Bashing gegen Boateng:Revanchefoul im Internet

In Internetforen lassen Fußballfans ihrem Hass auf Ballack-Foulspieler Kevin-Prince Boateng freien Lauf. Sogar Experten nennen die Hetztiraden "schockierend".

David Bernreuther

Mittwochmorgen, kurz nach neun Uhr bei Facebook. Die Stimmung unter den Usern ist aufgeheizt. Noch immer aufgeheizt. Denn die Aktion, um die sich die Debatte dreht, ist bereits vier Tage her, die Folgen sind seit zwei Tagen bekannt: Es geht um den ghanaischen Fußballspieler Kevin-Prince Boateng, der Michael Ballack heftig gefoult und dabei so schwer verletzt hat, dass der Kapitän der deutschen Nationalelf nicht an der Weltmeisterschaft in Südafrika teilnehmen kann.

Facebook Boateng AP

Kevin-Prince Boateng nach seinem verschossenen Elfmeter im FA-Cup-Finale für Portsmouth gegen Chelsea.

(Foto: Foto: dpa)

In der Gruppe "82.000.000 gegen Boateng" dürsten etliche User des sozialen Online-Netzwerks Facebook nach Rache: "Hoffentlich bekommt dieser Drecksack eine rein, dass er gar nicht mehr Fußball spielen kann", schreibt ein Nutzer. Ein zweiter fordert die WM-Nominierung des Frankfurters Maik Franz, der in der Bundesliga schon mehrmals durch überhartes Einsteigen oder Pöbeleien aufgefallen ist und ein Image als Rüpel weg hat: "Wechselt ihn mit einem Spezialauftrag in der 80. Minute gegen Ghana ein!!"

Im Internet ist nach Ballacks WM-Aus eine Anti-Boateng-Bewegung entstanden. Bei Facebook, bei StudiVZ, bei Twitter - überall giften die User den Offensivspieler vom FC Portsmouth an. Sie gründen Gruppen und laden ihre Freunde zum Mitmachen ein. Sie laden Bilder hoch, die Boateng mit zerkratztem Gesicht oder im Fadenkreuz einer Schusswaffe zeigen.

Diese Form des Online-Mobbings nennt sich Bashing, was sich vom englischen "bash" für "heftiger Schlag" ableitet. Viele User nehmen das wörtlich. Seit der Nacht zum Mittwoch hat die Facebook-Gruppe "82.000.000 gegen Boateng" mehr als 100.000 Mitglieder. Viele von ihnen nutzen sie als Plattform für üble Beleidigungen: "Wenn ich ihn sehe, piss ich ihn an", "Diese Ratte!", oder "Boateng stinkt doch einfach nur" sind drei Beispiele - und lange nicht die schlimmsten.

Vereinzelt sind auch rassistische Äußerungen zu lesen, doch deren Verfasser werden von den anderen Usern selbst beschimpft oder verspottet, als "rechte Schmeißfliegen" oder als "Loser" zum Beispiel. "Das ist eine Seite für Fußballfans, nicht für Rassisten", heißt es in der Beschreibung der Gruppe.

"Die Intensität der Diskussion war zu erwarten, aber die dabei auftretende Brutalität ist schockierend", sagt Jan-Hinrik Schmidt. Der Soziologe vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung der Universität Hamburg sagt, solche Anfeindungen habe es schon immer gegeben, "im kleinen Kreis am Stammtisch oder am Rand des Spielfelds". Neu sei nur, dass sich die Hetzparolen durch das Internet schnell und schneeballartig verbreiten könnten. Jeder User kann im Schutz eines Pseudonyms Hunderttausende erreichen - das spornt an und lässt die Hemmschwelle sinken.

