Ausschreitungen in Dortmund:BVB-Fans müssten gegen sich selbst protestieren

Borussia Dortmund tut sich gerne als Kritiker des RB Leipzig hervor. Die Randale und geschmacklosen Plakate rund ums Spiel aber haben gezeigt, dass Klub und Fans zuerst die eigenen Probleme lösen sollten.

Kommentar von Martin Schneider

Der erste Bericht der Polizei Dortmund zu den Vorfällen rund um das Spiel gegen RB Leipzig war nur sieben Sätze lang: "Insgesamt konnte eine extreme Aggressivität und Gewaltbereitschaft der Dortmunder Anhängerschaft gegenüber den Gästen festgestellt werden", stand da. "Diese richtete sich gegen jede als Leipzigfan erkennbare Person, egal, ob es sich um kleine Kinder, Frauen oder Familien handelte." Der Einsatzleiter der Polizei sprach von "hasserfüllten Fratzen", die er so noch bei keinem seiner Einsätze gesehen hätte. Anhänger des RB Leipzig wurden von Borussia-Fans mit Steinen und Dosen beworfen.

Inzwischen liegen Zahlen vor. Vier verletzte Polizisten, ein verletzter Diensthund, sechs verletzte Leipzig-Fans (der Leipziger Fan-Verband spricht von zehn Fans, die ins Krankenhaus mussten), 28 Strafanzeigen, elf verhaftete Dortmunder, ein verhafteter Leipzig-Fan. Zudem ermittelt der DFB wegen diverser Transparente auf der Dortmunder Südtribüne. Darauf zu lesen: Beleidigungen, Schmähungen, Aufrufe zu Gewalt gegen RB Leipzig, ein Aufruf zum Selbstmord gegen Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick.

Einige Fans von Borussia Dortmund hielten es offenbar für eine angemessene Art und Weise, so zu zeigen, dass sie die Hüter der wahren Fußballwerte seien. Im Sinne von "Wir sind den anderen moralisch überlegen. Lasst sie uns mit Steinen bewerfen." Das Gefühl, im Recht zu sein, hat offenbar Hemmungen verschwinden lassen.

Es geht hier längst nicht mehr um Kritik an dem von Red Bull alimentierten Fußballklub, an den Strukturen (17 stimmberechtigte Mitglieder) und an der Geschichte (der Getränkekonzern übernahm 2009 das Spielrecht des SSV Markranstädt) des Vereins. Über die kann man zweifelsohne debattieren, man findet Argumente dafür und dagegen und natürlich kann man in einer Fankurve kein Transparent mit einem Essay hochhalten. Was in Dortmund passiert ist, hat aber nichts mehr mit Auseinandersetzung zu tun. Es ist in Teilen purer Angriff, der sich nicht mehr nur Kriegsrhetorik bedient, sondern auch kriegerische Handlungen beinhaltet. Und Teile der Dortmunder Fanszene finden das bekanntlich gar nicht so schlecht.

Der BVB distanzierte sich von den Vorfällen, entschuldigte sich - trotzdem steht nun Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in der Kritik. Der hatte im November mit Blick auf Leipzig gesagt: "Da wird Fußball gespielt, um eine Getränkedose zu performen." Das ist für einen Funktionär in seiner Position eine deutliche Breitseite, er muss sich den Vorwurf des Populismus gefallen lassen. In Zukunft wird er sich überlegen müssen, ob er mit diesen Geschehnissen im Hinterkopf weiter seine Linie fährt. Neben dem Vorwurf, die Lage weiter anzuheizen wird dann das Argument kommen: Schau dir erstmal die Zustände in deinem Verein an, bevor du andere kritisierst.

Natürlich ist die Mehrzahl der Dortmunder Fans friedlich. Die Mehrheit stört sich auch am Konstrukt RB Leipzig, ist aber in der Lage, diese Kritik sachlich zu äußern und erkennt wahrscheinlich auch, dass man die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs beklagt, während man selbst eine GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien anfeuert. Das Problem ist: Diese Menschen werden nun für die Taten anderer in Mithaftung genommen, weil die das gleiche Wappen auf der Kleidung tragen. Das ist unfair, aber wer sich als Gruppe definiert, wird eben auch als Gruppe wahrgenommen.

Selbstverständlich kann man von keinem Familienvater verlangen, dass er sich gegen eine Gruppe von kampfsporterprobten Hooligans stellt. Aber das ein oder andere Plakat beim nächsten Heimspiel mit der Botschaft, dass nicht alle BVB-Fans so denken wie einige Verhaltensauffällige, wäre sicher ein gutes Zeichen. Sonst wird man den gemäßigten Fans das gleiche Argument entgegen schleudern wie Hans-Joachim Watzke: Kehrt vor eurer Haustür, bevor ihr auf andere schaut. Leipzig wurde in vielen Fankurven kritisiert. So eskaliert wie in Dortmund ist es bisher nirgendwo.

Diese Leute, die sich am Samstag durch körperliche oder verbale Gewalt schuldig gemacht haben, haben nun genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollten. Die Leipziger können nun mit dem Finger nach Dortmund zeigen und sagen: 'Wenn das die traditionelle Fan-Kultur ist, dann wird es Zeit, dass in Leipzig eine neue Fan-Kultur entsteht.'

Das größte Plakat auf der Südtribüne war übrigens: "Für den Volkssport Fußball. Gegen die, die ihn zerstören." Wer hier dem Volkssport Fußball Schaden zufügt, darüber konnte man sich seine Meinung bilden. Eigentlich müssten die Dortmunder Fans demnächst gegen sich selbst protestieren.

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