Australien Open:Favoritenschrecken

Melbourne sieht bunte Shirts, fallende Helden und deutsche Erfolge. Zehn Thesen, welche Erkenntnisse die erste Woche des "Happy Slam" gebracht hat - abseits der Wettbetrugs-Debatte.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Halbzeit bei den Australian Open. 128 Spielerinnen und 128 Spieler befanden sich am vergangenen Montagmorgen im Teilnehmerfeld beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres. Bis Samstag wurde kräftig ausgesiebt, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern sind nur noch jeweils 16 Profis übrig. Das Achtelfinale wird am Sonntag und Montag ausgetragen. Zehn Thesen, welche sportlichen Erkenntnisse die Veranstaltung bislang gebracht hat, ehe am kommenden Samstag das Frauenfinale und am Sonntag das Männerfinale stattfinden wird.

1. Bei den Frauen scheitern mehr Gesetzte als bei den Männern

Neun Frauen, die gesetzt wurden, schafften es in die Runde der letzten 16. Bei den Männern 15. Auch scheiterten bei den Frauen mehr Topgesetzte. Am Samstag verlor die Wimbledon-Finalistin Garbiñe Muguruza gegen die Tschechin Barbora Strycova 3:6, 2:6. Die Spanierin war die Nummer drei im Turnier. Vorher waren die Rumänin Simona Halep (erste Runde) als Nummer zwei und die Tschechin Petra Kvitova (zweite Runde) als Nummer sechs ausgeschieden. Bei den Männern war Rafael Nadals Niederlage als Fünftgesetzter zum Auftakt gegen den spanischen Landsmann Fernando Verdasco der größte Aufreger.

2. Die deutschen Frauen sind besser als die deutschen Männer

Dieses Gesetz gilt mehr denn je bei den Australian Open. Bei den Männern erreichte von fünf Hauptfeldstartern nur Daniel Brands aus Deggendorf die zweite Runde. Dann verlor auch er, gegen den Spanier Guillermo Garcia-Lopez. Bei den Frauen waren vier in der dritten Runde, nun sind drei im Achtelfinale. Das gab es seit 1988 nicht mehr; damals waren vier Deutsche so weit vorgestoßen, Steffi Graf, Sylvia Hanika, Claudia Porwik und Claudia Kohde-Kilsch. Und weil Angelique Kerber und Annika Beck aufeinander treffen, steht bereits eine Deutsche im Viertelfinale.

3. Die jungen Wilden zünden (noch) nicht

Der Australier Nick Kyrgios wird seit zwei Jahren hoch gehandelt, er spielt auch teils genial. Aber er pöbelt auch teils genial. Im Match gegen den Tschechen Tomas Berdych jammerte er den Schiedsrichter voll, dass er Musik höre, von irgendwo. Kyrgios verlor. Auch andere Anfang 20 schieden aus, denen perspektivisch Großes zugetraut wird. Der Bulgare Grigor Dimitrow verlor in Runde drei (gegen Roger Federer). Der Österreicher Dominic Thiem kam an der Hürde David Goffin (Belgien) nicht vorbei. Der Kanadier Milos Raonic immerhin hat die Chance auf mehr. Er trifft allerdings nun auf den Schweizer Stan Wawrinka. Der gewann 2014 in Melbourne.

4. Nadals Zeit geht schleichend zu Ende

Von den großen Vier, den Big Four, kann man - bezogen auf die Gegenwart - nicht mehr bedenkenlos reden. Der Serbe Novak Djokovic ist seit einem Jahr The Big One und in seiner eigenen Liga. Federer und Murray mühen sich hinter ihm ab. Nadal? Hat bei den letzten drei Grand Slams nicht mal das Achtelfinale erreicht. Er macht nicht den Eindruck, als könne er auf großer Bühne derzeit weit vorstoßen.

