Basketball-WM:Gereifte Assistenten

Die deutschen Basketballer emanzipieren sich beim zweiten Vorrundensieg gegen Neuseeland von ihrer Überfigur Dirk Nowitzki.

Andreas Burkert

Hiroshima - Jan-Hendrik Jagla dreht sich mit dem Ball in den Händen zum Korb und hebt ab, diesmal unbeeindruckt von den Oberarmen des neuseeländischen Centerspielers Pero Cameron. Cameron sieht eigentlich nicht aus wie ein Basketballspieler, sondern eher wie ein auf saftige Lammkoteletts spezialisierter Viehfarmer; gegen ihn wirkt Jagla geradezu schmächtig, obwohl er erstaunliche 2,13 Meter misst und 105 Kilo wiegt. Dennoch wirkt das Spiel des jungen Deutschen manchmal zerbrechlich, wie er selbst. Am Samstag, nach dem Auftaktsieg der DBB-Auswahl gegen WM-Gastgeber Japan (81:70), sah man ihn sogar weinen, er haderte bitterlich mit seiner geringen Spielzeit und den Schiedsrichtern, Mannschaftskapitän Patrick Femerling kümmerte sich fast rührend um ihn. Doch das ist jetzt vergessen, obwohl Jagla vorhin wieder zwei schnelle Fouls kassiert hat und einen Ball verlor. Er steht nun für Sekundenbruchteile in der Luft, Camerons oberschenkelgleiche Arme in den Rippen, und Jagla wirft. Der Ball prallt gegen das Brett und fällt durch die Reuse. Es ist das bedeutungslose 80:52 für die Deutschen, die am Ende ihr zweites Gruppenspiel 80:56 (38:17) gewinnen. Für Jan-Hendrik Jagla ist es der erste Feldkorb bei einem großen Turnier.

Vermutlich wird Jagla bei der Weltmeisterschaft in Japan nicht mehr sehr häufig elf Minuten in einem Spiel zum Einsatz kommen wie Sonntag gegen Neuseeland, und doch fügt sich die Entwicklung des 25-jährigen Berliner Centertalents in das Bild des erfolgreich gestarteten EM-Zweiten von 2005. Denn noch im vergangenen Jahr, als sie in Serbien überraschend das Kontinentalfinale erreichten, stand zwar ,,Deutschland'' auf dem Trikot der Deutschen. Doch eigentlich habe ja das ,,Team Nowitzki'' Silber gewonnen, hieß es hinterher, so viele Punkte hatte der beste Turnierspieler erzielt. Gegen Japan übertraf Dirk Nowitzki zwar seine EM-Quote (26,1 im Schnitt) mit 27 Punkten, doch Sonntag verwies Bundestrainer Dirk Bauermann stolz darauf, ,,dass es jeder der Jungs verdient hat, hier zu sein - weil sie alle gut sind.''

In der Vergangenheit hatte man manchmal den Eindruck, der Segen, welchen der NBA-Profi der Dallas Mavericks zweifelsfrei darstellt für den deutschen Basketball, habe bisweilen etwas Erdrückendes für den Rest des Teams. An Nowitzki lag das nicht, er verhält sich ja als Mensch weiterhin wunderbar. Es lag an seinem Können. Viele hundert Würfe, die seine Kameraden freistehend hätten nehmen können, verweigerten sie. Sie passten lieber zurück zu ihm, dem Superstar. Bei der EM 2005 war Bauermann ständig auf der Suche noch einem zweiten verlässlichen Schützen, Playmaker Pascal Roller gelang dies einige Male.

Nowitzkis Assistenten verteidigten vorzüglich, ,,aber es war oft nicht einfach, wenn man von einem Superstar überschattet wird'', sagt Bauermann. Vielleicht haben sich Nowitzkis Mitspieler gegen Neuseeland endgültig emanzipiert, denn gegen den WM-Vierten von 2002 überzeugten die Deutschen als Mannschaft. Nowitzki spielte schlecht (elf Punkte, nur drei Treffer von 13 Versuchen), ,,ich bin nicht in meinen Rhythmus gekommen'', sagte er später entspannt. Er hatte das früh gemerkt, jetzt spielte er Pässe auf die anderen und sammelte nebenbei Rebounds. ,,Und ich bin sehr froh, dass die anderen reagiert haben'', sagte Bauermann.

Ein wichtiges Spiel, in dem Nowitzki zur Halbzeit bei nur drei Punkten stand und der Rest zusammen bei 36, hat es jedenfalls selten gegeben. Traumhaft sicher verwandelten Robert Garrett (14 Punkte), Demond Greene (18) und Roller (9) gegen Neuseeland ihre Distanzwürfe. Zehn von 16 Dreiern schafften die Deutschen in der ersten Hälfte, die wohl als beste Halbzeit seit langem im DBB-Archiv abgelegt werden darf. Von der Bank kam fast die Hälfte der Punktausbeute (38), neben Nowitzki hielten sich auch Ademola Okulaja (4) und Femerling (2) zurück. Neulinge wie Guido Grünheid von Meister Köln, Johannes Herber (Berlin) oder eben Jagla (der nun aus Spaniens B-Klasse in die erste türkische Liga nach Ankara wechselt) erhielten am Wochenende Bewährungszeit - und Spieler wie Greene oder Gerrett entlasteten endlich Nowitzki. ,,Dirk bringt den Stein ins Rollen, aber wenn wir anderen nicht auch in der Offensive produzieren, ist der Gegner mit zwei, drei Leuten an ihm dran'', erklärt Greene. ,,Vom Talent her kann jeder bei uns alles machen'', findet er. Sie müssen sich eben nur trauen.

Noch einmal wird es Nowitzki jedenfalls gegen den heutigen Gegner Spanien (9 Uhr MEZ/DSF) kaum allein richten. Im entscheidenden Duell um den wichtigen Gruppensieg wollen die mit NBA-Profi Pau Gasol (Memphis) verstärkten Iberer Revanche nehmen für das EM-Halbfinale (73:74). Damals ging der letzte Pass zu Nowitzki, natürlich, vier Sekunden vor Schluss sprang er hoch. Er hatte zwei Hände im Gesicht, aber er traf. Ohne Brett.

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