Atlético gegen FC Bayern:Griezmann, das 100-Millionen-Küken

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Traf im Viertelfinale der Champions League gegen Barcelona doppelt: Antoine Griezmann. (Foto: AFP)
  • Im Halbfinale gegen Atlético Madrid muss der FC Bayern vor allem auf den torgefährlichen Antoine Griezmann aufpassen.
  • Nach Schwierigkeiten zu Beginn seiner Karriere in Frankreich schaffte er in der Primera División den Durchbruch. Mittlerweile gehört er zu den begehrtesten Spielern Europas.
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Von Oliver Meiler

Wenn Spanier einen Sportler pollito rufen, Küken also, dann ist das selten eine sonderliche Wertschätzung. Und wenn das auch noch im Vicente Calderón passiert, in einem Stadion wie einem Schwitzkasten, wo die Attribute eines Mannes immer noch vor allem anatomischer Art zu sein haben, dann muss man von einer Schmähung ausgehen. Außer natürlich beim Franzosen mit der Nummer 7 im Team von Atlético Madrid - außer beim Stürmer Antoine Griezmann.

Als der den Scheitel noch färbte, sah das eben ein wenig so aus, als wäre es ein Hühnerkamm, und ein Riese ist er ja auch nicht, 1,75 Meter, 71 Kilogramm. Und doch liegt im Halbfinale der Champions League gegen den FC Bayern wieder viel Gewicht und noch mehr Hoffnung auf den Schultern des "Pollito". 29 Tore hat Griezmann in dieser Saison erzielt, alle Wettbewerbe gezählt, ein persönlicher Karriererekord.

Und da Atlético ja mehr verteidigt, als dass es stürmt, um es mit einer heillosen Untertreibung zu sagen, ist diese Bilanz erstaunlich. Die Bayern fürchten Atlético als faszinierendes, kämpferisches Gesamtkunstwerk - aber ganz besonders fürchten sie Griezmann, 25, jenen Spieler, der kämpfen kann wie die Kollegen, den Kampf aber gleichzeitig mit seiner Technik veredelt.

In seiner Jugend wurde Griezmann oft für zu leicht und zu klein befunden

Aber zunächst muss die Rede von Phonetik sein. Griezmann ließ einmal mitten in einer Pressekonferenz der französischen Nationalmannschaft ausrichten, sein Name spreche sich übrigens "Griäsmannö" aus. Und nicht "Grisman" - oder gar "Grizman" mit gelispelten "z", wie die Spanier ihn nennen. Diese Präzisierung erschien ihm erst dann angemessen zu sein, als er den Sprung in die Elite geschafft hatte. Nicht, dass der Hinweis viel gebracht hätte, doch er war ihn sich schuldig.

Antoine Griezmann stammt aus Mâcon im Burgund, einer Weinregion. Dort machte er die ersten Versuche am Ball, und lange sah es so aus, als würde er sie immer in der Provinz aufführen. Trotz seines Talents. Die Eltern zeigten ihn vielen Vereinen, unter anderem Auxerre, Saint-Étienne, Sochaux, Metz. Doch überall befand man den Sohn für zu leicht und zu klein. Er war 13, als ihn Montpellier probehalber zu einem Testturnier bei Paris mitnahm.

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Da waren auch Späher aus dem Ausland dabei, einer drückte dem kleinen Antoine eine Visitenkarte in die Hand, auf deren Rückseite er ein Angebot gekritzelt hatte: "Eine Woche Probetraining bei Real Sociedad San Sebastián", stand drauf. Griezmanns Eltern waren gerade in Urlaub, und als sie wieder daheim waren, schienen sie nicht sehr angetan zu sein von dieser Idee. Nach Spanien, mit 13?

Sie ließen ihn dennoch gehen. Und der Sohn sollte nie mehr zurückkehren aus dem "Exil", wie die französischen Medien es nennen, als wäre Spanien eine Zumutung. "Grizzi" durchlief alle Jugendkategorien bei Real Sociedad und pendelte jahrelang nach Bayonne im französischen Baskenland, um dort zur Schule zu gehen. Spanisch lernte er mit der Zeit natürlich perfekt, doch kurioserweise legte er sich einen feinen südamerikanischen Akzent zu, den ihm seine vielen südamerikanischen Spielkameraden beibrachten.

