Bahnrad-WM:In grünen Socken zu Gold

Joachim Eilers gewinnt bei der Bahnrad-WM im Keirin seinen zweiten Titel.

Von Sven Haist, London

Es ist der Moment, auf den Joachim Eilers bei seiner Ehrenrunde gewartet hat. Auf der Gegengerade des Bahnradovals im Londoner Olympiapark entdeckt er im Publikum ein rechteckiges Tuch, das in den deutschen Nationalfarben bedruckt ist. Eilers hält kurz an der Absperrung und sichert sich das rare Exemplar unter den überwiegend britischen Fans. Aus den Boxen dröhnt "Das geht ab" von den Atzen und passend zur Liedzeile hebt Eilers jetzt seine Hände mit der schwarz-rot-goldenen Fahne in die Luft. "Das wollte ich schon immer mal machen", sagt er, "ich freue mich auf die Fotos."

Ein Pulk an Fotografen hat dieses Motiv für ihn festgehalten, und die Fotografen sind es auch, die Eilers, den neuen zweifachen Weltmeister, irgendwann im Lee Valley Velo Park zum Stehen bringen. Nach seinem Triumph im 1000-Meter-Zeit- fahren am Donnerstag rettete Eilers nun in der Keirin-Disziplin Zweitausendstel-Sekunde Vorsprung über die Ziellinie. Schon zwei Runden vor Schluss hatte sich der gebürtige Kölner an die Spitze des sechs- köpfigen Feldes gesetzt, mit dem Hinter- gedanken, dass "ich nicht komplett leer ausgehen kann, wenn ich vorne bin. Ich habe ein gutes Stehvermögen."

Bahnrad-WM: Immer wieder forsch von vorne weg: Weltmeister Joachim Eils beim Keirin-Finale in London.

Immer wieder forsch von vorne weg: Weltmeister Joachim Eils beim Keirin-Finale in London.

(Foto: Eric Feferberg/AFP)

Der Gesichtsausdruck von Eilers verrät die Schinderei im Wind, sein Mund schnaubt nach Luft, "ein bisschen Halsschmerzen" habe er gehabt, aber die aufkommenden Glücksgefühle geben ihm nun so viel Kraft, dass er sich auf den Beinen halten kann für ein paar weitere Bilder. "Das ist ein Traum, aus dem mich jemand wecken muss. Ich kann das noch nicht begreifen." Eilers schüttelt immer wieder seinen Kopf, hebt seinen Fuß aufs Rad und deutet mit dem Finger auf seine grellgrünen Socken: "Das sind meine Glücksbringer. Grün ist meine Lieblingsfarbe." Seit drei Jahren trägt Eilers die Farbe. "Es ist schwierig uns Deutsche im Nationaltrikot auseinander zu halten. An den Socken sieht man aber: Das ist der Joe!"

Spätestens seit Sonntagabend benötigt Joe Eilers kein Kennzeichen mehr, um sich aus der Masse an Athleten abzuheben. Er ist mit den ersten beiden Goldmedaillen seiner Karriere und Rang drei im Teamsprint der erfolgreichste Sportler der 106. UCI-Bahnrad-WM. Seine Sternstunde hat den Bund Deutscher Radfahrer mit insgesamt acht Medaillen auf den zweiten Platz der Ergebnislisten katapultiert hinter dem Team aus Großbritannien, das durch ihre Straßenrad-Stars Bradley Wiggins und Mark Cavendish im Teamwettbewerb das ersehnte goldene Ende bekam. "Eine WM, die hängen bleibt", findet Bundestrainer Detlev Uibel. "Unser Soll ist übererfüllt. Mit der Ausgangsposition gehören wir in Rio zu den Favoriten."

Bahnrad-WM: "Ich habe noch drei Titaniumschrauben drin. Ich bin stabiler geworden": Joachim Eilers, 25, erlitt im Juli 2015 einen schweren Unfall.

"Ich habe noch drei Titaniumschrauben drin. Ich bin stabiler geworden": Joachim Eilers, 25, erlitt im Juli 2015 einen schweren Unfall.

(Foto: Eric Feferberg/AFP)

Im Januar feierte Uibel sein 25-jähriges Dienstjubiläum, 25 WM-Titel sind nun in seine Amtszeit gefallen. Beim Zieleinlauf von Eilers jubelte Uibel als Erster, sein Auge benötigt kein Zielfoto mehr. "Joe hat nichts geschenkt bekommen, sondern lange gekämpft für den Status, den er jetzt hat." Eilers ist der vierte deutsche Bahnradweltmeister. Für dieses Ziel hat er sogar seine Ausbildung bei der Bundespolizei für ein Jahr ausgesetzt.

Beinahe wären seine Ambitionen vor sechs Monaten zu gescheiterten Hoffnungen geworden. Bei einem Wettkampfunfall brach sich Eilers den Oberarmknochen fünfmal, zwei Operationen und sechs Wochen Pause folgten. Drei Titanschrauben befinden sich weiterhin in seinem Körper. Ob er ans Aufhören gedacht habe: "Nein", sagt Eilers, "aber mir kamen die Tränen, als der Arzt die Röntgenbilder vorgelegt hat. Ich habe den Olympia-Traum schon platzen sehen." Der Tiefschlag habe dafür gesorgt, dass er "die Zähne total zusammengebissen habe". Als Person sei er gereift, findet der Bundestrainer, "jetzt kann Joe nicht nur schnell, sondern auch taktisch fahren."

In die Ausführungen von Uibel mischt sich Stolz, wieder ist es ihm gelungen, einen "Rohdiamanten" richtig zu bearbeiten. "Ich habe die Philosophie, dass man mit viel Reden gar nicht so viel erreicht. Es muss innerhalb der Gruppe eine Dynamik einsetzen."

Weil Eilers eher zurückhaltend ist, führt Kristina Vogel das Team an. Zu ihren bisherigen sechs WM-Titeln gewann sie in London einen weiteren. "Auf der Bahn bin ich ein Egoist, aber nicht privat", sagt sie. In der Mannschaft besitzt sie den Spitz- namen Mutti. Vor sieben Jahren musste Vogel sich ebenfalls durch eine schlechte Phase kämpfen, als sie beim Training mit einem Kleinbus kollidierte. "Wahnsinn, wie viel Energie in ihrem Körper steckt", schwärmt Eilers. Vor den Wettkämpfen bekommt jedes Teammitglied von Vogel eine Überraschung, etwas Süßes. Diesmal gab es Schokolade, auf der mit Zuckerguss die Namen standen. "Ich sage mir: Vom Bauch ins Herz - und vom Herz in die Beine", sagt Kristina Vogel.

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