anschließend aus Favres Lager eine Absage gegeben, was angeblich damit zu tun hat, dass sich der schweizerische Trainer nach Dortmund orientiert. Was wiederum zur Folge haben könnte, dass sich Bayer 04 im Gegenzug um Thomas Tuchel bemühen könnte. Der Verlierer dieser interessanten (einstweilen abstrakten) Rochade wäre der Leverkusener Abwehrchef Ömer Toprak, der auf Tuchels Betreiben im Sommer nach Dortmund wechseln wird.

Auch in Leverkusen würde Tuchel eine junge Mannschaft mit Perspektive vorfinden. Von heranwachsenden Profis wie Tah, Brandt, Havertz und Henrichs, auch Wendell oder Volland verspricht man sich in Leverkusen nach wie vor eine Menge. Die nicht alle Zeit vorteilhaft in Erscheinung getretenen Calhanoglu, Chicharito oder Bellarabi gelten zwar nicht als unverkäuflich, aber auch nicht als überzählig. Das weitere Vorgehen hängt auch vom neuen Trainer ab. Von Bellarabi zum Beispiel hält Tuchel ziemlich viel.

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