Aus in der Champions League:Total geknickter FC Bayern

Aus in der Champions League: Riesig enttäuscht: Manuel Neuer (links) herzt Xabi Alonso.

Riesig enttäuscht: Manuel Neuer (links) herzt Xabi Alonso.

(Foto: AFP)

Die Münchner spielen im Champions-League-Halbfinale teilweise fantastisch - und scheiden dennoch aus. Die Mannschaft ist "todtraurig".

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Woher kam eigentlich plötzlich Hermann Gerland? Aus den Tiefen der Ersatzbank hatte der ewige Assistenztrainer seine Position verlassen und warf sich auf Höhe der Mittellinie in den Kampf. Da brauchte man keinen Lippenleser, man konnte es weit die Tribüne hinauf hören: "Wat willst du? Wat willst du?", schrie er Atlético-Trainer Diego Simeone entgegen.

Es hätte nicht viel gefehlt und die beiden wären sich an den Kragen gegangen. Wer diesen Simeone sah mit seiner Straßenkämpfer-Visage, der musste sich Sorgen machen um den 61-jährigen Gerland. Um einen Mann, in dem viele inzwischen eher das knuffige Klub-Maskottchen sehen als einen Ko-Trainer. Der sich aber in diesem Moment entschloss, sein Tigerherz zu zeigen.

Am Ende verhinderte der bayerische Straßenkämpfer Franck Ribéry Schlimmeres, er hob Simeone kurzerhand zurück in dessen Coachingzone. Doch Gerlands Einsatz war symbolhaft für die Münchner Mission: Sie wollten an diesem Abend einfach alles geben, all ihre Kraft und ihren Willen in dieses Spiel legen. Auch um den Preis der körperlichen Unversehrtheit.

Die Bayern-Seele hat gelitten

Nun, körperlich gingen alle Bayern in der Nacht zum Mittwoch gesund nach Hause. Ihre Seele allerdings nahm gehörigen Schaden. 2:1 (1:0) hatten sie gewonnen gegen diesen grimmigen Gegner aus Madrid. Haben mindestens eine Halbzeit lang fantastischen Fußball gezeigt. Sie sind gerannt, haben schön und beherzt nach vorne gespielt. Sie hatten die beste Defensive Europas zu einem willenlosen, hilflosen Haufen degradiert.

Und doch waren sie die Verlierer. Nach dem 0:1 im Hinspiel ist die Champions-League-Saison zum dritten Mal in Serie vor dem Finale beendet. Der Klub taumelte mehr, als die Spieler die Arena verließen. Seit dem verlorenen Finale zu Hause 2012 hatte man nicht mehr so einen geknickten FC Bayern erlebt.

"Ich weiß nicht, ob es eine Steigerung von bitter gibt. Wir sind unverdient ausgeschieden. Aber ausgeschieden", klagte Thomas Müller. Der lustige Kerl vom Ammersee sprach leise, der Kopf hing schwer. Man wünschte fast, dass ihn irgendjemand in den Arm nehmen möge. Karl-Heinz Rummenigge wollte nicht derjenige sein: "Man muss die Mannschaft heute Abend in Ruhe lassen, sie ist todtraurig. In der Kabine ist Totenstille", berichtete der Vorstandsboss.

Simeone lobt die Bayern

Sie hatte auch allen Grund dazu, traurig zu sein. Wann hat man je ein Halbfinale in der Champions-League gesehen, in der eine Mannschaft die andere derart an die Wand spielt? In der ersten Halbzeit lieferten die Münchner das perfekte Spiel. Der rechtzeitig genesene Jérôme Boateng verteilte von hinten heraus die Bälle, Philipp Lahm ordnete über rechts die Angriffe, Franck Ribéry dribbelte energisch über links. Arturo Vidal brachte seine Energie ein, Xabi Alonso sein strategisches Geschick. Robert Lewandowski rieb sich gegen die Madrider Riesen im Strafraum auf. Und hatte Atlético den Ball, dauerte es keine drei Sekunden, und die Bayern eroberten ihn wieder zurück. Nicht einmal die Zweikämpfe konnten die "Zweikampfbiester" (Müller) aus Madrid gewinen. Simeone sagte hinterher: "Wir haben gegen den besten Gegner gespielt, den ich in meiner Karriere gesehen habe. Es war unfassbar, wie sie aufgetreten sind."

Den elf verzweifelten Gästen blieb nichts anderes übrig, als sich im eigenen Strafraum zu verschanzen und auf Glück, Zufall und ihren famosen Torwart Jan Oblak zu hoffen. Dennoch schien ihnen das Spiel zu entgleiten. Saúl Niguez fälschte den Freistoß von Xabi Alonso zum 0:1 ab (31.), drei Minuten später foulte José Giménez Javi Martínez im Strafraum und Thomas Müller trat zum Strafstoß an. Das 2:0, es hätte dem Spiel eine neue Wendung gegeben, weil Atlético dann ein Tor gebraucht hätte. Müller lief an: "Ich habe hochgeschaut, da stand er noch. Dann habe ich eigentlich nicht ganz schlecht geschossen, aber er hat ihn auch sehr gut gehalten."

Der verschossene Elfmeter von Müller war sinnbildlich für die Misere der Bayern. Schon in Madrid vor einer Woche hatten sie eigentlich gut genug gespielt für ein Auswärtstor. Am Dienstagabend nun wäre zur Halbzeit das gefühlt richtige Ergebnis ein 3:0 gewesen, so überlegen agierten die Münchner. Insgesamt 33 Mal schossen, köpften, spitzelten sie den Ball Richtung gegnerisches Tor. Doch ganz vorne im Strafraum fehlte wie seit Wochen die letzte Selbstverständlichkeit, die letzte Gier, bisweilen schlicht das Glück. Und so reichte eine Unachtsamkeit, um alles kippen zu lassen.

"Wir haben es einfach versäumt, die Tore zu machen"

Boateng spielte einen Fehlpass, dann liefen er und Alonso und Vidal nach vorne, um den Ball gleich wieder zurückzuerobern. Das ist die Schule von Pep Guardiola, das Gegenpressing, das dem Gegner die Luft zum Atmen nimmt. Doch in diesem Fall war es des Guten zu viel, alle drei wurden überlupft. Dahinter ließen sich Martínez und Alaba mit einem Pass düpieren, Madrids Stürmer Antoine Griezmann lief völlig blank auf Torwart Manuel Neuer zu und traf erstaunlich sicher (54.) zum 1:1.

Die Bayern brauchten nun zwei Tore, was gegen diese spanischen Maurermeister schier unmöglich schien. Das 2:1 durch Lewandowski (74.) gab Hoffnung, Neuers abgewehrter Elfmeter zehn Minuten vor Schluss noch mehr. Doch sie schafften es einfach nicht mehr.

"Wir haben es einfach versäumt, die Tore zu machen", klagte Kapitän Lahm. Ganz nach Guardiolas Lehre wollte er sich auch nicht alles kaputtreden lassen. "Ich find's eher schön, wenn die Mannschaft so agieren kann. Es ist nicht selbstverständlich, Atlético Madrid so in die Defensive zu zwängen, sich Torchancen zu erarbeiten, Defensiv so gut wie nichts zuzulassen. Das muss man erst mal schaffen." Die Anerkennung dafür ist seiner Mannschaft gewiss. Und doch hilft es nicht, wenn Ende Mai der Gegner in Mailand um den großen Henkelpokal spielt. Da traf Lewandowski die Stimmung besser: "Es ist nicht so einfach, wenn du weißt, dass du die bessere Mannschaft bist, und trotzdem spielst du nicht im Finale."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: