Auftakt der EM-Qualifikation:Mit doppeltem Müller in die neue Zeit

Germany v Scotland - EURO 2016 Qualifier

Wieder drin: Thomas Müller erzielt das 2:1 gegen Schottland.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Dank zweier Tore des Münchner Angreifers startet Deutschland mühsam, aber erfolgreich in die EM-Qualifikation. Gegen widerspenstige Schotten muss der Weltmeister beim 2:1 zwischenzeitlich sogar zittern - Sorgen bereitet Marco Reus.

Von Ulrich Hartmann und Christof Kneer

Die Bilder sind alle noch präsent, die deutschen Nationalspieler am Strand von Santo André, die deutschen Nationalspieler auf der klapprigen Fähre in Brasilien, die sieben Tore gegen den Gastgeber und später, nach der Rückkehr, die Albernheiten auf der Berliner Fanmeile. In Bildern lässt sich Geschichte am besten verstehen, und so hat am Sonntagabend wohl der letzte Fußballfan begriffen, dass jetzt eine neue Zeit beginnt.

Dass vor dem Dortmunder Stadion keine Fähre verkehrt, war noch die kleinste Überraschung, aber die anderen Bilder waren wirklich neu: Manuel Neuer, der vor dem ersten Spiel jene obligatorische Fairplay-Erklärung verliest, die sonst immer Philipp Lahm verlesen hat; ein Bundestrainer, der als Einziger im blauen Hemd steckt, ohne gleichgekleideten Assistenten an seiner Seite; und ein Spieler mit der Rückennummer 7, auf dessen Trikot der Nachname "Rudy" steht.

Es ist nämlich so: Der Weltmeister will jetzt auch Europameister werden. Dieses Ziel hat Joachim Löw schon mal an den Horizont gemalt, er will verhindern, dass seine Weltmeister wie die DFB-Globetrotters durch die Qualifikation tingeln und sich feiern lassen. Aber im Grunde seines Trainerherzens weiß Löw, dass er diesen Trick eigentlich gar nicht nötig hat: Er hat eine Mannschaft, die genügend Pflichtbewusstsein besitzt, um die Spiele nach der heiligen Weltmeisterschaft nicht zu lässig anzugehen.

Dennoch kostete es den Weltmeister nach gutem Start einige Mühe, mit dem 2:1 (1:0) gegen den Auftaktgegner Schottland einen einigermaßen standesgemäßen Start in die EM-Qualifikationskampagne hinzubekommen. "Es war das erwartet enge Kampfspiel, ich kann mit dem Ergebnis sehr gut leben. Wir haben es in der ersten Halbzeit in der einen oder anderen Situation verpasst, das Ergebnis höherzuschrauben", sagte Thomas Müller. Es waren seine beiden Treffer, die der DFB-Elf einen Abend retteten, der von einem unschönen Schlussbild überschattet wurde: Marco Reus, der bereits die WM verletzt verpasst hatte, humpelte mit einer Knöchelverletzung vom Platz. Eine exakte Diagnose gab es am Abend noch nicht, es sei aber "vielleicht doch nicht so schlimm", meinte Joachim Löw später.

Der Beginn dieses Abends war in jedem Fall viel erfreulicher als das Ende. Weder der beim Fanvolk umstrittene Mario Gomez auf der Ersatzbank noch der BVB-Flüchtling Mario Götze im Sturmzentrum mussten einen Pfiff storm über sich ergehen lassen, was manche im DFB-Stab zuvor befürchtet hatten. Um zu verhindern, dass deutsche Spieler vom eigenen Publikum ausgepfiffen werden, hatte die Stadionregie 20 Minuten vor Spielbeginn eine Videobotschaft von Kevin Großkreutz ausgestrahlt, in welcher der Lokalmatador streng beschied: "Bei uns wird niemand ausgepfiffen!"

Und wirklich: Als der in Dortmund nicht mehr wohl gelittene Götze auf dem Monitor erschien, war kaum ein Pfiff zu vernehmen. Und als die Spieler den Rasen zum Aufwärmen betraten, ertönte ein Jubel, der vereinzelte Pfiffe fast unhörbar machte. Die einzigen, die später bei deutschem Ballbesitz pfiffen, waren die schottischen Fans, aber auch diese Pfiffe wurden von Dudelsackklängen verziert.

Rudy muss auf ungewohntes Terrain

Die DFB-Elf startete erwartungsgemäß nicht weltmeisterlich, aber angesichts der Umstände (Rücktritte, noch kein echter Spielrhythmus) und der zahlreichen Verletzten und Angeschlagenen (Schweinsteiger, Khedira, Hummels, Özil) gelang der Aufbruch in den nächsten Turnierzyklus zunächst recht passabel. Zumindest spielte die Elf am Anfang so, dass sie es ihrem Überraschungsgast zunächst nicht so schwer machte: Der Hoffenheimer Mittelfeldspieler Sebastian Rudy wurde von Löw als Rechtsverteidiger aufgeboten, auf einer für ihn völlig fremden Position.

Dieses Experiment steht nicht nur für die verzweifelte Suche nach einem Lahm-Nachfolger; es markiert auch die Abkehr vom sog. Ochsen-Prinzip. Gegen die kleineren Nationen in der EM-Qualifikation braucht Löw auf den Außenposten keine Innenverteidiger mehr, er sucht jetzt technisch gute Ankurbler, deren Defensivverhalten gerne noch ausbaufähig sein darf.

Sebastian Rudy wird nun immerhin seinen Enkeln erzählen können, dass er im ersten Pflichtspiel als Rechtsverteidiger ein Tor eingeleitet hat: Seine Flanke verwertete der unnachahmlich instinktsichere Thomas Müller per Hinterkopf.

Es war ein verdienter Führungstreffer (18.), dem weitere Chancen durch Reus, Kroos und Schürrle folgten, aber auch die Schotten verbreiteten bei ihren seltenen Vorstößen durchaus Gefahr - etwa bei Mulgrews Pfostenschuss (allerdings aus Abseitsposition). Schon da war erkennbar, dass die deutsche Elf nicht mit der Körperspannung eines Weltmeisters aufgelaufen war.

Nach der Pause häuften sich die Unkonzentriertheiten, die Deutschen ließen sich das Spiel immer mehr vom Fuß nehmen. "In dieser Phase haben wir etwas die Kontrolle verloren", urteilte Löw später milde, "in dieser Phase hat man schon gemerkt, wie kraftraubend die WM war. Bei den nächsten Spielen im Oktober werden meine Spieler besser im Rhythmus sein." Der Ausgleich zum 1:1 fiel jedenfalls fast folgerichtig: Götze verschlamperte ein Zuspiel, Rudy war aufgerückt und konnte nicht verhindern, dass der fulminant schnelle Ikechi Anya in seinem Rücken davonsauste (66.). Immerhin gelang es der DFB-Elf, wenigstens noch die Mentalität eines Weltmeisters zu aktivieren: Nach Reus' Eckstoß und anschließendem Strafraumgeflipper stand der stets phänomenale Müller wieder am rechten Fleck (70.). Bei der WM hatten die Deutschen mit einstudierten Standards geglänzt, aber die Flugroute des Balles war diesmal viel zu abenteuerlich, um einstudiert zu sein. "Wir haben heute unsere Pflichtaufgabe erfüllt", so lautete am Ende das Fazit des Aushilfskapitäns Manuel Neuer, "wie wir's gemacht haben, ist im Prinzip egal." Das kann man im Prinzip so sagen.

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