Mit 19, als sich ein offensiver Mittelfeldspieler der ersten Mannschaft verletzt hatte, wurde er plötzlich ins Eliteteam befördert - und wieder kehrte er nicht zurück. Er blieb dort oben, bei den Profis. Stark gewachsen war Griezmann zwar nicht in der Zwischenzeit, aber der Linksfuß war schnell, technisch versiert, ein Wirbler auf der linken Außenbahn. Man sagt ihm nach, er bringe das Gleichgewicht der gegnerischen Abwehr mit Tempo und Finten durcheinander und schaffe so Räume, wo es vorher keine zu geben schien.

Als vor bald zwei Jahren Atlético um seine Dienste warb, war man in Madrid aber alles andere als überzeugt. Das "Pollito", 30 Millionen Euro teuer, sollte ja auch ausgerechnet Diego Costa ersetzen, der zum FC Chelsea gewechselt war - einen Athleten, fast 1,90 Meter groß, den man nur anzuspielen brauchte, damit er sich mit der schieren Wucht seiner Schultern und nicht selten auch mit den Ellbogen einen Weg zum Tor bahnte. Vor Costa hatten die Fans schon Fernando Torres, Diego Forlán, Sergio Agüero und Radamel Falcao stürmen sehen; Größen ihres Fachs, die später für viel Geld weiterzogen und die klammen Kassen des Klubs füllten. Und nun der kleine "Grizzi", als Neuner?

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Trainer Diego Simeone aber traute dem Neuen viel zu. Er forderte ihn auf, weiter in die Mitte zu rücken, zwischen den Linien zu wuseln, Bälle zurückzugewinnen. Zunächst sollte er mit Mario Mandzukic arbeiten, doch die beiden passten kaum zusammen. Der Klub holte den Kolumbianer Jackson Martínez dazu, die Argentinier Luciano Vietto und Angel Correa, den Belgier Yannick Ferreira-Carrasco - und Fernando Torres kehrte heim, der Liebling des Volkes. Simeone probierte unzählige Offensivkombinationen aus, im Zentrum seiner Überlegungen aber stand immer Griezmann, der sämtliche Freiheiten genoss und plötzlich Tor um Tor schoss.

Zu haben wäre er für 100 Millionen Euro

Mittlerweile ist Griezmann 25, und das Interesse an ihm ist auch außerhalb Spaniens so groß geworden, dass Atlético sein Gehalt "substanziell" verbessert hat, wie er selber das nannte. Die Freikaufklausel in seinem Vertrag beträgt nun 100 Millionen Euro. Manchester United soll ihn trotzdem verpflichten wollen, beim FC Chelsea sinniert man über einen Tausch mit Diego Costa.

Und Paris St. Germain ist ja immer auf der Suche nach prominenten Franzosen, die das Image der seelenlosen, mit Petrodollar zusammengekauften Söldnertruppe etwas korrigieren würden. In der Nationalmannschaft der Franzosen, die im Sommer beim Turnier im eigenen Land gerne Europameister werden würde, hat sich Antoine Griezmann ohnehin schon einen Stammplatz erspielt.

Vergeben ist inzwischen auch eine unschöne Episode aus Zeiten in der U 21, die mit seinem Ruf als "Chorknabe" kontrastierte, wie ihn die Zeitung Libération einmal nannte. Vor vier Jahren, nach einem Relegations-Hinspiel der französischen Junioren gegen Norwegen, ließen sich "Grizzi" und vier Teamkollegen von Le Havre mit einem Taxi ins 180 Kilometer entfernte Paris fahren, wo sie sich in einem Nachtclub vergnügten. Ohne Erlaubnis. Das Rückspiel ging 3:5 verloren, Frankreich war draußen. Und die fünf Nachtschwärmer wurden mit langen Sperren bestraft, die von Griezmann dauerte 13 Monate.

Lange her. Bei Umfragen unter Fans kam gerade heraus, dass der Mann aus dem spanischen Exil der beliebteste Nationalspieler ist, mit beträchtlichem Abstand. Eine hübsche Revanche ist das, nachdem ihn die Klubs aus der Heimat für zu klein, zu leicht und zu kükenhaft befunden hatten.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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