Australian Open:Zverev liefert epischen Kampf

Australian Open: Zeigte eine starke Leistung gegen Rafael Nadal: Alexander Zverev aus Hamburg.

Zeigte eine starke Leistung gegen Rafael Nadal: Alexander Zverev aus Hamburg.

(Foto: AFP)

Der 19-jährige Deutsche und Rafael Nadal zeigen das bislang beste Match der Australian Open. Nach mehr als vier Stunden siegt der Spanier - und lobt seinen Herausforderer.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die paar Quadratmeter vor der Spielerumkleide sind ein spezieller Bereich. Hier tummeln sich alle irgendwann einmal. Gerade erst stand der schnauzbärtige frühere Profi und ewige Spaßvogel Mansour Bahrami vor dem Eingang. Dann bog Olivier van Lindonk um die Ecke, der Manager des in Japan so vergötterten Kei Nishikori. Vor den großen Fernsehbildschirmen harrten derweil andere Berater, frühere Aktive, Trainer, Turnierhelfer aus. Und mittendrin in dem kleinen Getümmel stand Irina Zverev. Sie lächelte. Sie erblickte eine Bekannte und zwinkerte ihr mit dem linken Auge zu. Dann ging die Tür auf, heraus schritt ihr Sohn Alexander, 19 Jahre jung, gefolgt von Rafael Nadal, 30 Jahre alt. Sie waren gerade aufgerufen worden über die Lautsprecher. Sie wären jetzt dran.

Das Zwinkern sollte sich gelohnt haben. Es folgte ein Match, das in der englischsprachigen Welt gerne als epic umschrieben wird. Episch. Mama hatte irgendwas schon geahnt.

4:6, 6:3, 6:7 (5), 6:3, 6:2 lauteten die Zahlen fürs Protokoll. Bei der Fußnote dazu muss dringend stehen: Circus-Maximus-Vorführung in Melbourne, Australian Open, dritte Runde.

Am Ende gewann der Ältere, Erfahrene, aber Nadal sagte sofort, noch auf dem Platz, als er von dem früheren zweimaligen Sieger Jim Courier interviewt wurde: "Jeder weiß, wie gut Alexander ist. Er ist die Zukunft", sagte er. Zverev war da schon weg, in den letzten Spielen hatte er Krämpfe in den Beinen gehabt. Vier Stunden und sechs Minuten hatten sie sich gescheucht, Krafttennis gespielt, gelitten, gehadert, gejubelt. Für die Intensität gab es auch statistisch Beweise.

Nadal lobt den Gegner bei jeder Gelegenheit

58 Winner, direkte Gewinnschläge, also Bälle, an die Nadal nicht herankam, schlug Zverev. 43 Nadal. 322 Punkte spielten sie insgesamt, 173 holte Nadal. Zverev beging aber auch 74 Fehler, und in diesem Wert schlummerten die einigen wenigen, die zu viel waren und die solche Matches entscheiden. "Mit Kämpfen und Rennen", nur so sei es ihm gelungen zu siegen, sagte Nadal, der 14-malige Grand-Slam-Sieger. Das war auch ein Lob für den Gegner.

Zverev erschien relativ fit zur Pressekonferenz, geknickt, klar, aber auch stolz. "Auch wenn ich jetzt enttäuscht bin", sprach er, "aber ich weiß, dass das ein großes Match war. Das war ein großartiger Kampf. Ich kann viel Positives mitnehmen." Dass er so fit war zum Beispiel, überhaupt auf dem Niveau bis fast zum Schluss mitzuhalten. "Ein, zwei Dinge kann ich noch besser machen", sagte Zverev auch, "ich bin nah dran." Er könne selbst sehen, wie er besser werde, wie er vor allem besser in Fünfsatz-Matches auftrete. Er trat auf jeden Fall energischer auf als Philipp Kohlschreiber, der am Samstag gegen den Franzosen Gael Monfils beim 3:6, 6:7 (1), 4:6 chancenlose war. Damit ist Zverevs Bruder Mischa, 29, der letzte Deutsche im Männerfeld, er trifft am Sonntag im Achtelfinale allerdings auf die Nr. 1, Andy Murray.

Die Partie von Zverev jr. begann sofort furios. Zweiter Punkt, ein Rückhandball segelt ins Aus, da hebt Zverev den Finger und verlangt eine sogenannte Challenge. Dreimal pro Satz können Profis den Videobeweis anfordern, das Hawk-Eye. Normalerweise heben sich die Spieler diese Chance für die Endphase eines Satzes auf, wenn es um die Entscheidung geht. Der Ball war natürlich, das war eigentlich zu sehen gewesen, hinter der Linie. Doch das Zeichen hinter der Geste war das Interessante: Zverev sendete Nadal gleich die Botschaft, dass er es ganz genau wissen wolle heute. Dass es ihm um Zentimeter geht. Dann ließ er gleich drei, vier extreme Cross-Rückhandbälle folgen, alle auf die Vorhand von Nadal. Das war so, als würde man einem Löwen ein rohes Stück Fleisch hinwerfen. Zverev griff Nadal über dessen besten Schlag an, was für eine Chuzpe. Break, 1:0, das war eine rotzfreche Eröffnung.