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"Gegen Hetzjagd auf Boateng"

Kevin-Prince Boateng ist nicht der erste Sportler, der in Internetforen verunglimpft wird. Bei StudiVZ gibt es zum Beispiel Gruppen über den Bremer Torwart Tim Wiese, die die Wörter "Hauptschulabbrecher" und "knackgebräunte Primaballerina" im Titel tragen. Jermaine Jones wurde in einem Fanforum übel beschimpft, als sein Wechsel von Frankfurt nach Schalke bekannt wurde. Jones loggte sich selbst in das Forum ein, um sich zu rechtfertigen. Der eine Teil der Fans wertete das als aufrichtig, der andere als heuchlerisch. Und natürlich wird auch außerhalb des Sports gebasht: Einem Kandidaten der Fernsehshow "Schlag den Raab" ist die Facebook-Gruppe "Ich könnte Hans-Martin pausenlos die Fresse polieren" gewidmet. In Italien wurde selbst Staatspräsident Silvio Berlusconi zum Bashing-Opfer.

Gegen Boateng wird das Bashing in Deutschland besonders intensiv und aggressiv, weil es gleich mehrere Faktoren gibt, die den gebürtigen Berliner zur Reizfigur machen. Wenn sich jemand vorsätzlich als Feindbild der deutschen Fußballfans hätte inszenieren wollen, hätte er es kaum besser anstellen können: Gegen Boateng gab es vor einiger Zeit Vorwürfe, er habe bei einem nächtlichen Streifzug durch Berlin Spiegel von Autos abgetreten. Seitdem sehen ihn viele als undisziplinierten Randalier, Facebook-User nennen ihn "Ghettokid" und "Möchtegern-Gangster".

In der Jugend spielte Boateng für den DFB, bei der WM will er allerdings für Deutschlands Gruppengegner Ghana antreten. Im Internet heißt er deshalb "Staatsfeind Nr. 1" oder "Vaterlandsverräter" (obwohl Boatengs Vater ja aus Ghana stammt). Und nun der Tritt gegen Ballack, den wichtigsten Spieler der Nationalelf. "Deutschland hasst dich!", schreibt ein User.

"Es liegt auch bei den Forenbetreibern, zu reagieren, wenn die Nutzer deutlich über das Ziel hinausschießen", sagt Soziologe Schmidt. Doch das ist nicht so einfach. Die Betreiber der sozialen Netzwerke löschen beleidigende oder gar volksverhetzende Beiträge zwar, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden - doch das geschieht längst nicht immer. Ein User, der von den Betreibern wegen solcher Kommentare gesperrt wird, kann sich mit einer anderen Mailadresse neu anmelden. Wenn eine diffamierende Gruppe von den Betreibern geschlossen wird, können die Nutzer einfach eine neue eröffnen.

In Internetforen gibt es allerdings nicht nur Wut, Hass und Beschimpfungen. Zwischen all den Vorwürfen gegen Boateng tauchen auch etliche gemäßigte oder kritische Beiträge auf. Sie verweisen zum Beispiel auf den Wischer, mit dem Ballack Boateng einige Minuten vor dem Foul provoziert haben soll. Oder auf Ballacks Ellbogenschlag gegen den Argentinier Martin Demichelis im Länderspiel Anfang März. Damals sei Ballack ja ungestraft davon gekommen und habe sich nicht entschuldigt. Es gibt auch eine Gruppe "Gegen die Hetzjagd auf Kevin-Prince Boateng", die "nicht auf die Medienhetze aufspringen" will und sich "fremdschämt" für die Kommentare in "82.000.000 gegen Boateng". Mit etwas mehr als 1.000 Mitgliedern ist sie aber deutlich kleiner.

Am Mittag hat sich die Stimmung bei Facebook ein wenig beruhigt. Zwar wird kollektiv betrauert, dass Boateng wegen des Fouls nicht für die WM gesperrt werden kann, doch zugleich macht sich eine Jetzt-erst-recht-Stimmung bemerkbar. "Vielleicht war das ein Impuls, den die Mannschaft gebraucht hat", schreibt ein User. Ein zweiter fügt hinzu: "Ohne Ballack werden wir wenigstens nicht Zweiter." Und ein paar Nutzer haben sich zu einer aussichtslosen Initiative verbündet. Sie fordern: "Liebe Fifa, verschiebt die WM bis zur vollständigen Genesung Ballacks."

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