Aufarbeitung der Skandal-Tour 1998:Ernüchterung ohne Gesicht

Tour de France 2013 - 18th stage

Jens Voigt war schon bei der Skandal-Tour 1998 dabei.

(Foto: dpa)

Die 100. Tour de France steht kurz vor dem Abschluss, bald wird im Abendlicht der Champs-Élysées ein neuer Sieger gekürt. Erst danach veröffentlicht der französische Senat seinen Bericht zur Skandal-Rundfahrt 1998. Die Vereinigung der Radprofis kämpft dafür, dass die Namen der damals Gedopten unter Verschluss bleiben.

Von Andreas Burkert

Am Mittwoch in Paris, 10.30 Uhr, zumindest der Termin steht. Die 100. Tour de France ist dann verschwunden aus der Kapitale, die anlässlich des Jubiläums eine Premiere erlebt: einen letzten Abschnitt im Abendlicht, er endet am Sonntag gegen 22 Uhr auf der Avenue des Champs-Élysées. Spätestens am Mittwoch kehrt Ernüchterung in Frankreich ein, das ist klar. Die Frage ist nur noch, ob diese Ernüchterung auch Gesichter erhält.

Dass die akkurate Aufklärung der Vergangenheit einen Wert besitzt, obwohl man doch im Grunde schon viel über sie zu wissen glaubt, das hat der Sturz von Lance Armstrong eindrucksvoll belegt. Die Vereinigung der Radprofis CPA misst ihr aber offenbar keinen Wert bei: Denn sie wehrt sich nun dagegen, dass die für Mittwoch von einer Kommission des französischen Senats angekündigte Veröffentlichung zu Nachtests von Dopingkontrollen der Skandaltour 1998 mit Gesichtern versehen wird, sprich: mit Namen.

Mehr als 50 B-Proben, welche das akkreditierte Labor in Châtenay-Malabry nahe Paris 2004 erneut analysierte, sollen positiv auf die damalige Standarddroge Epo gewesen sein. Die CPA, vertreten vom früheren italienischen Profi Gianni Bugno, argumentiert nun, die Nachkontrollen seien 2004 "aus rein wissenschaftlichen Gründen und nicht für Anti-Doping-Kontrollen" erfolgt; die Konditionen im Labor hätten zudem "nicht den anerkannten Test-Standards" entsprochen. Auch bedeute eine Veröffentlichung mutmaßlicher Dopingsünder eine Vorverurteilung "ohne das Recht der Verteidigung".

Das Pariser Labor genießt freilich einen exzellenten Ruf - es überführte 2005 auch Armstrong in erneuten Analysen des Epo- Dopings beim Toursieg 1999; der Weltverband UCI hielt die Kontrollen aber für sportrechtlich nicht verwertbar, auch deshalb steht die UCI im Verdacht, Armstrong gedeckt zu haben. Die Senats-Kommission hat sich jetzt, ausgehend vom Armstrong-Skandal, in viermonatigen Recherchen ein Bild von einer Seuche machen wollen, die dem nationalen Heiligtum mindestens anderthalb Jahrzehnte zusetzte.

"In manchen Sportarten oder Ländern liegt die Quote der positiven Kontrollen zwischen ein und zwei Prozent", erklärt der Parlamentarier Jean-Jacques Lozach: "Aber das entspricht nicht der Situation des Dopings!"

Der Bericht könnte noch aktive Fahrer betreffen

Die Positivquote, die am Mittwoch vermeldet wird, dürfte eher bei 95 Prozent liegen. Weshalb die CPA die Namen unter Verschluss halten will, ist naheliegend: Die sportrechtlich, wohl aber nicht strafrechtlich verjährten Vergehen beträfen auch den laufenden Betrieb. Neben gefallenen Idolen der 98er-Tour wie Gewinner Marco Pantani (2004 den Drogentod gestorben) und den Zweiten Jan Ullrich (der über diese Zeit schweigt) oder den von L'Équipe enttarnten Franzosen Laurent Jalabert könnte es ja unter Umständen Fahrer treffen, die bei der Tour 2013 noch aktiv sind: als Profis der Berliner Jens Voigt und dessen damaliger Gan-Kollege Stuart O'Grady, als Team- oder Sportchefs etwa Wjatscheslaw Ekimow (Katjuscha), Wilfried Peeters aus Tony Martins Quick-Step-Truppe, Jeroen Blijlevens (Belkin) und Servais Knaven - der im Auto der "Null-Toleranz"-Flotte von Sky sitzt, der Mannschaft des Gelben-Trikot-Trägers Christopher Froome. Alle weisen bisher Dopingverdächtigungen zurück.

Voigt hat zuletzt deutsche Journalisten angeraunt, 1998 liege doch 15 Jahre zurück. Er war vor der Tour mit Kollegen bei Frankreichs Sportministerin Valérie Fourneyron vorstellig geworden und hatte (erfolgreich) um Verschiebung des Senats-Reports gebeten; dass er 1998 mitfuhr, äußerte er nicht. Auch Tony Martins Mentor Rolf Aldag war bei der von Razzien und flüchtenden Teams geprägten Tour dabei, er gestand 2007 Epo-Doping.

"Statt der 50 sollten 130 Positive dabei sein", sagt er trocken, "und am besten unterschreiben dann alle ein Memorandum, dass es halt damals so war." Die Vergangenheit gehöre aufgeklärt, "das wäre ein Befreiungsschlag und die Chance, endlich einen Schlussstrich ziehen zu können".

Dass CPA-Chef Bugno, 49, das womöglich anders sieht, überrascht nicht: Er war mal wegen Dopings gesperrt und wurde im Jahr nach der Tour '98 wegen des Kaufs und Besitzes von Amphetaminen zu sechs Monaten Bewährungsstrafe verurteilt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: