Argentiniens Ángel Di María:Dürr, schnell - und unersetzlich

Argentina's Messi embraces team mates Di Maria and Aguero after he scored his team's second goal during their international friendly soccer match against Slovenia in Buenos Aires

Ángel Dí Maria umarmt bei einem Testspiel die Teamkollegen Lionel Messi (links) und Sergio Aguero.

(Foto: REUTERS)

Der Argentinier Ángel Di María spielte die wohl beste Saison seines Lebens und war der beste Spieler im Champions-League-Finale von Lissabon. Und alles nur wegen eines Erkenntnisblitzes von Argentiniens Trainer Alejandro Sabella. Für die Nationalelf ist Di María mitterweile so wichtig wie Lionel Messi. Mindestens.

Von Javier Cáceres, Belo Horizonte

Wenn es einen Spieler gibt, der einen Kindheitstraum der Gegenwart durchlebt, dann ist das der Argentinier Ángel Di María. "Qué suerte que tenés, che", rufen ihm seine sechs Jugendfreunde aus Pedriel, dem Viertel im argentinischen Rosario, mitunter zu: "Was für ein Glück du hast, Kerl!"

Das Glück? In der einen Mannschaft, Real Madrid, mit Cristiano Ronaldo zusammenzuspielen. In der anderen, der argentinischen Nationalelf, mit Lionel Messi. Das ganze Jahr über mit den beiden weltbesten Fußballern in einem Team und das nicht auf der Spielekonsole. Sondern in der Realität; zurzeit bei der Weltmeisterschaft in Brasilien, wo er am Sonntag (Ortszeit) gegen Bosnien-Herzegowina auflaufen wird. An der Seite von Messi, klar.

Es heißt, Di María lächle verlegen, wenn ihm die Frotzelei seiner Freunde entgegenschlägt, und wahrscheinlich stimmt das auch. Ebenso wahrscheinlich aber ist, dass sich längst der Stolz des siegreichen Trotzes in seine Gesichtszüge gemengt hat. Das Lächeln desjenigen, der es doch noch allen gezeigt hat, obwohl viele nicht mehr recht an ihn glauben wollten.

Es war zu Beginn der vergangenen Saison ja alles andere als ausgemacht, dass Di María, 26, bei Real Madrid eine Rolle als Protagonist übernehmen würde. Di María ist eine Art Überbleibsel, der Repräsentant einer nahezu fossilen Spezies namens Flügelstürmer. Bei Real Madrid sind diese Planstellen von zwei Herrschaften besetzt, die mal eben 200 Millionen Euro gekostet haben und Kern der derzeitigen Marketingstrategie von Real sind: Cristiano Ronaldo aus Portugal und Gareth Bale aus Wales.

Für Di María hatte Real bloß 25 Millionen Euro an Benfica Lissabon überweisen müssen, was zwar einerseits eine gehörige Steigerungsrate zu den 25 Fußbällen darstellt, die sein Heimatklub Rosario Central einst dem FC Torito übereignete. Aber eben doch nicht genug, um Di María, Olympiasieger von Peking 2008, davor zu bewahren, sich neu zu erfinden. Er tat dies auch. Mit Hilfe von Nationaltrainer Alejandro Sabella, der den Wirkungskreis von Di María entscheidend veränderte. Und ihn nunmehr einen "vitalen, nahezu unersetzlichen Spieler" nennt.

Vor dem Qualifikationsspiel gegen Peru im Oktober vergangenen Jahres ging Sabella auf Di María zu und bat ihn, sich für die Defensive weiter aufzuopfern. Messi war verletzt und vorne spielten in Rodrigo Palacio, Sergio Agüero und Ezequiel Lavezzi drei Offensivkräfte, die den Weg nach hinten nur bei Androhung von Waffengewalt suchen. Di María sollte zwar weiterhin Teil der Angriffsbewegungen sein - gleichzeitig aber auch das entscheidende Glied, das die Verteidigungslinie schließen sollte. "Ich bin froh, dass ich das versucht und geschafft habe", vertraute Di María dieser Tage der spanischen Zeitung El País an und meinte nicht nur seinen Anteil am 3:1-Sieg.

Denn in Madrid saß Trainer Carlo Ancelotti auf der Couch und beklatschte vor dem Fernseher Di Marías Aufopferungsgabe, vor allem aber Sabellas' Erkenntnisblitz. Der argentinische Kollege hatte Di Marías schier unerschöpflichen Kohlehydratspeicher zum stabilisierenden Element einer Elf gemacht, die qua natura dazu neigt, in zwei Teile zu zerfallen - erst recht, wenn die drei Stürmer Messi, Agüero und Gonzalo Higuaín heißen. "Das machst du bei uns jetzt auch", sagte Ancelotti.

Schnelligkeit bei Kontern

Das Resultat: Der Argentinier spielte die wohl beste Saison seines Lebens, wurde bester Vorbereiter in der spanischen Liga sowie im Pokal. Und: bester Spieler im Champions-League-Finale von Lissabon, bei dem Real Madrid den Lokalrivalen Atlético in der Verlängerung besiegte. Es gefalle ihm, an der Balleroberung teilzunehmen, sagt Di María, denn das biete ihm die Gelegenheit, seine Schnelligkeit bei Kontern auszufahren.

Nun hofft Di María, bei der WM an ebendieses Niveau anzuknüpfen. "Es ist nicht dasselbe, hinter Cristiano oder Messi zu agieren", sagt er, wobei die Unterschiede nicht nur bei den Granden des Weltfußballs liegen. "Leo will die Bälle kurz und in den Fuß gespielt bekommen, Cristiano braucht wegen seiner Schnelligkeit lange Bälle in den Raum", sagt Di María.

Er selbst sieht sich bei Real Madrid in der Rolle eines falschen Stürmers, in der argentinischen Nationalelf hingegen als falscher Regisseur, der hinter den Spitzen agiert und den Stürmern assistiert. Mit Messi, der ebenfalls in Rosario geboren wurde, versteht er sich im Übrigen überaus blendend, was nicht ganz selbstverständlich ist. Di María spielte einst bei Rosario Central, den "Kanaillen", Messi wurde bei Newell's Old Boys groß, den "Leprakranken" (was daher rührt, dass Rosario und Newell's in vorsintflutlicher Zeit für ein Benefizspiel der örtlichen Leprastation verpflichtet werden sollten, aber nur Newell's antrat). Nun sind sie geeint, durch einen anderen Kindheitstraum: "Wir wollen diesen Pokal, aber wir wissen, wie schwierig es wird. Es ist schon so lange her, dass Argentinien ein Finale erreichte", hat er vor ein paar Monaten gesagt.

Sollte er diesen Traum tatsächlich erfüllen, dürfte er das Tattoo überdenken, dass nicht nur seinen linken Unterarm schmückt, sondern auch den seiner sechs Freunde in Rosario: "In Perdriel geboren zu sein, war und wird das Beste bleiben, was mir im Leben zugestoßen ist." Es heißt, für argentinische Fußballer seien Steigerungen denkbar.

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