Basketball:Auf Wiedersehen in einem halben Jahr

Zum Saisonstart der NBA tun sich die Spitzenklubs etwas schwer - die aktuelle Favoritenstellung der Cleveland Cavaliers und des Titelverteidigers Golden State erschüttert das aber nicht.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Mangelndes Gespür für Dramaturgie kann man den Verantwortlichen der nordamerikanischen Basketballliga NBA nicht vorwerfen. Sie haben bei der Gestaltung des Spielplans beschlossen, die Saison mit jenen vier Mannschaften zu eröffnen, von denen erwartet wird, dass sie in einem halben Jahr im Playoff-Halbfinale erneut gegeneinander antreten. Es waren zwei spektakuläre und spannende Partien, die jeweils erst mit der Schlusssirene entschieden wurden: Die Cleveland Cavaliers gewannen 102:99 gegen die Boston Celtics, danach siegten die Houston Rockets beim Titelverteidiger Golden State Warriors 122:121.

Was dieser unterhaltsame Auftakt für den Rest der Spielzeit bedeutet? Gar nichts, die Warriors bleiben trotz der Niederlage Favorit auf die Meisterschaft. Es gibt ein paar Klubs, die sich mächtig verstärkt haben und dennoch kaum eine Chance auf den Titel haben - und es gibt sehr viele Mannschaften, für die der Begriff unterdurchschnittlich viel zu nett ist. Michael Jordan, in den Neunzigern mit den Chicago Bulls selbst jahrelang der einzige Favorit auf den Titel und nun Besitzer der chancenlosen Charlotte Hornets, warnt bereits vor Langeweile: "Die Stars fangen gerade an, sich zusammenzutun. Er wird eine oder zwei großartige Mannschaften geben und 28 andere, die Müll sind."

Die Sommerpause war tatsächlich spannender als die komplette vergangene Saison, als die Warriors die Finalserie locker mit 4:1 Siegen gegen die Cavaliers gewannen. Die Tauschgeschäfte und Vertragsverhandlungen wirkten ein bisschen wie eine Variante des Stuhltanzspiels Reise nach Jerusalem: Zahlreiche Stars positionierten sich auf einem Stuhl, auf dem schon mindestens zwei andere Stars saßen - und die Zahl hochbegabter Spieler begrenzt ist, blieben sehr viele Stühle leer. Die Atlanta Hawks (mit dem gebürtigen Braunschweiger Dennis Schröder) und die Chicago Bulls (mit dem ehemaligen Münchner Paul Zipser) haben nur deshalb Aussichten auf das Erreichen der Playoffs, weil 16 von 30 Klubs und damit oftmals auch unterdurchschnittliche Teams zugelassen werden.

Gordon Hayward

Die Boston Celtics schmerzt eine schwere Verletzung von Gordon Hayward.

(Foto: Tony Dejak/AP)

Angesichts des Ungleichgewichts, das sich im Sommer aufgrund der Transfers verstärkt hat, gibt es zu Saisonbeginn diese Debatte, die auch andere Sportarten beschäftigt: Ist ein Wettbewerb mit nur wenigen ernsthaften Titelkandidaten langweilig - oder liegt gerade darin der Reiz, dass sich unfasslich talentierte Mannschaften in der Hauptrunde beschnuppern und dann am Ende der Playoffs möglichst spannende und spektakuläre Duelle liefern?

Sie diskutieren in den USA gerne über solche Fragen, auf die es keine klare Antwort gibt - und es gibt bereits nach dem Eröffnungsabend neue Fragen, über die nun gestritten wird. Etwa: Erfüllen die Boston Celtics nach der schlimmen Verletzung von Gordon Hayward noch die Großartigkeit-Kriterien von Michael Jordan?

"Das ist die schlimmste Verletzung, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe", sagte Haywards Kollege Kyrie Irving danach - und tatsächlich schmerzt schon der Anblick der unglücklichen Aktion. Hayward verlor kurz nach Spielbeginn bei einem Duell mit LeBron James um ein hohes Zuspiel das Gleichgewicht, beim Aufprall auf das Parkett brach ihm das Schienbein und das Sprunggelenk kugelte aus. Hayward, der von Utah Jazz gekommen ist und gemeinsam mit dem aus Cleveland gewechselten Irving sowie dem vormals in Atlanta tätigen Center Al Horford ein tolles Triumvirat bilden sollte, dürfte mehrere Monate ausfallen; das schmälert die Titelchancen der Celtics erheblich.

Die zweite Frage: Sind die Cavaliers tatsächlich so talentiert, wie das auf dem Papier aussieht? James schaffte mit 29 Punkten, 16 Rebounds und neun Zuspielen beinahe ein Triple Double, Kevin Love (15 Punkte, elf Rebounds) gelang der entscheidende Drei-Punkte-Wurf kurz vor dem Ende, die Zugänge Derrick Rose (aus New York/14 Punkte) und Dwyane Wade (aus Chicago/acht Punkte) agierten ordentlich. Der aus Boston gewechselte Spielmacher Isaiah Thomas ist noch an der Hüfte verletzt. "Es gibt einige Sachen, an denen wir arbeiten müssen", sagte James, und es gibt wahrscheinliche keine vagere Aussage als diese: "Die Saison hat gerade erst begonnen, es ist ein laufender Prozess."

Houston Rockets v Golden State Warriors

Aufregender Abend: Chris Paul und den Houston Rockets gelang es, den Favoriten Golden State um David West zu ärgern.

(Foto: Ezra Shaw/Getty)

Dritte Frage: Können die beiden Spielmacher James Harden und Chris Paul bei den Houston Rockets tatsächlich koexistieren? Antwort: Können sie, wenn Paul (vier Punkte, elf Zuspiele) weiterhin brav den Ball nach vorne trägt und kein Problem damit hat, dass die meisten Spielzüge dann doch von Harden (27 Punkte, zehn Zuspiele) orchestriert und abgeschlossen werden.

"Wir haben es vielleicht zu locker genommen", glaubt Kevin Durant

Und die Golden State Warriors, die all die Wechselspiele im Sommer verfolgt haben wie jemand, der es sich mit einer Tüte Popcorn im Kino gemütlich macht und einen Film sieht, dessen Ausgang (die Warriors werden Meister) er schon kennt? "Das war das erste von 82 Spielen", sagte Kevin Durant danach, dessen erfolgreicher Wurf am Ende die Hand ein wenig zu spät verlassen hatte und deshalb nicht zählte: "Wir haben sehr hoch geführt und es dann vielleicht ein bisschen zu locker genommen. Das müssen wir abstellen, wir müssen bis zum Ende konzentriert bleiben."

Könnte es wirklich passieren, dass den Warriors so langweilig wird, dass sie die Meisterschaft trotz des mit Abstand talentiertesten Kaders der Liga verspielen? Darüber dürfen nun erst einmal die Experten in den zahlreichen Sport-Talkshows in den USA debattieren. Die NBA kann derweil darauf verweisen, die spektakulärsten und spannendsten Partien der Hauptrunde auf dramaturgisch wertvolle Tage gelegt zu haben. Deshalb schon mal vormerken: An Weihnachten spielen die Warriors und die Cavaliers gegeneinander - die Klubs, die wohl zum vierten Mal nacheinander die Finalserie bestreiten.

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