Zverev hat eine beeindruckende Qualität für einen Teenager: Er ist geschaffen für die große Bühne, er hat keine Angst vor Duellen mit den ganz prominenten Spielern. Bezeichnend: Seine Bilanz gegen Top-Ten-Profis ist außergewöhnlich. Vor dem Spiel gegen Nadal gewann er seine vergangenen drei Matches gegen Vertreter aus diesem elitären Klub.

Bei Rückstand offenbart Nadal taktisches Geschick

Nadal kontert Zverevs Peitschenhiebe

Im Stil des Beginns setzte sich das Match fort. Zverev zirkelte präzise einen Lob über Nadal. Drosch die Vorhand die Linie entlang unerreichbar ins Feld. Und ein zweites Mal. Als würde ein Formel-1-Fahrer den Motor so richtig aufröhren lassen, zur Einschüchterung. Einmal schlug Zverev derart hart auf, dass Nadal nur reflexartig den Schläger hinhielt und den Ball mit dem Rahmen traf. Da raunte das Publium, und das sollte es noch viele Male tun. Zverev ist eben dank seiner 1,98 Meter ein formidabler Aufschläger, souverän transportierte er seine Aufschlagspiele durch den ersten Satz. Beim Stand von 5:3 hatte er bei Aufschlag Nadals schon einen Satzball. Der Spanier aus Mallorca wehrte ihn noch ab, doch konnte er den Verlust des ersten Satzes nicht mehr verhindern. Den dritten Satzball verwandelte Zverev zum 6:4. "Er hat mich hinten reingedrängt", sagte Nadal später.

Eines war klar, Nadal musste jetzt mehr aus der Deckung kommen. Er hatte bei 2:1 und 40:15 seine ersten Breakbälle, "Vamos!", rief er sich laut zu. Er nutzte den ersten zum 3:1, da war sie: die Nadal-Faust. Jetzt machte auch er etwas Geschicktes. Er setzte öfter seinen Rückhand-Slice ein. Damit reizte er seinerseits Zverev, der nun mehr Kraft aufwenden musste, um den Ball zu beschleunigen. Er konnte ja nicht die Geschwindigkeit von Nadals Ball mitnehmen. Nadal glich aus.

Im dritten Satz blieb alles lange in der Reihe. Bei Aufschlag Nadal, 4:5, 30:30 war Zverev nur zwei Punkte vom Satzgewinn entfernt. Bei 5:6, 30:30 ebenso. Tie-Break. Das Nervenspiel bis sieben, mit mindestens zwei Punkten Vorsprung. Es ging hin und her. Zverev war der deutlich Mutigere, Aggressivere, mit harten Schlägen. 6:5, Satzball Zverev, eigener Aufschlag. Ein langer Ballwechsel, Nadal chippte nur zurück, eine knallharte Rückhand zum 7:5. Zverev rastete aus, drehte sich, seine Faust flog durch die Luft. Jetzt musste Nadal schon über fünf Sätze gehen.

Zverev ist die Zukunft des Tennis - und die Gegenwart

Vierter Satz. Wie selbstverständlich wehrte Zverev drei Breakbälle bei 0:40 ab. Aber nicht den Vierten. Mit Mühen schaffte es Nadal, den Satz mit 6:3 zu sichern. Final Countdown, Satz fünf, All-in im bislang besten Match des Turniers.

Nadal luchste Zverev den Aufschlag ab, 1:0, dann 2:0. Aber: Re-Break zum 2:2. Es folgte der längste Ballwechsel des Matches, der so lang war, dass man die Buddenbrocks in der Zeit hätte lesen können - 37 intensive Mal. Zverev machte den Punkt, aber dieser Gewinn machte ihn auch fertig. Wieder Break Nadal, und nun plagten Zverev Krämpfe. Aber sie waren ja im Circus Maximus, und so ließ Zverev nicht nach, Peitschenhiebe zu setzen. Nadal konterte zäh. Ein zweites Break nach ewigen Chancen für beide, 5:2. Als Nadal das 6:2 zementierte, brandete schon Jubelstimmung auf, als hätte jemand ein Endspiel gewonnen. Die 15000 Menschen hatten ein gutes Gespür dafür, dass hier das Tennis gewonnen hatte. In der Rod Laver Arena verabschiedeten sie Zverev mit einem lärmenden Applaus, der ihn kurz sogar lächeln ließ.

Dann war die Zukunft weg, die schon jetzt die Gegenwart ist. "Wir werden ihn hier noch oft sehen", rief der Stadionsprecher. Wohl wahr.

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