ATP-Finale im Tennis:Murray und Djokovic zelebrieren ihre Tennis-Romanze

ATP-Finale im Tennis: Novak Djokovic und Andy Murray sind sich oft begegnet - man schätzt sich sehr.

Novak Djokovic und Andy Murray sind sich oft begegnet - man schätzt sich sehr.

(Foto: AFP)
  • Andy Murray beendet die Saison auch deshalb als Nummer eins der Tenniswelt, weil er die Gabe besitzt, mit Höhen und Tiefen klarzukommen.
  • Novak Djokovic fehlte diese Ausgeglichenheit zuletzt.

Von Philipp Schneider, London

Der letzte Seitenwechsel. Zwei Männer sitzen auf ihren Bänken, sie wissen noch nicht, dass es gleich zu Ende gehen wird. Aber der Bildregisseur scheint etwas zu ahnen, er fährt nah ran an die Gesichter wie einst der Kameramann von Sergio Leone, das Bild erscheint auf dem Videowürfel, der groß wie ein Gartenhaus unter der Hallendecke hängt. Die Kamera fängt zwei Tennisspieler ein: Im Vordergrund sitzt einer, der die Augen geschlossen und den Kopf nach vorne geneigt hat. Es sieht so aus, als wäre sein Geist sonstwo, nur nicht auf dem Tennisplatz, auf dem sich seine Füße befinden.

Sein Bild verliert sich in Unschärfe, weil die Kamera auf jemanden im Bildhintergrund fokussiert hat. Dort sitzt einer, der gerade einen Zettel hervorgekramt hat und nun zu lesen beginnt, was er sich selbst als Hausaufgabe verordnet hat. Eng an der Grundlinie stehen. Auf die Rückhand spielen. In die Mitte aufschlagen. Solche oder ähnliche Dinge studiert der Mann, dem nur noch eine Lesebrille fehlt, um den Kontrast zu seinem entrückten Pendant maximal ausfallen zu lassen. Dann steht Andy Murray auf und serviert sich ins Glück.

6:3, 6:4 nach nur 102 Minuten, Mission erfüllt, die Weltranglistenführung verteidigt. Jetzt gibt's Konfetti und Feuerwerk.

Die schönsten Geschichten, die das Tennis erzählt, sind diejenigen, die von Rivalitäten und auch von Eitelkeiten handeln. Das Tennis ähnelt da dem Boxen, der Unterschied ist allenfalls, dass die Protagonisten beim Tennis gesitteter miteinander umgehen. Becker und Edberg, McEnroe und Lendl, und natürlich Murray und Novak Djokovic.

Wobei deren Geschichte ja schon vor diesem Finale in London, beim letzten Turnier des Jahres, eine besondere gewesen ist, ehe sie sich nun zuspitzte "wie eine Filmgeschichte", wie Djokovic vor dem Endspiel um die Weltranglistenführung gesagt hatte. Sieben Tage ist Murray älter als Djokovic. Beide kamen sie im Mai 1987 zur Welt, der Schotte in Glasgow, der Serbe in Belgrad. Ihr halbes Leben haben sie seitdem damit verbracht, gegeneinander zu spielen. "Eine lange Geschichte", sagte Djokovic: "Ich nenne sie eine Romanze."

Zum Erzählgerüst dieser Romanze hatte es gehört, dass sich Murray und Djokovic schon in den Finals von fast jedem Turnier begegnet waren, der Schotte aber weit mehr Endspiele verloren als gewonnen hatte - allein 2016 drei sehr wichtige: bei den Australian Open, in Madrid und bei den French Open. Wenn man so will, hat diese Romanze am Sonntag eine Verschiebung der Rollenverständnisse erfahren und eine Wendung genommen, die vor sechs Monaten noch undenkbar erschien. In jenem Moment, als Djokovic nach dem Gewinn der French Open den Gipfel seiner Karriere erklommen hatte, in jenem Moment, als er zeitgleich alle vier Grand-Slam-Pokale hielt. Vorher war das nur dem Amerikaner Don Budge und dem Australier Rod Laver gelungen. 47 Jahre war das her.

Man kann sich so sehr am Ziel wähnen, dass es schwerfällt, einen Weg zu sehen, der noch irgendwohin führen könnte. Djokovic ist es so ergangen. Am Sonntag sagte er: "Ich habe in den ersten sechs Monaten des Jahres und in Roland Garros so viele Emotionen erlebt, dass ich etwas Zeit benötigt hätte, um das alles zu verdauen. Die hatte ich aber nicht. Ich musste wenige Wochen später wieder auf den Court. Ich denke, das hatte seinen Preis."

