Aus bei der Fußball-EM:Italien weint Tränen aus Marmor

Aus bei der Fußball-EM: Gigi unter Tränen: Buffon weint nach dem Aus gegen Deutschland.

Gigi unter Tränen: Buffon weint nach dem Aus gegen Deutschland.

(Foto: AP)

Was wird aus der Squadra Azzurra nach dem EM-Aus? Der Trainer geht, die Mannschaft ist überaltert. Die Zukunft sieht alles andere als rosig aus.

Von Birgit Schönau

Wenn die Riesen wanken, dann herrscht um sie nur atemlose Stille. 120 quälende Fußballminuten und 18 Elfmeterschüsse waren vorbei, als Italiens Kapitän Gianluigi Buffon langsamen, fast unsicheren Schrittes den Rasen des Stadions von Bordeaux verließ. Von den Rängen riefen seine Landsleute nach ihm, es erklang tröstlich gemeinter Applaus. Buffon nahm die Hände nach oben, wie mechanisch klatschte er zurück in Richtung Publikum. Aber er sah nicht hin.

Gigi Buffon, 38, seit acht Jahren unanfechtbarer und unerschütterlicher Anführer der Squadra Azzurra und längst ein Monument des Weltfußballs, schaute zu Boden, weil er haltlos schluchzen musste. Viele Niederlagen hat der Torwart aus der Marmorstadt Carrara in seiner Karriere erlebt - das schmachvolle Vorrunden-Aus bei den Weltmeisterschaften von 2010 und 2014, die 0:4-Klatsche gegen Spanien im EM-Finale vor vier Jahren. "Aber das hier", sagte Buffon später im Fernsehen, noch immer mit den Tränen kämpfend, "das ist schockierend."

Nicht, weil die Azzurri erstmals bei einem Turnier gegen die Deutschen verloren hatten - dass solche Siegesserien irgendwann reißen müssen, kann sich jedes Kind ausrechnen. Sondern, wie das geschah: "Deutschland ist in diesem Moment so viel stärker als wir, trotzdem haben wir standgehalten und die Verlängerung erzwungen. Wir sind über uns hinausgewachsen und hätten es nur noch besiegeln müssen. Drei Elfmeter von fünf haben sie verschossen. Und trotzdem reichte es nicht. Unfassbar."

Emotionale Achterbahnfahrt

Es war nicht nur die emotionale Achterbahnfahrt, die Buffon derart schüttelte, und das peinigende Bewusstsein, dass er selbst den Sieg in den Händen gehabt hätte, wenn er bei Hummels' Strafstoß höher gesprungen, bei Hectors Schuss wendiger gewesen wäre. Hätte, wäre, hätte, diese Marter hatten die Deutschen bereits zweimal erlebt, als sie an Buffon und seinen Azzurri gescheitert waren, in den Halbfinal-Spielen der WM 2006 und der EM 2012. Hätte, wäre, hätte, das gehört zum Fußball und überhaupt zum Leben.

Die Vergeblichkeit der eigenen Mühen, das Besiegtwerden vom Schicksal oder der Elfmeter-Lotterie, jeder erlebt das, wenn auch vielleicht nicht innerhalb von zwei Stunden und mit der Anteilnahme der beiden größten europäischen Fußballnationen. Es muss Sieger und Besiegte geben, das ist die große Lektion, die uns der Fußball immer wieder erteilt. Und dass er das so wunderbar friedlich tut, dass Europa in diesen Zeiten, da die Welt draußen von ganz anderen Tragödien erschüttert wird, sich vom Spiel bewegen lassen darf, ist eine Gnade. Die Azzurri bestritten das Viertelfinale mit Trauerflor, weil in der Nacht zuvor in Bangladesch neun Italiener von IS-Mördern brutal getötet worden waren. Das war der große Schock, der das Land am Wochenende traf. Wie lächerlich dagegen ein verlorenes Fußballspiel ist, weiß niemand besser als der lebenserfahrene Buffon.

