ATP-Finale in London:Djokovic im Ausnahmezustand

Serbia's Novak Djokovic reacts during his round robin match with Austria's Dominic Thiem

Beim ATP-Finale in London präsentiert sich Djokovic reizbar.

(Foto: REUTERS)

Beim ATP-Finale zehrt der Kampf um Weltranglistenposition eins an Novak Djokovics Nerven: Er schlägt Bälle in Richtung seiner Trainerbox - und legt sich mit Journalisten an.

Von Philipp Schneider

Es gibt ein paar Daten über die riesige, runde Halle im Londoner Stadtteil Greenwich, die sich mit wenig Aufwand recherchieren lassen. Nach ihrer Fertigstellung im Jahr 1999 wurde die Halle auf den wenig bescheidenen Namen Millennium Dome getauft, mit einer Höhe von 52 Metern und einem Durchmesser von 365 Metern ist sie der größte einzeln stehende Baukörper in Großbritannien und der größte Kuppelbau der Welt. Vor allem aber, und diese Eigenschaft teilt der Dome mit den übrigen Hallen dieser Welt, hat er ein Dach, das ihn recht zuverlässig schützt vor dem Eindringen von Wasser in allen erdenklichen Aggregatzuständen.

Novak Djokovic war dieser Aspekt offenbar entfallen, als er sich nach seinem Dreisatzerfolg gegen Dominic Thiem beim Saisonabschlussturnier einen Disput mit einem Journalisten lieferte. Der wollte von Djokovic wissen, weswegen er, offenbar gefrustet, nach Verlust des ersten Satzes einen Ball in Richtung seiner Trainerbox gefeuert hatte, und ob er mit der Aktion nicht einen Zuschauer hätte verletzen können? "Es hätte auch schneien können in der Arena", antwortete Djokovic genervt: "Hat es aber nicht."

Nun half ihm die schiefe Analogie nicht weiter, die Diskussion wurde noch hitziger, Reporter und Spieler kamen in der Angelegenheit nicht mehr zusammen: Kurz darauf verließ Djokovic den Raum. Unabhängig von der gärenden Frage, ob das unsportliche Verhalten des ehemaligen Weltranglistenersten in dieser Saison zugenommen hat, ist unstrittig: Djokovic stand schon vor dem Finale der ATP-Tour unter verschärfter Beobachtung, jede seiner Handlungen wurde mit Akribie gedeutet wie die ersten Auftritte des designierten US-Präsidenten.

Für Djokovic geht es beim ATP-Finale um viel

Ob er Pepe Imaz als zusätzlichen Trainer in sein Team holt, was ja zunächst einmal nur bedeutet, dass der Spanier das Portfolio von Boris Becker und Marian Vajda um esoterische Aspekte erweitert; ob er einen Ball in Richtung seiner Trainerbox schlägt (wo übrigens Becker und Vajda saßen); oder ob er sich einfach an der Nase kratzt: Alles wird interpretiert. Und jede Interpretation birgt die Gefahr der Überinterpretation. Djokovic entgegnete dem Journalisten: "Ihr sucht immer diese Dinge heraus."

Es steht für Djokovic einiges auf dem Spiel in London. Die Fallhöhe des Sturzes, der ihm droht, sollte Andy Murray im Ranking auch an Silvester noch vor ihm stehen, hat er vor zwei Jahren selbst definiert: Die Führung in der Weltrangliste, hat er gesagt, sei der "Gipfel" seines Sports. Nichts läge also näher, als Djokovics Entgleisung als Ergebnis eines emotionalen Ausnahmezustands am Ende einer Saison zu deuten, die von den French Open in ein erfolgreiches Vorher und ein enttäuschendes Nachher geteilt wird. Andererseits ist es auch nicht so, als sei Djokovic zum ersten Mal etwas schief rausgeflutscht. In Rom warf er seinen Schläger, der über die Bande ins Publikum sprang, mit Glück verletzte er niemanden. Bei den French Open schmiss er sein Spielgerät auf den Boden und verfehlte knapp einen Linienrichter.

Warum er, wenn sie ihm doch immer wieder unterlaufen würden, für seine Unsportlichkeiten noch nicht gesperrt worden sei, hat Djokovic gefragt - eine rhetorische Frage. Die Antwort wäre trotzdem interessant.

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