Australian Open:Clash der Generationen

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Herausforderer daheim: Der Australier Nick Kyrgios (Foto: AFP)

Schreitet die Verschiebung der Mächte im Tennis voran? Zum Start der Australian Open stellt sich die Frage, ob Emporkömmlinge wie Kei Nishikori oder Nick Kyrgios nun bald die Großen ablösen. Der erst 18-jährige Borna Coric jedenfalls tönt gewaltig.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

25 Grad, Wolken gemischt mit Sonne, der Yarra River glitzert, es wird gejoggt, geradelt, gerudert, das Leben in Melbourne lässt sich gerade herrlich aushalten - anders noch als vor einem Jahr, als eine Hitzewelle die Stadt eine Woche lang erstickte. Womöglich liegt es an der australischen Mentalität, die das Wort Stress ausblendet, dass auch die Akteure der anstehenden Großveranstaltung eine spezielle Leichtigkeit des Seins ausstrahlen, seitdem sie den Kontinent betreten haben. Reihenweise haben ja die Scharapowas und Dimitrovs fröhlich landestypische Tiere geknuddelt, so dass die örtliche Zeitung The Age bei einem Foto, das Spielerinnen mit einer Anaconda zeigte, schon juchzte: "Wenigstens mal kein Koala."

Nun immerhin ist es vorbei mit dem seichten Programm, auch als die Deutschen Andrea Petkovic und Julia Görges am Freitag den koalafreien Court 18 betreten, um zu trainieren, sehen sie, ja, wie richtige Profis aus. Die ersten kleinen Turniere auf dem Kontinent waren nett, in Brisbane, Sydney, Hobart. Aber jetzt freuen sich alle auf die erste ernsthafte Tennismesse des Jahres: die Australian Open, das erste von vier Grand Slams. Ein Seismograf dafür, wer wie die Winterpause überstanden hat und welchen Verlauf die Saison nehmen könnte.

Schreitet die Verschiebung der Mächte voran? Oder bleiben die Großen die Großen? An dieser Weggabelung steht vor allem das Männertennis.

"Nach oben zu kommen ist einfacher, als diesen Platz zu halten"

Vor zwölf Monaten hatte sich in Melbourne die Anfangsaufregung um manch prominenten Trainer gedreht, Boris Becker betrat als Coach von Novak Djokovic die Bühne, Stefan Edberg, der smarte Schwede, assistiert seitdem Roger Federer. Inzwischen sind die früheren Größen integriert und können entspannt beobachten, wie nun Martina Navratilova, eine der erfolgreichsten Spielerinnen überhaupt, mit 58 ihr Debüt als Trainerin gibt, sie betreut die Polin Agnieszka Radwanska.

Der Clash der Generationen ist sportlich das dominierende Thema, im Männertennis bereitet es einem wie Federer, schon so oft zum Karriereende befragt, ein Vergnügen, fast lustvoll zählt er auf, was es zum Topprofidasein braucht: "Es geht darum, wie man das Tourleben managt, die Arbeit im Alltag, das Reisen, den Druck und dass man den richtigen Turnierplan hat, nicht verletzt ist." Marin Cilic etwa, der als Überraschungssieger der US Open in die oberste Liga schoss und sogleich bei der lukrativen Schaukampf-Liga IPTL in Asien im Dezember mitwirkte, hatte sich übernommen. Jetzt zwickt die Schulter, Melbourne musste er stornieren. So etwas meint Federer, der von sich sagt, er könne das Drumherum "genießen", aber sich auch "ganz auf Tennis fokussieren".

Der Umbruch kommt, nur nicht so schnell, wie manche denken, diese Sicht vertritt Roger Federer, 33, aus Überzeugung und bestem Wissen, und so hat er, auf galante Art natürlich, den selbstbewussten jüngeren Herausforderern, die 2014 zwei von vier Grand-Slam-Titeln stibitzten, auch den Fehdehandschuh hingeworfen. "Klar gab es große Siege von Wawrinka, Cilic, Nishikori und anderen. Aber für sie ist es vielleicht mehr ein Jahr, in dem sie ihre Position verteidigen müssen. Nach oben zu kommen ist einfacher als diesen Platz zu halten."

