Australian Open:Federer vollbringt eine Metamorphose

Australian Open: Und dann kamen die Tränen: Roger Federer war überwältigt nach seinem Sieg gegen Marin Cilic (li.).

Und dann kamen die Tränen: Roger Federer war überwältigt nach seinem Sieg gegen Marin Cilic (li.).

(Foto: AFP)

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Es kommt nicht oft vor, dass Roger Federer sich verändert, sich verwandelt, ein anderer Mensch wird. Auf dem Platz. Als Profi. Dass er sein federleichtes Spiel eintauscht, gegen simples Schuften gegen ein emotionales Aus-sich-Herausgehen. Dass er fast eine Art Krieger wird. Federer kann sich in der Regel auf sein scheinbar müheloses Tennis verlassen, er ist ein Schwinger, der seine Energie weniger über Muskelkraft generiert.

An diesem Sonntagabend in Melbourne, in seinem 30. Finale bei einem Grand-Slam-Turnier, hat Federer eine Metamorphose der besonderen Art vollbracht.

Als es 22.37 Uhr war und er als Sieger feststand, als er sich seinen sage und schreibe 20. Grand-Slam-Titel erkämpft hatte und sich schüttelnd auf den Stuhl setzte, war der Lärm in der Rod Laver Arena ein einziges Rauschen. 6:2, 6:7 (5), 6:3, 3:6, 6:1 hatte sich der Schweizer aus Basel gegen den Kroaten Marin Cilic, 29, im Endspiel der Australian Open durchgesetzt. Er hatte diesen Erfolg regelrecht erzwungen. Mit eisenhartem Willen. Federer ist jetzt auch mit 36 Jahren und 173 Tagen der älteste Champion in Australien seit 1972, als Ken Rosewells (37 Jahre und 62 Tage) triumphiert hatte. Aber Federer war um die 20 gegangen. Nichts anderes.

Alles brach aus ihm heraus bei der Siegerehrung. Federer heulte Rotz und Wasser. Man muss das genau so sagen. Als er sich bei allen bedankte, den Helfern, den Zuschauern, die ihn antreiben, stockte seine Stimme. Als er sich an sein Team wandte und "I love you guys" sagte, flossen die Tränen. Minutenlang. Er wischte sie links weg, er wischte sie rechts weg. 15 000 Menschen feierten den weinenden Mann jetzt mit Standing Ovations. Der große, alte Rod Laver machte gar ein Foto mit dem Handy. Er weiß, was Geschichte ist. Der Australier ist bis heute der einzige, der zweimal in einer Saison alle vier Grand-Slam-Turniere gewann.

Im Finale hatte ihm Cilic, der US-Open-Sieger von 2014, alles abverlangt. "Eine kleine Chance hatte ich im fünften Satz", sagte der aufschlaggewaltige 1,97-Meter-Hüne. "Aber Roger hat dann hervorragend gespielt." Cilic hatte Federers Spiel phasenweise komplett dominiert. Das war nach einem einseitigen Beginn nicht zu erwarten gewesen.

Vor dem Match hatte es eine Bekanntgabe des Turnierveranstalters gegeben. Das Dach wurde geschlossen. Es war zu heiß und die Luftfeuchtigkeit zu hoch, es war tatsächlich brutales Saunawetter. So griff die Regel der Heat Policy. Einen Vorteil musste das nicht unbedingt für Federer bedeuten. Die Indoor-Atmosphäre betraf ja beide Finalisten. Für Federer war klar, dass er den Aufschlag von Cilic bändigen musste. Er wählte eine ganz andere Taktik als etwa Rafael Nadal, der im Viertelfinale gegen den Kroaten im fünften Satz aufgeben musste. Der Spanier war seiner Gewohnheit treu geblieben und hatte sich mehrere Meter hinter der Grundlinie postiert. Manchmal hätte er auch fast die Rolle des Linienrichters einnehmen können. Federer stand beim Return keinen Meter von der Grundlinie entfernt, sprang panthergleich in den Ball, blockte ihn. Im Halbfinale gegen den Briten Kyle Edmund hatte Cilic kein einziges Aufschlagspiel abgegeben - nach neun Minuten führte Federer 3:0, inklusive zweier Breaks. Federer segelte mühelos dem 6:2 entgegen.

