Basketball: Die Ära nach Nowitzki:Weg vom Ein-Mann-Prinzip

Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft hat die Olympia-Qualifikation verpasst, ob Dirk Nowitzki noch einmal zurückkehrt, ist fraglich. Den Verband erwartet ein langer Neuaufbau. Dennoch steht es um die fernere Zukunft des deutschen Basketball gar nicht schlecht.

Jonas Beckenkamp

Am Ende dankte Dirk Nowitzki sogar den Weggefährten, die nur über ihn berichtet hatten. Deutschlands bester Basketballer stand entkräftet beim Interview mit dem TV-Sender Sport1, der Schweiß tropfte ihm noch von der Stirn. 75:84 (33:37) hatte die DBB-Auswahl die entscheidende Partie um den Viertelfinal-Einzug gegen Gastgeber Litauen verloren, weshalb die EM nun ohne die Deutschen weitergeht. "Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich in diesen 13 Jahren beim DBB begleitet haben: Den Trainern, meinen Mitspielern, den Fans, den Physios und den Journalisten, die waren immer sehr nett zu mir." Es war ein besonderer Moment, wie der zutiefst enttäuschte Lulatsch da in aller Professionalität resümierte - und es klang nach Abschied.

Lithuania v Germany - EuroBasket 2011

Vorerst sein letztes Länderspiel: Dirk Nowitzki geht nach 141 Länderspielen vom Platz.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Der Grund dafür ist, dass das Team von Bundestrainer Dirk Bauermann ein doppeltes Aus ereilte: Wer es nicht in die Runde der letzten Acht schafft, verpasst darüber hinaus die Chance auf die Olympischen Spiele. Für Nowitzki bedeutet dies, dass seine vielleicht letzte Mission gescheitert ist. Er wollte mithelfen, eine junge Mannschaft auf den Weg nach London zu bringen, doch das gelang nicht.

Und so drängte sich die Frage auf, ob der 33-jährige Ausnahme-Athlet nun Schluss macht im Nationaltrikot. "Das wird sich zeigen, aber nächstes Jahr ist erstmal kein großes Event. Jetzt muss ich Abstand gewinnen und mich erholen," sagte der große Blonde und kündigte damit an, was viele erwartet hatten: Er tritt vorerst nicht mehr für sein Land an. Zuvor hatte der 141-fache Nationalspieler noch etwas Bemerkenswertes gesagt: "Es lag alles an mir, ich war einfach nicht in der Verfassung, ein großes internationales Turnier zu dominieren wie sonst."

Dass Nowitzki ein formidabler Sportsmann ist, der den Basketball liebt, zeigt die Tatsache, dass er nach einer beinahe 100 Spiele langen NBA-Saison überhaupt mit dabei war bei diesem Turnier. Der 2,13-Meter-Mann, der mit den Dallas Mavericks die Meisterschaft gewann, hätte Ferien machen können. Er hätte sich sagen können: In diesem Sommer pfeife ich auf den Sport - und niemand hätte es ihm übel genommen.

Am Ende wurden es zehn Tage Erholung, gefolgt von zwei Wochen Vorbereitung mit den DBB-Kollegen. Nowitzki hatte Lust zu spielen, er wollte es noch einmal anpacken, um erneut dabei zu sein bei olympischen Wettkämpfen, wo er sich schon 2008 den Traum des Dabeiseins erfüllt hatte. Deshalb nahm er Anstrengungen auf sich, die ihn an seine Grenzen brachten - und noch ein bisschen darüber hinaus. Zu beobachten war das an seinen tiefen Augenringen nach dem Spiel gegen die Litauer: Der Strahlemann des Sommers hatte sein Siegerlächeln verloren. Dabei gab es längst Anzeichen für Nowitzkis Erschöpfung. "Das einzige, was wir zu wenig haben, ist Zeit", hatte Dirk Bauermann vor der EM gesagt. Der Bundestrainer wusste, dass sein bester Akteur nicht in Bestform antrat.

Doch nicht nur deswegen waren dem deutschen Spiel im Vergleich zu anderen Nationen einige Defizite anzusehen - am deutlichsten fehlte es wohl im Bereich des Feintunings. Basketball lebt nicht zuletzt von seiner Systematik. Welche Passfolgen ermöglichen ein flüssiges Spiel? Wo landet der Ball, wenn es eng wird? Wie lassen sich freie Würfe kreieren?