Murrays Gesichtsausdruck ist immer gleich

Dieser Preis war ein klobiger Pokal, der am Sonntagabend auf einem Tisch vor Murray stand. Die ATP verleiht ihn dem Weltbesten am Jahresende, und der war nun zweifelsfrei Murray, weil er in den letzten Monaten so ziemlich jedes Turnier gewonnen hatte, das die Tour zu bieten hatte. Und weil es noch eine weitere Trophäe gibt für den Sieger des Abschlussturniers, das früher mal Weltmeisterschaft hieß, standen nun sogar zwei Pokale vor Murray. Dazu kam noch eine größere Schampusflasche, sodass, wer Murrays Gewinnergesicht noch erkennen wollte, erst einen geeigneten Sitzplatz finden musste mit unverstellter Sichtachse. Wobei sich Murrays Gewinnergesicht nicht groß unterscheidet von Murrays Verlierergesicht.

Prestigeträchtige Nummer: Führende der Weltrangliste zum Jahresende

2016 Andy Murray (Großbritannien)

2015 Novak Djokovic (Serbien)

2014 Novak Djokovic (Serbien)

2013 Rafael Nadal (Spanien)

2012 Novak Djokovic (Serbien)

2011 Novak Djokovic (Serbien)

2010 Rafael Nadal (Spanien)

2009 Roger Federer (Schweiz)

2008 Rafel Nadal (Spanien)

2007 Roger Federer (Schweiz)

2006 Roger Federer (Schweiz)

2005 Roger Federer (Schweiz)

2004 Roger Federer (Schweiz)

2003 Andy Roddick (USA)

2002 Lleyton Hewitt (Australien)

2001 Lleyton Hewitt (Australien)

2000 Gustavo Kuerten (Brasilien)

Es ist, wie es ist. Und vielleicht ist das ja eine der wunderbarsten Wesenszüge dieses Mannes aus dem kleinen schottischen Ort Dunblane, wo das Wetter auch so ist, wie es ist, das ganze Jahr gleich. Dass er nämlich gelernt hat, die Momente zwar zu schätzen, wenn es das Leben gut mit ihm meint, aber auch nicht gleich auszurasten, wenn das Glück kübelweise über ihm ausgeschüttet wird. Well, sagte Murray. Der Unterschied zu Djokovic "war nur ein einziges Match". Entsprechend schwierig werde es, die Weltranglistenspitze zu verteidigen. Und, auch dies gab Murray nüchtern zu: Er sei ja auch deshalb zur Nummer eins geworden, weil Djokovic zuletzt nicht sein bestes Tennis gespielt habe.

Die Romanze von Andy und Novak lässt sich nicht erzählen ohne Ivan Lendl und Boris Becker. Die alten Rivalen saßen am Sonntag als Trainer in den Boxen ihrer Spieler, Lendl als Gewinner, Becker als Verlierer. Mit Lendl, dem in Tschechien geborenen Amerikaner, verbindet Murray alles Schöne, das ihm im Tennis widerfahren ist. 2012 gewannen sie gemeinsam Olympia-Gold und die US-Open, 2013 das erste Mal in Wimbledon. Im Frühjahr 2014 verließ Lendl Murray, weil er des Reisens müde war. Murray war irritiert. Und ehe Lendl im Juni dieses Jahres zurückkehrte, gewann er keinen großen Titel mehr.

Becker hingegen coachte Djokovic zu seiner historischen Tat bei den French Open, verlor daraufhin aber, so wirkt es, den Zugang zu seinem Spieler. Am Sonntag saß Becker, wie meist in Rot gekleidet, am Rand von Djokovics Box, neben Coach-Kollege Marian Vajda. Genau auf der gegenüberliegenden Seite, in maximalem Abstand zu Becker, saß der weiß gewandete Pepe Imaz. Rot und weiß, wie Engelchen und Teufelchen sah das aus.

In jedem Fall aber wirkte es, als säße dort ein Trainer zu viel. Imaz, ein ehemaliger Tennisprofi, der es in der Weltrangliste nur auf Platz 146 geschafft hatte, begleitet Djokovic seit ein paar Wochen als eine Art Lebenscoach. Berühmt wurde der Spanier eher wegen eines Videos im Internet, in dem er mit Djokovic meditiert und dabei esoterische Elemente einfließen lässt, die offenbar das komplexe Leben eines reflektierten Tennisprofis auf die Banalprinzipien Liebe und Frieden reduzieren sollen.

Imaz sei kein "Guru", ereiferte sich Djokovic, nachdem die neue Zusammenarbeit weltweit für entsprechende Schlagzeilen gesorgt hatte. Und nun saß da der auffallend teilnahmslose Becker in der Box, dessen vertragliche Übereinkunft mit Djokovic am Jahresende auslaufen wird. Zweimal nur stand Becker auf im ersten Satz, um zu applaudieren. Einmal, als der Ball nach einem Netzroller doch noch auf Murrays Seite fiel. Ein anderes Mal, als Djokovic den ersten Breakball abwehrte.

Ob es bezüglich seiner Coaches etwas Neues zu verkünden gäbe, wurde Djokovic gefragt. "In diesem Moment, nein, sorry." Es war der Moment nach einem Moment, in dem es so ausgesehen hatte, als würde Djokovic auf dem Platz meditieren.

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