5. Serena Williams ist zurück

Die unangefochtene Weltranglisten-Erste scheiterte im Herbst 2015 ganz knapp an einer historischen Leistung. Nach drei Grand-Slam-Siegen in Serie hätte sie beinahe den Saison-Grand-Slam geschafft. Sie verlor dann aber im Halbfinale bei den US Open gegen die Italienerin Roberta Vinci. Danach tauchte sie unter, unternahm nur noch Privates, suchte Abstand vom Tennis. Auch ihren Start beim Hopman Cup hatte sie abgesagt, Anfang Januar. Wegen Kniebeschwerden. Die Branche sorgte sich. In Melbourne macht sie einen guten Eindruck auf dem Platz. Ihre Sätze bisher: 6:4, 7:5, 6:1, 6:2, 6:1, 6:1.

6. Der deutsche Nachwuchs braucht noch Zeit

Keine Nachwuchsspielerin aus Deutschland schaffte es ins Teilnehmerfeld bei der Juniorinnen-Konkurrenz. Bei den Jungs nur Rudolf Molleker aus Berlin, er ist mit 15 aber noch sehr jung und darf sich noch Zeit nehmen. Nicola Kuhn, 15, startet zwar noch für Deutschland, aber bald wird er das für Spanien tun. Er lebt dort seit seiner Kindheit. Anfang Oktober erreichte er mit Marvin Möller und Maximilian Todorow den zweiten Platz beim Junior Davis Cup. Molleker und Kuhn schieden indes in der ersten Runde aus. Im Hauptfeld der Juniorinnen stand wiederum keine einzige Deutsche.

7. Der Slice ist im Frauentennis weiterhin eine Rarität

Dabei ist der Schlag mit Unterschnitt eine Waffe, aber leider völlig verkannt und unterschätzt. Bei den Männern sieht es anders aus: Viele in der Spitze packen die Säge mit dem Schläger aus. Andy Murray zum Beispiel und Tomas Berdych und Roger Federer und Milos Raonic und Jo-Wilfried Tsonga und Roberto Bautista-Agut und Gilles Simon. Warum Frauen nicht slicen? Das ist ein Rätsel, das noch gelöst werden muss.

8. Jedes Jahr ein neuer Modetrend

Das Turnier in Melbourne ist das erste große der Saison. Die Tennisindustrie schickt ihre Stars neu eingekleidet auf die Tour. Viele neue Schlägermodelle befinden sich in den Taschen. Und die Wettkampfkleidung der Spieler ist auch meist eine neu entworfene. Gewöhnungsbedürftig ist vor allem das Outfit von Oberproll Kyrgios. Er spielte im ärmellosen Shirt, das wie ein Basketballtrikot aussah. Tennis, der weiße Sport? Längst ein abgegriffenes Bild. Und seit Melbourne 2016 endgültig. Man denke ja auch an das Thema Wettbetrug.

9. Eugenie Bouchard ist weiterhin eine Enttäuschung

Die junge Kanadierin gilt seit zwei Jahren als kommende Grand-Slam-Gewinnerin. 2014 stand sie im Wimbledon-Finale. Sie gilt als Spielerin, die sich weltweit am besten vermarkten lässt. Schon jetzt hat sie Millionen-Deals, sie hat sogar einen Vertrag als Model. Zurzeit ist sie 37. in der Weltrangliste, Tendenz fallend. In Melbourne gewann sie tatsächlich ihr erstes Match, gegen die Serbin Aleksandra Krunic. Aber schon in der zweiten Runde zeigte ihr die starke Polin Agnieszka Radwanska Grenzen auf. 4:6, 2:6. Auf den roten Teppichen macht Bouchard vorerst einen besseren Eindruck.

10. Ein Grand-Slam-Turnier beginnt immer in der zweiten Woche

Auch dieses Gesetz gilt mal wieder. Die erste Woche war Vorgeplänkel. Die Mehrzahl der Favoriten setzte sich durch, wenn auch bei den Männern mehr als bei den Frauen (siehe 1.). Für Djokovic, Federer, Williams und Scharapowa gilt es, sich ohne zu großen Energieverlust von Runde zu Runde zu arbeiten und in Position zu bringen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: