Für Barcelonistas waren es nervtötende Szenen, die sich am vergangenen Sonntag in Gran Canarias Hauptstadt Las Palmas abspielten. Sogar König Felipe war auf die Insel geflogen, um dem spanischen Pokalfinale im Basketball beizuwohnen. FC Barcelona gegen Real Madrid, der Clásico, ist auf dem Parkett eine ebenso monumentale Angelegenheit wie auf dem Fußball-Rasen. Als die Schlusssirene aufheulte, hüpften die Madrilenen jauchzend durch die Halle, ehe der König ihnen die Siegermedaillen um den Hals legte.
Barça hatte 71:77 verloren, das tat den Katalanen weh - und mittendrin stand Tibor Pleiß, der an diesem Abend einen Rebound gepflückt hatte. Eigentlich kann der gebürtige Rheinländer unter dem Korb ganz gut Bälle einsammeln, er misst stattliche 2,18 Meter. Doch beim FC Barcelona bekommt er seit seiner Ankunft im vergangenen Sommer nur wenig Gelegenheit dazu. Auch die Gelegenheit zum Reden blieb ihm verwehrt, denn nach der Pleite gegen Real herrscht bei den Katalanen vorerst Interview-Verbot.
Dabei gäbe es in diesen Tagen einiges zu klären, es geht um die Zukunft des begehrtesten deutschen Basketballers in Europa. Mit seinen 25 Jahren ist Pleiß im perfekten Alter, um sich noch zu entwickeln. Er kann für einen Riesen seiner Größe passabel werfen und versteht das Spiel. Nach Typen wie ihm fahnden auch NBA-Teams akribisch - und genau das hat sich nun konkretisiert.
Die Zeit drängt
Nachdem bisher die Oklahoma City Thunder die Rechte an dem 2010 gedrafteten Center besaßen, haben nun die Utah Jazz Anspruch auf seine Dienste. Die Lizenz für Pleiß wurde im Zuge eines komplizierten Geflechts an Spielerwechseln in den Mormonenstaat verschachert. Der frühere Bamberger gehört nun Utah, auch wenn noch kein Vertrag unterschrieben ist.
Dabei hatte Oklahoma zuvor stets beteuert, den Deutschen früher oder später bei sich einzugliedern. Doch in der von "hire and fire" geprägten US-Sportwelt zählen solche Versprechen wenig. Bisher ist der Nationalspieler in Barcelona nur geparkt Gegen die starke Center-Konkurrenz um Ante Tomic, Maciej Lampe und Justin Doellman konnte er sich nur sporadisch Spielzeit erkämpfen. Pleiß' "Park"-Kontrakt bei Barça läuft bis 2016 - der Rechteinhaber aus der NBA darf ihn bei Bedarf herauskaufen. Ob die Jazz daran interessiert sind, ist nun die Frage.
Erste Signale lassen unterschiedliche Schlüsse zu. "All unsere internen Berichte über ihn waren bis jetzt hervorragend. Er ist wie gemacht für einen Jazz-Spieler", sagte Utahs Klubchef Dennis Lindsey bei spox.com.
Die Jazz - ein Verein im Wiederaufbau
Das klang nett, aber auch danach, als habe man sich noch gar nicht ernsthaft damit auseinandergesetzt, wen man da eigentlich aus dem fernen Europa loseisen könne: "Wir müssen uns das erst einmal anschauen, da es manchmal auch nicht ganz einfach ist", erklärte Lindsey, der gleichzeitig auch schon ein Defizit des Deutschen ausgemacht hatte: Pleiß müsse für das korbnahe Geschiebe mit den NBA-Kraftprotzen noch an Muskeln zulegen. Seine Arme sind zwar lang, aber eben noch nicht wuchtig genug, um sich gegen Athleten wie Dwight Howard (Houston) oder DeMarcus Cousins (Sacramento) zu wehren.
Unwahrscheinlich erscheint ein sofortiger Wechsel trotzdem nicht, denn die Jazz befinden sich nach vielen Transfers im Wiederaufbau, sie brauchen nach dem Weggang des Türken Enes Kanter Länge und defensive Präsenz. "Theoretisch ist alles möglich. Wir wissen, dass dort nur ein richtiger Center im Kader steht", sagt Dimitri van der Wal, der Kölner Agent von Pleiß. Tatsächlich verfügt die Mannschaft neben dem jungen Franzosen Rudy Gobert (2,18 Meter) kaum über richtig große Leute, in dieser Woche stieß mit Nachwuchsmann Jack Cooley ein Kerl von immerhin 2,05 Metern Körpergröße hinzu. Ihn verpflichtete der Klub aus der unterklassigen D-League. Ansonsten agiert allenfalls noch Flügelspieler Derrick Favors mit Autorität am Brett. Gebrauchen könnten die Jazz Pleiß also schon - aber wollen sie auch die "Buyout"-Gebühr bezahlen?
"Mit Utah gab es bisher keinen Kontakt", sagt Berater van der Wal, "es kam dort ja zu einigen personellen Umbauten. Aber wenn die Jazz die Ausstiegsklausel nutzen, können sie Tibor natürlich haben." Sollte der frühere Klub der Legenden Karl Malone und John Stockton sich für eine Verpflichtung erwärmen, wäre Pleiß neben Dirk Nowitzki, Dennis Schröder und Chris Kaman der vierte Deutsche in der besten Liga der Welt. Er könnte sich dort fortbilden, lernen und vielleicht sogar häufiger spielen als in Barcelona.
Vorstellbar ist aber noch eine weitere Wechsel-Option: Aus dem Barça-Umfeld ist zu hören, dass die Katalanen den Brose Baskets Bamberg Pleiß im Tausch für Center Trevor Mbakwe angeboten haben. Zurück in die alte Heimat - das ginge aufgrund der Wechselfrist der BBL nur noch bis kommenden Samstag. Rein sportlich erscheint diese Rochade eher wie ein Rückschritt.
Wie gut, dass Pleiß am Freitag wieder reden darf. Da trifft Barcelona in der Euroleague auf Alba Berlin. Es könnte ein Abschiedsspiel von den Barcelonistas sein.