All diese Zusammenhänge funktionierten beim DBB-Team weitaus schlechter als bei eingespielteren Mannschaften. Die deutsche Offensive wirkte statisch und stockend, die orange Kugel kreiste mitunter mühevoll in weiter Entfernung vom Korb durch die Hände - nur selten landete sie dort, wo sie eigentlich am besten aufgehoben ist: in den Pranken von Dirk Nowitzki.

Strukturreform im Jugendbereich

Die Gründe dafür sind vielfältig: Dass er ein wandelndes Wurfwunder ist, wissen auch Serben, Litauer oder Franzosen - und ballten dementsprechend ihre Kräfte, um den langen Deutschen mit teilweise überharter Abwehrarbeit am Werfen zu hindern. Es ehrt den Würzburger, dass er sich nicht öffentlich über die ausbleibenden Foul-Pfiffe der Schiedsrichter beschwerte. "Nein, daran lag es nicht. So wird eben auf diesem Niveau verteidigt, das gehört dazu," erklärte Nowitzki.

Dass Nowitzki nicht wie gewohnt Spiele im Alleingang gewann, lag an seiner fehlenden Frische. Wer ihn im Juni beobachtete, wie er gegen die knüppelharte Defensive der Miami Heat den Korb attackierte, musste in den litauischen Septembertagen feststellen, dass von der Heldenfigur "Dirkules" nur eine Sparversion auf dem Parkett übrig blieb, die mit 19,5 Punkten im Schnitt immer noch sehr respektabel agierte - aber eben nicht den Unterschied ausmachte. Die Erwartungen waren hoch, rückblickend zu hoch.

Die Gegner drängelten Nowitzki zur Seite und piesackten ihn zu zweit, ja sogar zu dritt, bis der besonnene Riese so genervt war, dass er sich zu Frustfouls (wie gegen den Serben Nenad Krstic) hinreißen ließ - ein Nowitzki in der Form der NBA-Playoffs hätte solche Nervensägen abgeschüttelt. Ein gutes Team hätte dennoch profitieren können von Nowitzki - wo ein Spieler gedoppelt wird, müssen schließlich andere frei stehen. Doch Bauermanns Truppe versäumte es meist, mit flinken Pässen und viel Bewegung einfache Wurfchancen für den Rest zu schaffen.

Für ein funktionierendes System reichte vor allem die Qualität im Spielaufbau nicht aus. Kapitän Steffen Hamann wirkte als Regisseur in einigen Partien überfordert, er hatte Probleme, den Ball überhaupt über die Mittellinie zu dribbeln. Seine mangelnde Korbgefahr erwies sich einmal mehr als Schwachpunkt für die gesamte Offensive, da sich die Gegner ihre Energien in der Deckung für Nowitzki aufheben konnten. Mutiger und gefährlicher präsentierte sich Alba Berlins Heiko Schaffartzik, der drittbester deutscher Scorer wurde.

Zudem ereilte die Deutschen stets ein sichtlicher Substanzverlust, wenn die zweite Fünf die Etablierten vertrat. Talente wie Center Tibor Pleiß (21 Jahre), Flügelspieler Lucca Staiger (23) oder Forward Tim Ohlbrecht (23) bezahlten gegen die abgezockte - wohlgemerkt oft jüngere - Konkurrenz teuer für ihre Unerfahrenheit. Sie sprangen oft ins Leere oder prallten an robusteren Schultern ab.

Dennoch steht es um die fernere Zukunft des deutschen Basketball gar nicht schlecht. Die neue BBL-Saison verspricht eine schärfere Konkurrenz-Situation gerade mit dem neuen Schwergewicht FC Bayern München. Dorthin verabschiedet sich Trainer Bauermann, hinterlässt dem Verband aber eine Strukturreform in der Ausbildungsarbeit. Die gibt Hoffnung, dass in den kommenden Jahren mehr deutsche Talente in den Profibereich kommen und damit auch die Nationalmannschaft weniger von einem Mann abhängt. Immerhin haben bei der EM der 22-jährige Robin Benzing, Schaffartzik oder Philipp Schwethelm ihr Potenzial gezeigt.

Dass Nowitzki 2013 im Alter von 35 noch einmal die Lust verspürt, es erneut mit einem Haufen ungeschliffener Talente bei einer Europameisterschaft zu probieren, ist nicht zu erwarten. Dem DBB stehen gravierende Veränderungen ins Haus. Zumindest ist für einen Neuanfang viel Zeit - vielleicht sogar soviel, dass Dirk Nowitzki endlich Urlaub machen kann.

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