Arsenals Topspieler:Mal Ozil, mal Özil

Mesut Özil Arsenal London

Unersetzlich bei Arsenal: Mesut Özil.

(Foto: REUTERS)

Nicht nur mit der Namensschreibung haben die Engländer noch ein Problem. Der FC Arsenal ist abhängig von den Formkurven des deutschen Nationalspielers. In München wird Mesut Özil wieder an den verschossenen Elfmeter aus dem Hinspiel erinnert.

Von Raphael Honigstein, London

"In unserer Gesellschaft ist die Zeitspanne zwischen Buhrufen und Applaus sehr kurz", sagte Arsène Wenger im Anschluss an den 4:1-Sieg im Pokal-Viertelfinale gegen den FC Everton am Samstag. Arsenals Trainer weiß, wovon er spricht. Sieben Tage zuvor hatten seine Gunners beim 0:1 in Stoke eine jener überaus vermeidbaren Niederlagen erlitten, die in der jüngeren Vergangenheit oft genug den Anfang eines Zusammenbruchs markierten.

Sofort kamen mühsam unterdrückte Frustgefühle der Fans (kein Titel seit 2005) und der klassisch-mediale Spott über Wengers konsequent erfolglose Schönspieler wieder auf. Arsenal kann die Meisterschaft abschreiben, lautete der Tenor, während der FC Liverpool als aufregender Geheimfavorit bejubelt wurde. Entscheidend ist hier die Wahrnehmung, nicht die Punkte. Der Rückstand auf Tabellenführer FC Chelsea, der in der Premier League bereits ein Spiel mehr bestritten hat, beträgt für beide Teams sieben Zähler.

Von manisch-depressiver Wut zur totalen Freude

Eine Woche später schien dann schon wieder die Sonne. Und die Anhängerschaft erlebte an der Holloway Road ein kleines, längst vergessen geglaubtes Glück: Der Einzug ins Pokal-Halbfinale, wo der vom Deutschen Uwe Rösler trainierte Zweitligist Wigan Athletic wartet, bringt Aussicht auf einen echten Frühling. "Arsenal hat seine Saison wiederbelebt", schrieb der Daily Telegraph, "das war mehr als ein Sieg. Es war die Rückkehr der Hoffnung."

Die Ergebnisse sind in dieser Spielzeit insgesamt passabel, die emotionalen Ausschläge aber extrem wie selten zuvor. Arsenal spielte gegen Everton zumindest phasenweise so kreativ und flüssig, dass das Stadion "von einer kollektiven Amnäsie erfasst wurde", wie der Independent diagnostizierte. Alle Enttäuschungen waren sofort vergessen. Wengers Team zelebriert zwar nicht mehr den Fußball der Zukunft, aber es hat immerhin die absolute Hoheit über den Gemütszustand seiner Fans: Es gibt die totale Freude oder manisch-depressive Wut. Dazwischen: nichts.

Passend zu dieser elementaren Unausgeglichenheit war Mesut Özil der Mann des Spiels. Der Nationalspieler schloss nach langen, trüben Wintermonaten mit einem Tor, einer Vorlage und rundum feinen Aktionen an seine Großtaten aus dem Herbst an. Stehende Ovationen gab es jedoch für eine eher untypische Szene. Kurz vor der Halbzeitpause sprintete Özil, 25, seinem Gegenspieler Kevin Mirallas 40 Meter hinterher und setzte eine gekonnte Grätsche an. "Er wirkt körperlich regeneriert", freute sich Wenger, "er hatte mehr Kraft in seinen Läufen und verrichtete viel schmutzige Arbeit für seine Mitspieler. Wenn er sich so verhält, haben wir eine bessere Chance, Spiele zu gewinnen."

Letzteres ist ein wenig untertrieben. Özil wollte im Sommer 2013 ursprünglich ja eigentlich gar nicht von Real Madrid zum FC Arsenal wechseln. Erst kurz vor Ende der Transferperiode - und nach sanftem Druck der Arsenal-Klubführung auf den kauzig-sparsamen Wenger - wurde er verpflichtet. Aber binnen eines halben Jahres in London hat Özil es schon geschafft, der Spieler zu werden, mit dem in seinem Verein alles steht und fällt. Das ist Arsenals Glück. Das ist Arsenals Problem.

Özils Spiel leidet unter Arsenals Verletzungspech

Bis Weihnachten machte der gebürtige Gelsenkirchener mit seiner Passsicherheit und instinktsicheren Bewegungen alle Kollegen schneller und besser, sein Einfluss war subtil und radikal zugleich: Der FC Arsenal fand unter seiner subtilen Federführung zu den eigenen Idealen zurück. Sein Erfolg war so bahnbrechend, dass der links-liberale Guardian jahrzehntealte Redaktionsvorgaben über den Haufen warf. Die Regel, Großbuchstaben im Blatt nicht als Umlaute zu drucken, sei "nicht mehr tragbar", hieß es in einer internen Email Mitte September. "Ozil" durfte fortan auch auf der Insel Özil sein.

Als sich aber das neue Jahr ankündigte und die Zeitspanne zwischen den Ligaspielen nicht mehr in Tagen, sondern Stunden bemessen wurde, kam mit Özils Frische auch sein Zauber und der des Teams abhanden. Im regennassen Alltagsmief verflüchtigte sich seine ätherische Feinteilzerstäuber-Eleganz. Mit Aaron Ramsey (Oberschenkelverletzung) ging ihm dazu der treffsicherste und laufstärkste Anspielpartner im Mittelfeld verloren. Das Kombinationsspiel kam teilweise zum Erliegen, der verminderte Ballbesitz machte zugleich Arsenals Schwächen im Pressing deutlich. Man verlor die Spitzenspiele.

"Der verschossene Elfmeter hat ihn mental getroffen"

Im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinales gegen den FC Bayern (0:2) verschoss Özil dann einen Elfmeter und stand den Rest der Partie komplett neben sich. "Ich glaube, die Intensität der Liga hat ihn eingeholt", sagte Arsenals Ex-Trainer George Graham, 69, "er macht einen traurigen Eindruck". Dass Özil beim Länderspiel der Deutschen zuletzt in Stuttgart gegen Chile trotz eines 1:0-Sieges vom Publikum ausgepfiffen wurde, sorgte auch in Großbritannien für Schlagzeilen. Wirklich verwundert aber waren nur die größten Zeloten unter den Arsenal-Fans.

Wenger glaubt, dass sich sein Spielmacher nun rechtzeitig vor dem nächsten Auftritt in Deutschland wieder erholt hat. "Der verschossene Elfmeter hat ihn mental getroffen", sagte Wenger über das kleine Hinspiel-Drama, "er hatte den Eindruck, das Team im Stich gelassen zu haben. Manchmal ist eine psychologische Wunde wie eine körperliche Wunde: Man kann reden und reden, aber es braucht Zeit, bis sie heilt. Ich denke, dass er jetzt soweit ist. Am Dienstag kann er zeigen, wie gut er ist."

Özil selbst hält sich bedeckt. Er führt im Stadtteil Highgate ein recht zurückgezogenes Leben und meidet den Kontakt zu den englischen Medien; ab und zu sieht man ihn im türkischen Restaurant Likya in Golders Green Essen zum Mitnehmen abholen. Auf Englisch hat er bisher nur einen einzigen Satz gesagt, das war bei seiner Vorstellung: "I am a Gunner!". So ist es tatsächlich gekommen. Ausgang offen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: