Basketball:Nur ganz leise ein Wort

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Emotionen müssen raus: Berlins Trainer Aito García Reneses (links) regte sich über einen „sehr entscheidenden Fehler“ der Schiedsrichter auf. (Foto: Tilo Wiedensohler/imago)

Auch wenn Alba am Sonntag in der Basketball-Bundesliga gegen den FC Bayern München mit 70:80 verlor: Der spanische Coach Aíto García Reneses macht aus den Berlinern das aufregendste Projekt der BBL. Er hat ein lernbegieriges Team beisammen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Später, als Aíto García Reneses die Partie im Kreis der Familie bereits ein wenig hatte sacken lassen, zückte er im VIP-Raum der Halle am Berliner Ostbahnhof sein Handy. Der Mann, den sie in Berlin nun umgetauft haben - "Coach Aíto" nennt ihn der stets aufgeregte Hallensprecher - tippte die Funktion an, mit der die Fotos aufgerufen werden, und zoomte die Statistiken der Begegnung von Alba Berlin und dem FC Bayern München heran. Und fand dort einen der Gründe, warum die Bayern am Sonntag in der Basketball- Bundesliga (BBL) 80:70 gewonnen hatten.

"Der Bayern-Spieler mit den meisten Minuten auf dem Feld kam auf 22 Minuten", sagte Aíto, und zog das Bild wieder hoch, wo die Daten der Alba-Spieler waren. Und siehe da, die Berliner Leistungsträger hatten mehr Minuten, und das bedeutete mehr Verausgabung, weniger Rotationen, einen größeren Mangel an Konzentration in entscheidenden Momenten, kurzum: einen Wettbewerbsnachteil, wenn man zwar als Tabellenführer, aber eben auch als neuformierter Tabellenerster auf einen Tabellenzweiten wie den FC Bayern trifft, der über mehr Erfahrung verfügt. Spieler wie Luke Sikma oder Peyton Siva müssten länger auf dem Feld verharren, "denn wir sind noch eine junge Mannschaft", erklärte Aíto. Das freilich änderte nichts daran, dass der 70 Jahre alte Erfolgstrainer aus Spanien vom Entwicklungsstand des ersten Auslandsprojekts seiner Karriere begeistert ist: "Die Haltung meiner Mannschaft war großartig".

Auch in der Chefetage sind sie angetan. Beim Serienmeister längst vergangener Tage lebt man den Gedanken mit Begeisterung aus, eine aufregende Entwicklungsmannschaft geworden zu sein. Natürlich schmerzte es, nach dem guten Saisonstart die Tabellenführung an den FC Bayern München verloren zu haben, der trotz des Ausfalls seines außergewöhnlichen Forwards Vladimir Lucic die Partie routiniert und abgeklärt nach Hause brachte. Aber ein Beinbruch? Sie haben schon schlimmere Zeiten erlebt in Berlin, vor allem im vergangenen Jahr. Und dann ist da ja auch noch das liebe Geld.

"Ich möchte es nicht immer betonen ...", stöhnte Alba-Manager Marco Baldi, ehe er es doch betonte: "Da steckt viel mehr Geld drin als in unserem Team. Es gibt einen Unterschied, und der muss sich bemerkbar machen." Gleichwohl konnte Alba eine Halbzeit lang gegen die Bayern mithalten, Manager Baldi sprach sogar von Augenhöhe: "Es ist nicht so, dass wir so weit weg sind, dass wir sagen müssen: Oh Gott, wie soll das noch werden?" Perspektivisch sei man sogar in einem Vorteil. Bei Alba sei erkennbar ein größeres Wachstumspotenzial vorhanden, auch individuell: "Bei uns ist mehr Luft nach oben. Und wir werden uns entwickeln." Dazu kam, dass Alba sich nachvollziehbar darüber beklagte, dass die Dynamik des Spiels durch eine umstrittene Entscheidung der Schiedsrichter jäh in eine andere Richtung gelenkt wurde.

Nach einer ausgeglichenen ersten Hälfte warf der lange überragende Point Guard Peyton Siva einen Dreier, der die Berliner wieder knapp in Führung brachte (53:52); er bekam allerdings auch umgehend ein Offensiv-Foul aufgebrummt, weil er nach dem Wurf im Rückwärtsgehen den Münchner Jared Cunningham umstieß. Das hatte Folgen, für beide Protagonisten und das Spiel. Cunningham erlitt eine Schädelprellung, Aíto nahm Siva vom Feld, weil es das dritte persönliche Foul seines Point Guards war und er einen frühzeitigen Ausschluss vermeiden wollte. "Das war ein Turnaround im Spiel, wir haben völlig den Rhythmus verloren", sagte Baldi. Coach Aíto sprach nach Ansicht der Videobilder von einem "sehr entscheidenden Fehler" der Schiedsrichter - worüber sich diskutieren lässt. Die Bayern ließen jedenfalls einen 12:0-Zwischenspurt folgen, von dem sich Alba nicht mehr erholte. "Vielleicht hätten sie so etwas auch später geschafft, das ist möglich", räumte Aíto ein.

In Berlin haben sie ein lernbegieriges Team beisammen, findet Geschäftsführer Baldi

Derlei dürfe natürlich nicht passieren, bekundete Baldi. Aber insgesamt zahle man einen Preis dafür, dass man viele junge Spieler in den eigenen Reihen habe, die noch im Entwicklungsstadium sind. Er nannte stellvertretend Tim Schneider, 20, der im vergangenen Jahr noch unterklassig agiert hatte, unbekümmert in die Saison gestartet war und nun etwas mehr nachdenkt, wenn er vor 13 500 Zuschauern spielt: "Anton Gavel, Nihad Djedovic, Milan Macvan oder Stefan Jovic haben so etwas nicht", sagte Baldi. In eine ähnliche Richtung zielte Aíto, als er bemerkte, dass man grundsätzlich eine Realität anerkennen müsse: "Die Bayern verfügen über mehr Spieler, die wissen, wann sie welche Entscheidungen treffen müssen. Wir haben mehr Spieler dabei, die das noch lernen müssen." Das gestalte sich einerseits mühsam, weil man kaum Zeit habe, zu trainieren. "In der Basketballwelt herrscht der Gedanke vor, dass grundsätzlich alles immer nur Wettbewerb sein muss, und dann versuchen Verbände und Ligen auch noch, sich gegenseitig kaputtzumachen", klagt er. Die anerkennenden Worte von Bayern-Coach Aleksandar Djordjevic, der Alba "Qualitäts-Basketball", attestierte, waren dennoch nachvollziehbar.

In jedem Fall habe man ein lernbegieriges Team beisammen, sagt Baldi, "jeder ist bereit, viel zu investieren, um sich persönlich zu verbessern". Dass dabei ein Coach wie Aíto helfe, verstehe sich von selbst. Er sei ein Trainer, der es "durch seine Aura, nicht nur durch seine Historie" schaffe, "eine ganz hohe Aufmerksamkeit zu erzielen. Das ist Wahnsinn. So wie er nur ganz leise ein Wort sagt, sind alle sofort wach und aufmerksam." Auch deshalb habe er nach der Niederlage gegen die Bayern keine Angst vor dem Fall in ein Loch. "Nachdem anfangs nur die Sonne schien, regnet's jetzt halt ein bisschen", sagte Baldi in der Halle, als ob er wusste, dass draußen ein ekliger November-Regen eingesetzt hatte. "Es kann natürlich noch weiter runtergehen. Aber selbst wenn: Wir werden wissen, wie wir da rauskommen."

© SZ vom 07.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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