Baseball:Johlen für den Schummler

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Rührstück mit Töchtern: Der Baseball-Profi Alex Rodriguez nimmt bei seinem letzten Spiel für die New York Yankees Abschied von den Fans. (Foto: imago)

Das Karriereende von Baseball-Idol Alex Rodriguez, der lange für die New York Yankees spielte, verdeutlicht das gespaltene Verhältnis der Amerikaner zum Thema Doping.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wie soll ein Sportler in Erinnerung bleiben, der einen Großteil seiner Karriere damit verbracht hat, seine Auftritte mit leistungsfördernden Mitteln zu frisieren? Eine einfache Frage, deren verantwortungsbewusste Beantwortung zu einer Doktorarbeit ausarten könnte. Die mehrfach überführte Doperin Julia Jefimowa etwa hatte sich ihr Startrecht bei den Olympischen Spielen vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas erstritten, in Rio wurde die russische Schwimmerin von den Zuschauern ausgepfiffen, von den Kolleginnen geschmäht, von Journalisten beleidigt. Sie reagierte erst trotzig, dann wütend, später mit Tränen. So wird sie in Erinnerung bleiben.

Fans ignorieren das Dopen. Sogar in großen Illustrierten erscheinen seltsame Kommentare

Beinahe zur selben Zeit verkündete der mehrfach überführte Doper Alex Rodriguez, seine Karriere als Baseballspieler beenden, am vergangenen Wochenende bestritt er sein letztes Spiel für die New York Yankees.

In Sports Illustrated, der noch immer einflussreichsten Sportzeitschrift der USA, erschien ein Text über Rodriguez, der so endete: "Eine Pille, Spritze oder Creme verhilft nicht zu großartigen Leistungen. Es hat noch keiner ein Mittel erfunden, das 696 Home Runs und 3114 erfolgreiche Schlagversuche ermöglicht. Alex Rodriguez ist einer der größten Sportler aller Zeiten - und keiner seiner Fehler oder die Obsession unserer Generation mit diesen Fehlern wird das ändern." Kein Witz, so stand es in der Tat zu lesen. Rodriguez wurde aus seinem Vertrag entlassen, auf die darin festgehaltenen 27 Millionen Dollar für die kommende Saison muss er aber nicht verzichten - er soll Berater für jüngere Spieler werden.

Beim letzten Spiel seiner Karriere wurde Rodriguez, 41, ein- und gleich darauf wieder ausgewechselt. Er durfte ein paar Minuten lang auf seiner Lieblingsposition an der dritten Base spielen, dann lief er vom Feld, klatschte seine Kollegen ab und umarmte Trainer Joe Girardi, der weinte wie ein Vater bei der Hochzeit seines Sohnes. Die Zuschauer in diesem Stadion in der Bronx standen auf und applaudierten. Ach was, sie johlten derart, dass Rodriguez danach sagte: "Das ist nicht zu überbieten, ich werde mich mein ganzes Leben lang an diesen Moment erinnern."

Der Umgang mit dem Karriereende von Rodriguez verdeutlicht das gespaltene Verhältnis der Amerikaner zum Thema Doping. Rodriguez wurde nachgewiesen, seinen Körper zunächst von 2001 bis 2003 mit Steroiden vollgepumpt zu haben, von 2007 bis 2008 mit Testosteron; und von 2010 bis 2012 bekam er leistungsfördernde Mittel aus einer Dopingklinik in Miami. Einmal rief er mitten in der Nacht bei Klinikchef Anthony Bosch an und bettelte um Nachschub.

Rodriguez ist jedoch nicht das Symbol eines staatlich geförderten Dopings einer Nation - er ist eine typisch amerikanische Erfolgsgeschichte: Sohn von Einwanderern aus der Dominikanischen Republik (wo er selbst vier Jahre lang als Kind lebte), ein Selfmade-Athlet, der nicht nur zuverlässig den Ball aus dem Stadion knüppelte und die Yankees zur Meisterschaft im Jahr 2009 führte (Rodriguez' einziger Titel in einer 23 Jahre dauernden Profikarriere), sondern dabei auch noch hinreißend aussah. Einer, dessen Foto sich Kinder als Poster ins Zimmer hängen und mit dem Frauen wie Madonna, Kate Hudson oder Cameron Diaz gerne mal ausgehen möchten.

Es gefällt, wenn ein Geprügelter siegt. Und wenn er alles, wirklich alles für diesen Sieg tut

Die Fassade bröckelte allerdings. Für seine Dopingvergehen wurde er 2014 für die komplette Saison gesperrt, eine Gefängnisstrafe konnte er nur durch ein umfassendes Geständnis über Bestechung, Behinderung der Justiz und Einschüchterung von Zeugen sowie Aussagen gegen seinen Cousin Yuri Sucart abwenden. Er verklagte die nordamerikanische Profiliga MLB wegen seiner Sperre, so wie Jefimowa vor dem Cas klagte. Er reagierte auf seine Sperre und die Beschimpfungen von Fans und Kollegen erst trotzig, dann wütend, später mit Tränen. Und es gelang Rodriguez immer wieder, seine Geschichte als typisch amerikanische Story darzustellen.

Wann immer er erwischt wurde, gab er sich als Geläuterter, vor einem Jahr veröffentlichte er einen handgeschriebenen Brief an seine Fans, in dem er schrieb: "Ich bedauere, dass meine Handlungen die Situation schlimmer als nötig gemacht haben." Andere berühmte US-Sportler, Lance Armstrong und Marion Jones etwa, mussten Medaillen wegen Dopings zurückgeben oder bekamen Siege aberkannt, bei Rodriguez wurde einfach weitergezählt, weil er den Baseballfans immer die sentimentale Botschaft des Rückkehrers vermitteln konnte. Und das lieben sie ja in den USA: Wenn einer zu Boden geprügelt wird, jedoch nicht liegen bleibt, sondern aufsteht und allen Widrigkeiten zum Trotz am Ende siegt. Und wenn er alles, wirklich alles für diesen Sieg tut.

"Man darf nicht nur an Fehlern gemessen werden", sagte Rodriguez jetzt nach seinem letzten Spiel, "es zählt genau so, wie einer zurückkommt." Er rechtfertigte sich für seine Doping-Vergehen stets damit, dass er darunter gelitten habe, perfekt sein zu müssen, und dass er deshalb seinen Körper mit allerhand verbotenen Mittel vollgestopft habe. Er sei ein Opfer seines eigenen Ehrgeizes und damit, so die krude Logik, sei er irgendwie unschuldig, weil: Haben wir nicht alle schon mal gefoult, um zu gewinnen? Haben wir nicht alle schon mal beschummelt?

Viele Amerikaner konnten diese Begründung nachvollziehen, weil das Streben nach Erfolg und die Bereitschaft, dafür alles zu opfern, in der DNA dieses Landes verankert ist. Der Schummler Rodriguez wird daher vielen als Verklärter in Erinnerung bleiben.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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