Bastian Schweinsteiger:Extra-Applaus im Tränenmeer

In einem höchst sentimentalen Abschiedsspiel endet die Länderspiel-Karriere von Bastian Schweinsteiger. Mit ein paar kleinen Zaubertricks würzt er seinen letzten Auftritt im DFB-Trikot.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

In seinem letzten Länderspiel musste sich Bastian Schweinsteiger ziemlich alt vorkommen. Der Bundestrainer hatte ihm eine Mannschaft mitgegeben, deren Mitglieder mehrheitlich noch einem langen Fußballerleben entgegensehen. Der Nächstälteste war der Kölner Jonas Hector, 26, und seine Ansprechpartner im Mittelfeld hießen Max Meyer und Julian Brandt, zwei 20-jährige Grünschnäbel, mit denen er in all den Jahren noch nicht zu tun hatte.

Aber das hat die Freude sicher nicht gemindert, an diesem schönen Sommerabend am platten Niederrhein noch mal das magische deutsche Trikot tragen zu dürfen. Jede seiner Ballberührungen quittierte das Publikum mit Sonderapplaus.

Bis er auf dem grünen Rasen sicheren Boden unter den Füßen spürte, musste Schweinsteiger allerdings eine Prüfung bestehen, die ihm schwer zu schaffen machte. Der DFB hatte ihm zu Ehren vor dem Anpfiff der Partie gegen Finnland einen kleinen Festakt organisiert. Ein Film leitete die Zeremonie ein. Man sah den jungen, grell blondierten Schweinsteiger, wie er Angela Merkel die Hände schüttelte, und man sah den schon etwas gereiften Schweinsteiger, der ohne Trikot und ohne Unterhemd die Kanzlerin in der Kabine willkommen hieß - die beiden hatten ja immer eine spezielle Beziehung, die keine peinlichen Momente kannte.

Aus vereinzelten Tränen wird ein wahres Tränenmeer

Es kam an diesem Abend sogar die Frage auf, ob Merkel höchstpersönlich zur Verabschiedung ihres Lieblingsnationalspielers im Borussia-Park erscheinen würde. Ein Sprecher des DFB sagte dazu: "Wir schaffen das." Ein Versprechen, das aber eher verdächtig als vertrauenswürdig klang.

Nach dem Film kam der Präsident an die Reihe. Reinhard Grindel amtiert erst seit einigen Monaten als DFB-Chef, er zählt nicht zu Schweinsteigers bekannten Wegbegleitern, aber sowie er das Mikrofon in die Hand genommen und zu seiner knappen Rede angesetzt hatte, wurde es dem Kapitän immer wehmütiger ums Herz. Die Zuschauer konnten es auf der Videoleinwand verfolgen. "Er hat sich nie geschont. Er hat immer alles für unsere Nationalmannschaft und unsere Fans gegeben, unvergessen das Finale 2014 ", sprach Grindel, und dann wurde aus Schweinsteigers vereinzelten Tränen ein wahres Tränenmeer.

"Das bedeutet mir sehr viel, dass jeder Einzelne hier steht"

Er wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht, aber es hörte nicht auf. Er zwang sich zu einem befreienden Lächeln, doch schon folgte der nächste Sturzbach. Die obligatorischen Umarmungen, die Grindel und DFB-Manager Oliver Bierhoff dem Geehrten zuteilwerden ließen, fielen wegen dessen Gefühlsausbruch fast ein wenig schüchtern aus.

Schließlich gewann Schweinsteiger die Fassung zurück und ergriff selbst das Wort. "Das bedeutet mir sehr viel, dass jeder Einzelne hier steht", wandte er sich an die rund 30 000 Tribünengäste, die sich allesamt aus ihren Sitzen erhoben hatten, "es war mir immer eine große Ehre, für Deutschland zu spielen, und eine sehr, sehr große Ehre, für Euch Fans zu spielen".

Das eigentliche Spiel bereitete Schweinsteiger weniger Mühe. Seine Routine und seine Klasse trugen ihn durch die Partie, sein Laufpensum war überschaubar, aber es war ein souveräner Auftritt, und die höflichen Finnen ließen ihn weitgehend gewähren. Ab und zu streute er ein paar Zaubertricks ein, dann gab es wieder Extra-Applaus. Zwischendurch rannte ein Flitzer auf den Platz und durfte ein Selfie mit dem Protagonisten des Abends machen, kein Ordner machte Anstalten, ihn aufzuhalten.

Und nach 66:27 Minuten war es endlich soweit, auf der Wechseltafel erschien die Nummer sieben - das Signal, dass nun sein letzter Gang als aktiver Nationalspieler bevorstand. Julian Weigl hatte die Ehre, ihn ablösen zu dürfen. Die Zuschauer standen auf, Handylichter blinkten, Schweinsteiger umarmte den Bundestrainer und dann die gesamte Bankbesatzung. "Schweiniiiiiee", riefen die Fans in der Kurve, er winkte, obwohl er diesen Namen doch eigentlich abgelegt hat. Aber jetzt lächelte Bastian Schweinsteiger. Die Abschiedstränen waren schon getrocknet.

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