Kei Nishikori, Japaner mit gottähnlichem Status in der Heimat, wird von den meisten Aufrückern zurzeit am ehesten das nächste große Ding zugetraut. So wie der 25-Jährige aufgebaut wurde - in den USA geschult, vom Vermarktungsriesen IMG positioniert -, dürfte er sich in der Tat unerschrockener zeigen in diesem Jahr, er hat schon mit der Finalteilnahme in New York erlebt, wie sich der letzte zentnerschwere Druckzustand anfühlt. Wie sehr die Aufgabe, dauerhaft für Grand-Slam-Titel in Frage zu kommen, von der mentalen Stärke abhängt, das haben die Jüngeren verstanden. "Man muss sich auf Augenhöhe sehen", hatte der Schweizer Stan Wawrinka seinen Coup 2014 erklärt, als er in Melbourne triumphierte. "Ich denke, dass ich mich gegen die Großen auf dem Platz jetzt deutlich wohler fühle", sagt Raonic, der 24-jährige Kanadier, eine Mischung aus Aufschlagriese und Knuddelbär. Am Ende freilich geht es um Ergebnisse, die auch Grigor Dimitrov von sich erwartet. "Nur durch Reden machst du nicht den nächsten Schritt", sagt er, 23. "Das Wichtigste ist, ich muss es mir beweisen, und das habe ich nur, wenn ich sagen kann: ,Yeah, ich habe einen Grand Slam gewonnen." 2014 holte er drei Titel, rang Wimbledons Titelverteidiger Andy Murray in London nieder und im Halbfinale fast Djokovic. Der letzte Schritt - er fehlt nur eben noch.

Federer hält viel von Dimitrov, nicht zufällig wurde der Bulgare, Freund von Maria Scharapowa, erster Kunde in dessen Agentur Team 8: "Es ist mehr für ihn hier eine Chance als für mich", sagt er, 17 Grand Slams hat Federer schon gewonnen, die anderen, so seine Botschaft, müssen sich schon anstrengen, wollen sie die Tennislandschaft ändern. "Wir", Federer meint vor allem sich, Nadal und Murray, den Wimbledonsieger von 2013, "sind ja vor einiger Zeit in der Rangliste nicht abgerutscht, weil wir schlecht gespielt haben - wir hatten mit Verletzungen zu kämpfen." Murray litt bis zu einer OP am Rücken, Nadal, der seinen Körper stets ausreizt, plagten 2014 gleich Rücken, Handgelenk und Blinddarm. Dass der Spanier, 28, wie Djokovic jüngst in Doha verlor? "Ich lese nichts aus solchen Ergebnissen", sagt Federer und stellt klar: "Um ehrlich zu sein, sind sie für mich Favoriten in Melbourne."

Junge Talente sind einem horrenden Druck ausgeliefert

Wie groß die Hochachtung vor den Branchenriesen trotz mancher Unkenrufe ist, zeigt ein Teenager-Streit. Der 18-jährige Kroate Borna Coric, der im Herbst den lädierten Nadal besiegte, tönte sogleich - und wurde flugs von einem, der jung und ehrgeizig wie er ist, zusammengestaucht wie ein Lehrling. "Wenn ich die Aussagen von Coric lese, der sich als bester Spieler seiner Generation bezeichnet und sich mit Djokovic vergleicht, muss ich lachen", sagte der Australier Nick Kyrgios, 18, der seinerseits Nadal in Wimbledon bezwang. "Coric hat einige gute Resultate und glaubt schon, dass er wie Djokovic oder Murray spielt. Wenn man das glaubt, bekommt man Probleme, weil die Topspieler physisch und mental stärker sind als wir." Niemand widersprach, Coric gab sich reumütig. Nur weil Stanislas Wawrinka und Marin Cilic 2014 zwei Grand Slams räuberten, steht die Hierarchie nicht Kopf. Nick Kyrgios hat das verstanden.

Melbourne 2015? Es wäre doch überraschend, wenn es viele Überraschungen geben würde. Auch bei den Frauen sind die Favoritinnen die üblichen Verdächtigen, Serena Williams, Maria Scharapowa. "Im Tennis gibt es nur zwei Optionen", sagte Li Na, 32, bei der Auslosung am Freitag, die Chinesin hatte 2014 triumphiert und im Herbst ihre Karriere beendet. "Du gewinnst oder verlierst." Klingt nach einer 50:50-Chance. Aber das ist es nicht, wenn die Besten ab Montag im Melbourne Park antreten.

© SZ vom 17.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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