Australian Open:Tennis-Rüpel außer Dienst

Tennis - Australian Open - Nick Kyrgios of Australia v Rogerio Dutra Silva of Brazil - Hisense Arena, Melbourne, Australia

Auftaktsieg: Nick Kyrgios will in Melbourne für sportliche Erfolge sorgen. In Runde zwei trifft er auf den Serben Viktor Troicki.

(Foto: REUTERS)
  • Lange Zeit galt Nick Kyrgios als überdurchschnittliches Tennistalent mit unvorteilhaften Hang zu regelmäßigen Eskapaden.
  • Bei den Australian Open präsentiert sich der 22-Jährige ungewohnt bodenständig und gleichzeitig in starker Form.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Australian Open.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Als er den letzten Punkt für sich entschieden hatte, verzog er keine Miene. Er zupfte, wie er das oft macht, in Schulterhöhe an seinem Hemd, gab dem Brasilianer Rogério Dutra Silva die Hand, zog sich eine dünne Jacke an und schritt zum Platz-Interviewer Roger Rasheed, früher Trainer von Grigor Dimitrov. "Absolut", bestätigte der Sieger gleich die erste Frage, es sei sein bestes Eröffnungsmatch bei den Australian Open gewesen, was sich am deutlichen 6:1, 6:2, 6:4 erkennen ließ. Er wirkte abgeklärt, als sei dieser Moment langweilige Routine. Aber im Inneren sah es anders aus. "Ich war sehr nervös anfangs", gab er zu, "ich wollte für euch gut spielen."

Nick Kyrgios tritt in Melbourne nicht nur für Nick Kyrgios an. Er repräsentiert die Hoffnungen Australiens. Und die sind ähnlich groß wie der Kontinent.

Kyrgios trägt die Hoffnungen auf den ersten Heimsieg seit 40 Jahren

Fünf Jahre ist Kyrgios jetzt bei den Australian Open dabei, ebenso lange existieren die Debatten darüber, wann er endlich das Turnier gewinnen könne. Das hat zum einen damit zu tun, dass das Land seit langem auf einen heimischen Sieger wartet. Die letzten waren 1976 Mark Edmondson sowie 1978 Christine O'Neil. Zum anderen hat Kyrgios, 22, nachweislich das Potenzial, sich gegen die Allerbesten zu behaupten. Ihm gelang, was keinem seiner Generation gelang: Er gewann seine jeweils ersten Duelle mit Roger Federer, Novak Djokovic und Rafael Nadal.

"Nick hat mehr Talent als jeder andere auf der Tour. Sein Spiel ist unglaublich", sagte einmal Rod Laver - der 79-Jährige ist eine Ikone in Australien, gleich zweimal hat er den Grand Slam geschafft, alle vier Major-Turniere in einer Saison. Gebrechlicher ist Laver geworden, aber sein Wort hat Gewicht, und manchmal sieht er die Notwendigkeit, den Jungen wie Kyrgios den Spiegel vorzuhalten. "Er besiegt Nadal in Cincinnati, dann macht es plötzlich Klick in seinem Kopf und alles ist ihm egal. Das ist eine Schande!", dieser Satz in der britischen Zeitung Independent ist erst ein paar Monate alt. Heute müsste Rod Laver so etwas nicht mehr sagen.

Von den zwei großen australischen Sorgenspielern hat sich Kyrgios zweifelsfrei besser entwickelt. "Ich bin sehr viel reifer geworden", sagt Kyrgios selbst. Er hat seine Lektionen gelernt, wobei Kyrgios oft sehr stereotyp als Rüpel dargestellt wurde. Wenn es einer ist, dann eher sein Kollege Bernard Tomic, der zu offensichtlich sein Talent verschwendet und jedem zeigt, dass er das weiß und es ihm trotzdem egal ist. Der 25-Jährige polarisierte in Melbourne wieder prächtig. Als er das entscheidende Match in der Qualifikation gegen den Italiener Lorenzo Sonego verlor, sagte er beim Verlassen des Platzes einem Reporter auf die Frage, was er nun plane: "Ich zähle einfach mein Geld, das mache ich. Ich zähle meine Millionen." Es gibt viele solcher Sätze von ihm.

Seine Prahlereien sind übrigens keine leeren Versprechen, großspurig in Nachtklubs abzuhängen, diese Kunst beherrscht er. Irgendetwas läuft sichtbar schief bei der Familie Tomic. Es geht schon mit Vater John los, der mehr als nur polarisierte. Einmal brach er einem Trainingspartner des Sohnes die Nase, er kassierte eine Bewährungsstrafe. Bernard wurde ebenfalls schon verhaftet, als er eine Hotelparty in Miami ausarten ließ. Selbst der frühere Weltranglisten-Erste Lleyton Hewitt, der sich als Davis-Cup-Teamchef väterlich um jeden Spieler kümmert, ist beim geduldigen Versuch gescheitert, ihn zu bändigen. Tennis Australia hat Tomic diesmal sogar eine Wildcard für die Australian Open verweigert; in der Weltrangliste ist die frühere Nummer 17 nur noch auf Platz 142 geführt. Der Verband konnte diesmal Härte demonstrieren. Anders als früher ist man nicht mehr auf Tomic angewiesen.

Australiens neue Talente machen Tomic ersetzbar

Lange konnte sich Tomic die Eskapaden leisten, weil es zu Kyrgios und ihm kaum Alternativen an überdurchschnittlich fähigen australischen Profis nach der Ära Hewitt gab. Das ist nun anders. Erst am Wochenende hat der 18-jährige Alex de Minaur in Sydney erstmals ein ATP-Finale erreicht. Der 21-jährige hochbegabte Thanasi Kokkinakis konnte nach einer schwierigen Schulterverletzung das Karriere-Ende abwenden und kommt wieder langsam in Form. Der 23-jährige Jordan Thompson ist in den Top 100. Und Kyrgios, immer noch erst 22, wirkt deutlich besser auslanciert.

Bekanntlich gab es zahlreichen Ärger um ihn, er legte sich mit Gegnern an, schenkte Matches ab, wurde gesperrt, musste als Strafe - ausgesprochen von der ATP - zum Therapeuten. Aber er ist erkennbar ein sensibler Kerl. Im vergangenen Jahr hatte er in einem Essay ausführlich seine Zerrissenheit und sein gespaltenes Verhältnis zu seinem Beruf und der öffentlichen Wahrnehmung von sich geschildert.

Vieles hat er nun im Griff. Nach einer kurzen Trennung ist er wieder mit seiner langjährigen Freundin, Profi Ajla Tomljanovic, zusammen. Er hat jetzt eine Stiftung, die sich für Kinder einsetzt. In Brisbane gewann er gerade seinen dritten Tour-Titel. Dass er mental stärker geworden sei, bewertete er als seinen größten Erfolg. "Ich fühle mich besser dieses Mal als in den Jahren zuvor hier", betonte Kyrgios. Er sei "entspannt" und wisse: Melbourne ist nur ein Turnier von vielen in 2018.

Der Erwartungsdruck ist da, aber er stresst ihn nicht mehr. Ein Zocker hat jetzt, wie die australische Zeitung The Age berichtete, 40 000 Dollar auf Kyrgios' Sieg in Melbourne gesetzt.

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