Australian Open:Zwei sehr große Fettnäpfchen

Australian Open: Maria Scharapowa ist in Melbourne wieder mit dabei.

Maria Scharapowa ist in Melbourne wieder mit dabei.

(Foto: AFP)

Maria Scharapowa kehrt nach ihrem Dopingfall auf die Australian Open zurück - die Veranstalter begehen kapitale Fehler, die verwundern.

Kommentar von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die Australian Open haben sich einen exzellenten Ruf erworben. Der war nicht immer so gegen Ende des vergangenen Jahrtausends. Doch dann hat der Ausrichter, der mächtige Verband Tennis Australia, viel richtig gemacht. Der wichtigste Schritt: der Wechsel auf Hartcourt; und dann immer wieder: hohe Investitionen in die Anlage plus hartnäckige, pfiffige Vermarktung.

Der erste Grand-Slam-Event der Saison gilt als zukunftsweisende Messe der Branche. Hier entstanden die ersten Grand-Slam-Arenen mit Dach, hier wurde gerade der erste automatisch hochfahrbare Schiedsrichterstuhl vorgestellt. Die Beliebtheit dieses Turniers drückt sich im Begriff Happy Slam aus, als der die Australian Open bezeichnet werden. (Geprägt wurde der Begriff vor zehn Jahren von Roger Federer.) Freundlichkeit ist eine Selbstverständlichkeit. Von dieser Grundhaltung profitieren alle: Spieler, Zuschauer, Mitarbeiter.

Zum Start dieser Ausgabe haben es die Veranstalter allerdings übertrieben mit der Höflichkeit. Ein wenig mehr Haltung wäre wünschenswert gewesen.

Scharapowas Dopingfall wird regelrecht tabuisiert

Vor dem Wochenende fand die Auslosung für die Wettbewerbe im Frauen- und Männereinzel statt. Obligatorisch ist, dass die Titelverteidiger erscheinen. Roger Federer kam, der Schweizer wurde aber erwartungsgemäß nicht von Serena Williams begleitet - die Amerikanerin verzichtete nach der Geburt ihrer Tochter auf einen Start. Dafür betrat Maria Scharapowa die Margaret Court Arena - und damit traten die Veranstalter gleich in zwei sehr große Fettnäpfchen.

2016 war die Russin in Melbourne mit einer positiven Dopingprobe aufgeflogen, was später publik gemacht wurde. Sie hatte ein nicht mehr erlaubtes Mittel eingenommen (Meldonium), das in vielen Ländern überhaupt nicht zugänglich ist und vor allem Herz- und Kreislaufpatienten nehmen sollen. Scharapowa wurde gesperrt für 15 Monate; 2017, als ihre ewige Rivalin Serena Williams mal wieder in Melbourne siegte, fehlte die Russin logischerweise.

Zwölf Monate später durfte Scharapowa nun den Pokal ihrer Erzgegnerin für die kleine Auslosungszeremonie auf den Platz tragen. Im Live-Interview wurde sie nach ihrer "Auszeit" gefragt und wie sie diese "freie Zeit" erlebt habe. Kein Mal fielen Wörter wie Doping oder Meldonium, natürlich nicht. Das vorgetragene Stück wirkte wie ein Schauspiel, bei dem informierte Zuseher für nicht informiert verkauft wurden. Und es verstärkte mal wieder den Eindruck, dass sich der Tennissport gerne für jede Moralität selbst preist - aber wenn es ums harte Business geht, Publicity und Tickets und Schlagzeilen, ist die Moralität selbstredend nachrangig. Auch im einst so weißen Sport schaut man gerne weg, wenn es um das richtige Maß an Selbstreflexion geht.

Der so fleißige und umtriebige Turnierdirektor Craig Tiley, beliebt bei allen Spielern, hat die Wahl von Scharapowa als Williams-Ersatz damit begründet, es wäre sonst kein ehemaliger Champion verfügbar vor Ort gewesen (dafür wäre es aber die Nummer eins Simona Halep gewesen oder Serenas Schwester Venus). Auch sei Scharapowas Strafe absolviert und sie ja die Siegerin von 2008. "Maria verdiente diese Gelegenheit", sagte Tiley. Das mag sein, sportlich betrachtet. Und doch erhärtet das fast schon ignorant wirkende Ausblenden von Scharapowas Dopingfall den Eindruck, solche Vergehen seien derart unerheblich, dass sofort jeder wieder zum Idol taugt.

Ein nicht mehr tragbares Idol wird geschont

Scharapowa sollte nicht nachträglich überhart behandelt werden. Aber sie als Vorbild ins Blitzlicht zu stellen und ihre Vergangenheit regelrecht zu tabuisieren, wird aufgrund der speziellen Vorgeschichte dem Thema nicht gerecht - und auch nicht der Ernsthaftigkeit des Anti-Doping-Kampfes.

Erfahrungsgemäß wird der Tennissport keinen tieferen eigenen Diskurs zu diesem Konflikt führen, es fehlt ein Ankläger von Rang aus dem eigenen Kosmos. Im zweiten heiklen Fall gibt es den. Die Margaret Court Arena wurde nach der erfolgreichsten Tennis-Spielerin benannt, die es je im Amateur- und Profisport gab. 24 Grand-Slam-Turniere gewann Court insgesamt (einen mehr als Serena Williams). Leider fällt die Australierin inzwischen oft mit homophoben und anderen diskriminierenden Kommentaren unangenehm auf. Transgender-Kinder seien vom Teufel, so hetzte sie öffentlich im Radio.

Die Amerikanerin Billie Jean King, ewige Kämpferin für Gleichberechtigung der Frauen und gegen Diskriminierung, hat sich nach längerem Zögern nun klar dagegen ausgesprochen, dass die Margaret Court Arena weiter so heißen solle. "Ich würde dort nicht spielen", sagte die zweimalige Melbourne-Siegerin, just vor diesem Wochenende, als sie von Tiley die Auszeichnung zur "Australian Open Woman of the Year" erhielt. Das klang, als rufe sie zum Boykott auf, aber sie mied dieses Wort. Dem Aufruf wäre wohl auch kaum jemand gefolgt, alle Spitzenspieler, die an diesem Samstag nach dieser Option gefragt wurden, lehnten diese Konsequenz ab. Tiley wiederum berief sich darauf, die Namensnennung liege nicht nur in der Zuständigkeit des Tennis, sondern etwa auch der Politik des Bundesstaates Victoria. Zudem sei Courts Meinung ihre Privatsache, und man wolle als Veranstalter selbst tolerant sein und keinen wegen einer privaten Meinung geißeln.

Die Margaret Court Arena ist aber dennoch aufgrund der Namensgeberin ein belasteter Ort. Immerhin wird es am Ende des Frauenturniers das richtige Zeichen geben. Billie Jean King wird dann der Siegerin den Pokal überreichen. Exakt 50 Jahre nach ihrem Australian-Open-Erfolg im Finale - gegen Margaret Court.

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