Ausschluss ja oder nein:Lavieren statt Führen

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Bis kommenden Dienstag will sich das IOC mit der Entscheidung Zeit lassen, ob Russland wegen Staatsdopings von den Rio-Spielen ausgeschlossen wird. Die Kritik an der Zögerlichkeit von Präsident Thomas Bach wächst.

Von René Hofmann, München

Die Entscheidung, ob alle russischen Sportler wegen Staatsdopings von den Olympischen Sommerspielen ausgeschlossen werden, die am 5. August in Rio de Janeiro beginnen, wird innerhalb einer Woche fallen. Ein Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bestätigte dem Sportinformationsdienst am Mittwoch, ein Urteil solle spätestens am kommenden Dienstag vorliegen. Am Dienstag dieser Woche hatte das IOC erklärt, ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshof Cas abwarten zu wollen. Das Gericht, das in Lausanne sitzt, entscheidet an diesem Donnerstag über den Einspruch von 68 russischen Leichtathleten, die vom Leichtathletik-Weltverband IAAF keine Startberechtigung für die Sommerspiele in Brasilien erhalten haben.

Unterdessen schuf das russische olympische Komitee (ROC) demonstrativ Fakten: Es nominierte 387 Sportler für die Sommerspiele. 2012 hatten die Russen 436 Athleten zu den Spielen nach London geschickt. "Wir haben unser Team inklusive der Leichtathleten zusammengestellt. Wir warten auf die Entscheidung des Cas, danach wissen wir mehr", sagte ROC-Präsident Alexander Schukow, der auch bekräftigte, dass die russischen Sportler in der Lage seien, um Medaillen zu kämpfen.

Unter den Nominierten befinden sich 68 Leichtathleten. Auf der Liste findet sich auch Weitspringerin Darja Klischina - aktuell die einzige für Rio zugelassene Aktive des wegen systematischen Dopings suspendierten Nationalverbandes Rusaf. Nominiert wurde auch die umstrittene Schwimm-Weltmeisterin Julija Jefimowa, die unlängst vom Schwimm-Weltverband vom Vorwurf des Meldonium-Dopings freigesprochen worden war. Jefimowa war Anfang 2016 mit der seit dem 1. Januar verbotenen Substanz erwischt worden.

Am Montag dieser Woche hatte der kanadische Jurist Richard McLaren einen Bericht vorgelegt, den er im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada erstellt hatte. Seine Konklusion: In Russland gab es von 2011 bis 2015 staatlich gelenktes Doping. Die Frage, ob russischen Sportlern deshalb generell der Start in Rio de Janeiro verwehrt bleiben sollte, wird seitdem mit neuer Verve diskutiert. Eine bemerkenswerte Kehrtwende vollzog dabei die Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB. Am Dienstag hatte sich diese noch gegen einen Komplettausschluss ausgesprochen. Am Mittwoch nun schrieb das siebenköpfige Gremium: "Die Athletenkommission ist auf Grund der erdrückenden Beweise für einen Ausschluss der russischen Mannschaft bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro."

Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, positionierte sich dagegen klar. Ein Start der Russen dürfte "allenfalls unter neutraler Flagge" erfolgen, fordert die SPD-Politikerin. Freitag betonte: "Wenn die russische Fahne in Rio de Janeiro zu sehen ist, wird das aufgrund der aktuellen Sachlage niemand verstehen können, der sich einem sauberen, integren Sport verpflichtet fühlt." Das Lavieren von Thomas Bach, der seit September 2013 an der Spitze des IOC steht, sieht Freitag kritisch. "Er kann nicht auf Dauer darauf warten, was die Fachverbände tun, was das Cas macht", meinte Freitag: "Es gibt keine Blaupause für diese Situation. Umso mehr verlangt diese Gemengelage Führungsstärke des Präsidenten des IOC, und die sehe ich bislang nicht."

Bei den Fachverbänden, in denen der Sport in Deutschland organisiert ist, wird die Frage, ob Russen in Rio starten sollten, ebenfalls kontrovers diskutiert. Clemens Prokop, dem Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, fällt es schwer, "eine Maßnahme unterhalb eines Komplettausschlusses zu sehen, die die Glaubwürdigkeit des Sports bewahren würde". Der Deutsche Handballbund (DHB) wiederum ist wie der Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) gegen einen Bann. "Ich würde mich freuen, wenn die Russen im Handball teilnehmen", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning. DTTB-Sportdirektor Richard Prause hält es für nicht bewiesen, dass Russlands Tischtennis-Spieler flächendeckend dopen.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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