Und doch ist die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Sie gilt nicht nur für Buffon, sondern auch für den ebenfalls ganz fürchterlich schniefenden Andrea Barzagli, für Daniele De Rossi, der das Fiasko von der Bank erleben musste. Die drei verbliebenen Weltmeister im Team werden nicht mehr Europameister werden. Der einzige Italiener, dem das gelang, bleibt bis auf weiteres Dino Zoff. Das ist das eine. Die andere Frage ist: Was wird aus der Squadra Azzurra?

Conte wechselt sofort zum FC Chelsea

Antonio Conte, der das von vielen Verletzungsausfällen (Marchisio, Montolivo, Verratti) bereits im Vorfeld geschwächte Team in Rekordzeit zu einer hoch motivierten, überraschend konkurrenzfähigen Turniermannschaft gemacht hatte, arbeitet ab sofort für den FC Chelsea. Er müsse einfach wieder zurück zu einem Klub, bekräftigte Conte und sah dabei kein bisschen unglücklich aus, eher erleichtert: "Es hat mir so gefehlt, nicht mehr jeden Tag trainieren zu können." Vielleicht komme er irgendwann zurück, versprach er noch, "aber jetzt bin ich ja noch nicht mal 47."

Conte kann offenbar gut damit leben, als erster Nationaltrainer gleich zweimal gegen Deutschland verloren zu haben - das Freundschaftsspiel im März und nun, erstmals in der Geschichte, auch noch ein Punktspiel. Sicher, ausgerechnet den als unzuverlässig weithin bekannten Simone Zaza von der Bank zum Elfmeterpunkt zu bitten, war ein Fehler. Nicht nur, dass Zaza seinen Schuss versemmelte, er machte sich und die Mannschaft mit dem nervösen Getrippel vorher auch noch lächerlich. Aber geschenkt, einer verhaut's immer, diesmal waren es halt vier. Graziano Pellè sah auch nicht gut dabei aus, selbst der große Leonardo Bonucci scheiterte an Neuer, genau wie Matteo Darmian. Heißt das jetzt, dass Conte das Elfmeterschießen zu wenig geübt hat? Quatsch.

Buffon glüht immer noch

Bei Spielern, Medien und Fans herrscht seltene Einigkeit darüber, dass es ausschließlich diesem Trainer zu verdanken ist, dass die Azzurri überhaupt ins Viertelfinale gekommen sind. Am Sonntag war "Würde" die meistverwendete Vokabel der Zeitungstitel, leider klingt das zwar nobel, aber nicht nach Wiederaufstehen und Weitermachen. Italien bestritt das Turnier mit dem höchsten Spieler-Durchschnittsalter und mehr Taktik als Technik. Eine Bande von abgebrühten Veteranen und unerfahrenen Neulingen ohne überragendes Talent, angetrieben und zusammen gehalten von einem anpassungsfähigen, kühl kalkulierenden und leidenschaftlich motivierenden Coach. Und natürlich von Buffon, diesem herzlich glühenden Urgestein.

Conte geht, Barzagli hatte ebenfalls vor der EM seinen Abschied angekündigt. De Rossi überlegt noch. Und Buffon? Ursprünglich wollte er bis 2018 auf seinem Posten bleiben, jetzt scheint auch das ungewiss. Noch einmal von vorn anfangen, noch einmal alles geben, über die eigenen, schwindenden Kräfte hinaus, noch einmal die Bande anführen - mit welchem Ziel vor Augen? Der neue Nationaltrainer Giampiero Ventura verkörpert statt Zukunftsverheißungen nur die Rückkehr zur Gemütlichkeit. Ventura ist 68 Jahre alt, er könnte Buffons Vater sein. Er war der Kandidat jener alten Männer, die im Verband den Ton angeben und deren Führungsstil so umrissen werden kann: viel Rhetorik und knallharte Restauration. Wie das halt so ist, wenn man seine Karriere schon hinter sich hat, aber nicht in Pension gehen will.

Weil Gianluigi Buffon sich das bestimmt nicht nachsagen lassen will, macht er nun vielleicht den Anfang. Es wäre wirklich zum Heulen.

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