Die Statistik sprach nun für Federer. In seiner gesamten Grand-Slam-Karriere hat er erst 13 Matches verloren, in denen er den ersten Satz gewann. Das letzte Mal war ihm eine derartige Niederlage 2014 im Wimbledon-Finale gegen Novak Djokovic unterlaufen. Der zweite Satz begann weitaus offener, Federer sah sich bei 0:1 und 15:40 gar erstmals zwei Breakbällen ausgesetzt. Ein Ass, ein Vorhandwinner, so löste er die Situation. Er glich aus. Aber Cilic blieb jetzt dran. Er ballte die Hand, zeigte sich entschlossener. Wenngleich er fehleranfällig blieb. Federer kam auch zu einem Breakball, bei 2:2, auch bei 4:4. Cilic wehrte mutiger agierend ab. Und plötzlich hatte Cilic Satzball. Aber er stach eine Rückhand ins Netz. Vorbei die Chance. Es ging in den Tie-Break. Und in diesem Entscheidungsspiel bis sieben setzte sich Cilic durch. Er war giftiger - 7:6 (5).

Auch Federer ist ein Mensch

Der Satzgewinn gab Cilic Auftrieb, er hatte seinen Rhythmus, sein Selbstvertrauen gefunden, jetzt war die Frage, auf welche Seite das Match kippen würde. Es war Federer, der die erste Chance ergriff und das Break zum 4:2 schaffte. Diesen Vorteil gab er nicht mehr ab, er nennt das ja den "Aufschlag verteidigen" - 6:3 für den Titelverteidiger. Ein Satz fehlte ihm nur noch zur 20. Und als Federer gleich das erste Aufschlagspiel von Cilic abluchste, schien er nicht mehr aufzuhalten zu sein.

Aber auch Federer ist ein Mensch.

Bei 3:2 zerbrach etwas in seinem Spiel. Zu Null gab er seinen heiligen Aufschlag ab. "Eine großartige Körpersprache zeigt Cilic", analysierte Lleyton Hewitt, die frühere Nummer eins als Kommentator im australischen Fernsehen. "Er bleibt immer positiv." Und er wurde regelrecht aggressiv. Manchmal schaute er wie ein Gangster, der zum Raubzug ansetzen will. Zum Punkte-Raubzug. Federer taumelte sichtlich, Cilic stand tief im Platz, setzte ihm zu. Ließ ihm kaum Zeit zum Durchschnaufen. Genau so hatte er Nadal in die Enge getrieben. Cilic glückte mit einem Vorhandwinner das Break zum 5:3, er zeigte keine Schwäche beim Aufschlag - 6:3, fünfter Satz. Und die Frage nun: Würde sich Federer erholen können?

Die Statistik sprach nun gegen Federer: Wenn es in den fünften Satz in einem Grand-Slam-Finale ging, hatte er bislang mehr Endspiele verloren als gewonnen (3:4). Insgesamt hat Federer eine Fünfsatz-Bilanz bei Grand Slams von 27:14. Cilic - bemerkenswert - gewann acht seiner letzten neun Fünfsatz-Partien.

Im Fünften war Federer emotional wie selten

Jetzt war es ein Boxkampf. Wer hat die größeren Steherqualitäten? Federer wankte auch zum Start des fünften Satzes. Er hatte zwei Breakbälle gegen sich, er brüllte einmal: "Chum jetze!" Das macht er nur, wenn höchste Gefahr droht. Fast quälend hielt er sein Aufschlagspiel. Federer schwebte nicht, er kämpfte jetzt, er war ein Malocher. Ein Punkte-Malocher. Break, 2:0 - würde er diesen Vorteil abermals aus der Hand geben wie in Satz vier? Er schaffte, wieder mühsam, das 3:0, beim Seitenwechsel führte er ein hartes, kurzes Gespräch mit dem Schiedsrichter: "Erinner' mich dran, erinner' mich dran! Es ist 3:0 im fünften Satz", rief er. Er war emotional wie selten. Seine Beine zappelten, während er so da saß. Mirka, seine Frau, stand jetzt sehr oft in der Box. Es ging weiter.

4:1, alles in der Reihe. Jetzt war Federer ein anderer, die Brust vorne, ein Krieger. Er breakte zum 5:1. Das musste reichen. Es reichte. Cilic war nun der, der zurückgedrängt wurde. 40:0, drei Championship Points! Ein Service-Winner, schon der vorzeitige Jubel, eine letzte Challenge, Cilic ließ per Videobeweis den Abdruck überprüfen - der Ball war auf der Linie. Federer riss die Arme hoch. Und bald würden die Tränen rollen.

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