Athlet des Tages (6):Ich bin ein Berlino

Wer nicht bei drei vor einer Fernsehkamera spricht, den schnappt sich Berlino. Dem Maskottchen der Leichtathletik-WM entgeht niemand, schon gar nicht Sprint-König Usain Bolt.

Thomas Hummel, Berlin

Usain Bolt hatte gerade die Ziellinie überquert, da stand sein Freund schon wieder vor ihm. Der große Stoffbär mit dem breiten Grinsen. Während nun alle Welt in Ehrfurcht erstarrt vor diesem jamaikanischen Wunderläufer, der ja schon wieder eine unfassbare Bestmarke gesetzt hatte, stürzte der Bär mit seiner zur Schau gestellten Fröhlichkeit auf ihn los, als würden sich die beiden seit dem Sandkasten kennen - und umarmt ihn. Er umarmt tatsächlich den diesmal machtlosen Usain Bolt, und fordert den Sprint-König auf der Ehrenrunde auch noch zu einem Wettlauf heraus.

Athlet des Tages (6): Usain Bolt und Berlino, sein bester Freund bei der Leichtathletik-WM.

Usain Bolt und Berlino, sein bester Freund bei der Leichtathletik-WM.

(Foto: Foto: ddp)

Der rasende Stoffbär namens Berlino dürfte derzeit das einzige Wesen in Deutschland sein, dass noch mehr Faxen macht und noch penetranter in jede Kamera lacht als Usain Bolt. Das scheint dem Gaudiburschen aus Jamaika irgendwie Respekt abzunötigen. Zum 200-Meter-Endlauf erschien Bolt mit einem T-Shirt, auf dem stand: "Ich bin ein Berlino."

Einerseits verwunderte die Anspielung auf den legendären Satz John F. Kennedys bei dessen hochpolitischem Berlin-Besuch 1963 etwas, denn man könnte daraus ableiten, Usain Bolt wisse darüber Bescheid. Andererseits ist festzustellen: Was für eine Ehre für das Maskottchen dieser Leichtathletik-WM! Soweit hat es so ein Tierchen noch nie gebracht.

Welcher italienischer Fußballer hätte schon daran gedacht, zum WM-Finale im gleichen Stadion vor drei Jahren mit dem Spruch "Ich bin ein Goleo" auf das Feld zu gehen. Oder die deutschen Kicker bei der WM in Österreich: "Wir sind Trix und Flix - uns stoppt nix."

Doch diesem Berlino ist eben nicht zu entkommen. Wer nicht bei drei auf der Tribüne sitzt oder vor einer Fernsehkamera spricht, der wird in die felligen Arme geschlossen. Melanie Walker, Siegerin über 400 Meter Hürde, nahm er Huckepack. Ariane Friedrich drückte er herzhaft an seine starke Brust. Steffi Nerius lag nach ihrem Speerwurf-Sieg plötzlich unter dem aufdringlichen Vieh. Und da sich der Stoffbär recht grobschlächtig fortbewegt, wäre sie beinahe nicht mehr rausgekommen.

Nur Diskus-Weltmeister Robert Harting regelte das Bären-Problem auf seine Art. "Ich hatte plötzlich seine Pranke im Gesicht, da müsste ich ihn erstmal wegräumen." Der 2,01 große Harting hob den halbstarken Berlino mit den Füßen nach oben auf seinen Rücken, dass der Stoffbär Angst haben musste, den Kopf zu verlieren.

Von Usain Bolt hat Berlino da weniger zu befürchten. Ausgiebig zelebrierten die beiden den neuerlich beängstigenden Weltrekord über 200 Meter (19,19 Sekunden) mit Bolts Siegerpose, die ein bisschen an Bogenschießen erinnert. Ein Stoffbär und Bogenschießen?

Einmal in diesem Leben treffen sie sich noch: Am Samstag nach dem Zieleinlauf der 4x100-Meter-Staffeln können beide wohl wieder ihre Faxen treiben. Und wenn dann Usain Bolt irgendwann in ferner Zukunft an seine Tage im Berliner Olympiastadion zurückdenkt, wird er sich bestimmt an die Weltrekorde, den Jubel, die Ovationen erinnern. Und an seinen besten Freund Berlino.

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