Aaron Hunt bei Werder Bremen:Fürsorglich an den Punkt geschubst

An viele neue Gesichter müssen sich die Fans des SV Werder erst noch gewöhnen. Auch an die veränderte Rolle von Aaron Hunt, den Bremer Routinier von gerade 26 Jahren. Den viele längst abgeschrieben hatten.

Holger Gertz, Bremen

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Aaron Hunt (li., hier gegen Hannovers Lars Stindl) ist der dienstälteste Profi im Bremer Kader.

(Foto: AFP)

Es gibt Momente, die vergisst man gleich wieder, aber es gibt auch Momente, die wirken nach. Momente wie dieser hier: zweiter Spieltag, Werder gegen Hamburg, es steht 0:0. Einen Elfmeter hat Aaron Hunt in der ersten Halbzeit vergeben, da pfeift der Schiedsrichter in der zweiten Hälfte noch mal. Und so, wie Aaron Hunt sich an den Moment erinnert, entstand alles Weitere aus einer gewissen Konfusion heraus. "Wir haben ja drei Schützen: Junuzovic, de Bruyne und mich. Aber Elia hatte den Ball schon in der Hand, Arnautovic war irgendwie auch noch im Spiel."

Er lächelt jetzt. Er denkt mit Genugtuung an den Moment, weil er ja weiß: Es ist alles gut ausgegangen. "Sokratis kam dann auch noch und hat mir gesagt: Du machst es, du schießt." Auf den Videos von diesem Spiel kann man sehen, dass die anderen ihn fürsorglich schubsten, mit Worten und mit Händen.

Es gibt in der Geschichte der Fußball-Bundesliga erst sechs Spieler, die nach einem Fehlschuss in demselben Spiel noch mal zum Punkt gegangen sind, ein befangener Elfmeterschütze ist immer ein strauchelnder Kandidat. Aaron Hunt hat seinen zweiten Elfer gegen den HSV in dieselbe Ecke geschossen wie den ersten, allerdings platzierter und damit unhaltbar, es war nur ein Moment, aber in ihm hat sich einiges geklärt.

Hunt schwebte durch dieses Spiel, er spielte den Pass zum 2:0 von Petersen, er war der Mann des Tages, und er nahm das Glück des Augenblicks hin mit diesem für ihn sehr typischen, eher verhalten euphorischen Gesichtsausdruck. Aaron Hunt sagt nicht viel. Und stille Menschen sind den anderen ein Rätsel.

Er sitzt im Presseraum des Weserstadions, schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, fusseliger Bart. Ein dünner Mensch, Typ freundlicher Grunge-Musiker. Die Mütze nimmt er ab zum Gespräch. Wenn er morgens zum Training kommt, sieht er schon vom Osterdeich aus: sich selbst. Ein Transparent mit seinem Porträt hängt am Weserstadion, "es ist wirklich sehr groß, man kann ja fast nicht dran vorbeischauen". Das Porträt ist, wie der Elfmeter gegen Hamburg, Ausdruck einer Entwicklung.

"Wir haben eine jüngere Mannschaft, und ich bin am längsten dabei - da ist es ganz normal, dass ich mehr Verantwortung übernehme." Hunt, seit 2001 im Verein, ist inzwischen dienstältester Werderaner - nichts dokumentiert den Bremer Mut zum Umbruch so sehr wie die neue Rolle von Aaron Hunt, dessen zerfurcht scheinendes Gesicht ihn älter aussehen lässt, dabei ist er ein Routinier von gerade mal 26 Jahren.

Dienstältester Spieler

Hunt war in allen Spielen der Saison einer von denen, die Struktur ins aufgeregte Bremer Spiel gebracht haben, die sieben Werder-Punkte sind auch seine. Bayern am Wochenende ist ein leichtes Spiel, gegen Bayern hat gerade niemand was zu verlieren. Werder Bremen ist bis auf Weiteres: ein Versprechen. Was man der Mannschaft anmerkt, wenn man sie spielen sieht: Sie spielt nicht immer gut, aber auf jeden Fall gern zusammen.

Hunt sagt: "Wir hatten vor der Saison drei Trainingslager, da denkt man vorher immer: Drei? Das ist vielleicht eins zu viel. Aber diesmal hätte es von der Stimmung her ruhig noch eins mehr sein können." Dass das vorher nicht immer so war, will Hunt so nicht sagen, nach altbremer Wortwäger-Tradition wägt er die Worte. Er knetet die Mütze in der Hand, er sagt: "Sicher herrscht ein besserer Teamgeist als in den Jahren zuvor."

Beim Jubeln steht Hunt, als Schütze und Vorbereiter, regelmäßig im Zentrum eines Knäuels von Spielern, an deren Gesichter sich auch das Werder-Publikum noch immer gewöhnen muss, viele Blonde dabei, die sich aus relativer Ferne auch noch recht ähnlich sehen. Aber den, der so lange dabei ist wie Hunt, glauben alle zu kennen, und weil Hunt vielen Bremer Fans als einer gilt, der es nicht packt, wenn es drauf ankommt, war sein doppelter Strafstoß gegen Hamburg mehr als ein Moment, auch seine Wühlerei beim letzten Spiel in Freiburg, als er Werders Siegtor schoss. Und dass sein Bild am Stadion hängt, ist ein Statement des Klubs, sehr bemerkenswert in Zeiten der Debatten um die Macht der Fans. Bei Werder setzen sie auf einen, den die Fans längst abgeschrieben hatten.

Seine Körpersprache deuteten die Fans nicht als Unsicherheit, sondern als Arroganz, als Ausdruck seines Phlegmas. Er ist Nationalspieler geworden in Bremen, aber sie nannten ihn Talent, das klang wie ein Schimpfwort. Die Fans haben ihre ganze Wut in ihren Foren ausgebreitet, einer von ihnen hat ihm mal fünf Euro hingehalten, als Motivationsspritze, und das Video der gescheiterten Geldübergabe online gestellt. "Es war ja zum Teil so, dass manchmal gepfiffen wurde, als ich zur Einwechslung bereit stand, als ich also noch gar nicht auf dem Platz war", sagt er.

Eine Mischung aus Überdruss, Missverständnissen und Respektlosigkeit. Die Fans - also die Idioten unter ihnen - wünschten ihn hierhin und dorthin und auch an Orte, an denen nie Fußball gespielt worden ist. "Wenn man zuhause spielt und ausgepfiffen wird, das ist eine spezielle Situation. Überhören kann man es nicht", sagt Aaron Hunt. Es hört sich nicht mal bitter an, als er das sagt, eher realistisch, abgeklärt. Wer so lange dabei ist wie er, weiß, mit wem er es im Stadion zu tun hat.

Die Geschichten des Klubs und seines dienstältesten Spielers klingen ähnlich im Moment. Aaron Hunt - beschimpft, verhöhnt und ausgebuht - ist immer noch da. So wie Werder - abgeschrieben, totgesagt und runtergewettet - auch wieder da ist. Im Moment sieht es jedenfalls so aus, und es gibt Momente, die sind belastbarer als ein Augenblick.

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