Aufstieg des SV Darmstadt 98:Erst das Wunder, dann Currywurst

SV Darmstadt 98 - FC St. Pauli

Darmstadts Hanno Behrens (l-r), Torwart Christian Mathenia und Hanno Behrens feiern nach dem 1:0-Sieg gegen St. Pauli den Aufstieg.

(Foto: dpa)
  • Am Böllenfalltor liegen sich plötzlich fremde Menschen in den Armen: Das kleine Darmstadt 98 schafft völlig überraschend den Durchmarsch in die Bundesliga.
  • In Karlsruhe ist der Jubel gedämpft - der FCK trauert.

Von Johannes Aumüller, Darmstadt

Als das Wunder vollbracht war, wusste einer der zentralen Wundertäter gar nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Während von den Tribünen nahezu alle auf den Rasen strömten und ein paar Stücke zur Erinnerung herausrissen, während ein Spieler nach dem anderen seine Freude laut herausschrie und der launige Präsident Rüdiger Fritsch als würdiges Feierformat "ein kleines Abendessen, Currywurst mit Pommes oder so" ankündigte - da spazierte Dirk Schuster weitgehend schweigend und lächelnd im Spielertunnel hin und her.

Mal ging er in den "Aktivenbereich", wie es an der Tür zum mannschaftlichen Rückzugsort in diesem in die Jahre gekommenen Stadion am Böllenfalltor heißt; mal ging er ein paar Schritte weiter in ein kleines Kabuff, wo er sich mit seinem Trainerteam traf; und dann kam er wieder heraus - und es ergab sich ein für solche Momente ungewöhnliches Bild.

Aufstiegstrainer Schuster

Auf der einen Seite des Gitters standen die Darmstädter Spieler und gaben die obligatorischen Interviews, auf der anderen die Journalisten und fragten die obligatorischen Fragen - und hinter den Journalisten stand der Schweiger und Lächler: Dirk Schuster. Und wie er sich da so befand, die Hände in die Seiten gestemmt, da wirkte er wie ein Papa, der so wahnsinnig stolz auf seine Kinder ist. Und in dessen Schweigen und Lächeln steckte mindestens so viel Genuss und Freude und Triumph wie bei anderen bei einer ausgiebigen Humba-Tätära-Performance auf dem Zaun. Eine Bierdusche bekam Schuster schließlich aber doch noch ab. Er ertrug sie mit Fassung.

Seit 2012 ist Schuster Trainer bei den "Lilien" und er ist mit Sicherheit einer der entscheidenden Personen für diese märchenhafte Geschichte, die sie sich in Darmstadt nun erzählen können. 2009 beinahe insolvent gegangen; 2013 eigentlich in die vierte Liga abgestiegen, aber wegen der Probleme der Offenbacher Kickers von diese Schicksal verschont; 2014 wegen eines Treffers in der Nachspielzeit des Relegations-Duell gegen Bielefeld in die zweite Liga aufgestiegen; eine Mannschaft mit einem Mini-Etat, einem alten Stadion und teils absurd unprofessionellen Arbeitsbedingungen - und nun dank eines 1:0 gegen den FC St. Pauli an diesem Sonntag zum dritten Mal seit den Spielzeiten 1978/79 und 1981/82 wieder Erstligist.

Zweimal hintereinander hat Darmstadt nun die Saisonziele krass verfehlt. Zweimal sollte die Klasse gehalten werden. Zweimal wechselte sie die Klasse. Aber eben immer nach oben. Weil: "Die Mannschaft war über die ganze Saison mit allen ebenbürtig und hat immer im roten Bereich gespielt, das war einfach Wahnsinn", sagte Schuster.

Spürbare Verzweiflung

Wer weiß, wie oft Schuster in den letzten 90 Minuten dieser wahnsinnigen Saison an all den Szenen verzweifelte, die die gut 16.000 Zuschauer so laut werden ließen - in der Hoffnung, dass aus ihnen dieses eine so dringend benötigte Tor resultieren würde? Am Doppelpass zwischen König und Kempe, aus dem eine gute Chance resultierte (15.). An der scharfen Hereingabe von Heller (21.). An der Chance für Kempe (40.). Am Solo von Holland die linken Außenbahn entlang? Am Kopfball von Sulu (65.). Am Sturz von Gondorf im Strafraum, nach dem sie auf Strafstoß reklamierten (66.). An all den Chancen nach Standardsituationen, die Schuster in dieser Saison zur Spezialität der Lilien entwickelt hat.

Die Rechnung war so einfach: Ein einziger dieser Bälle muss rein, dann ist Darmstadt Bundesliga-Aufsteiger. Wenn keiner reingeht, wäre Darmstadt nur Vierter - weil die Rivalen in ihren Spielen in Führung lagen. Kaiserslautern gegen Ingolstadt mit 1:0, Karlsruhe gegen den TSV 1860 München irgendwann sogar mit 2:0.

Lautern ist der große Verlierer

Und so war langsam die Verzweiflung spüren, die um sich griff, bei Schuster, seiner Mannschaft, den Zuschauern - bis jener Moment kam, der Darmstadts Aufstiegsfeier beginnen ließ. Bis zu jenem Moment, in dem Tobias Kempe in der 70. Minute einen Freistoß exakt ins untere Eck des Tores setzte und Pauli-Torwart Robin Himmelmann nicht mehr richtig rankam. Ab da war Darmstadt Zweiter. Dem KSC blieb nur der Relegationsplatz - und Kaiserslautern, das später gegen Ingolstadt noch den Ausgleich kassierte, nur Position vier.

Die Pfälzer sind nun der große Verlierer in diesem Aufstiegsrennen. Nach einem durchwachsenen Saisonstart hatte sich die junge Mannschaft eigentlich aufgerappelt und seit dem 23. Spieltag immer auf einem der Top-Drei-Ränge gelegen. Doch an den letzten Spieltagen der Saison lief nicht mehr viel zusammen, in den letzten sieben Partien gelang nur noch ein Sieg, in den letzten vier Spielen gab es nur noch zwei Punkte und zwei Niederlagen - darunter auch, als vielleicht entscheidende, das 2:3 im direkten Duell in Darmstadt vor drei Wochen "Uns ist die Luft ausgegangen", sagte Lauterns Mittelfeldspieler Markus Karl.

In Darmstadt hingegen herrschte Aufstiegsfreude pur. Und die Freude war so groß, dass sie auch noch großzügig mit den Gästen geteilt werden konnte. Als der Stadionsprecher verkündete, dass ob der Ergebnisse auf den anderen Plätzen St. Pauli den Klassenerhalt geschafft hatte, da grölte ein ganzes Stadion freudetrunken auch "St. Pauli, St. Pauli" - ehe der gemeinsame Darmstädter Feiermarathon begann.

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