Fußball-WM:Es grummelt bei Argentinien

Lionel Messi beim Training während der Fußball-WM 2018

Lionel Messi beim Training vor dem Kroatien-Spiel.

(Foto: AFP)
  • Argentinien steht nach dem Unentschieden zum Auftakt heute Abend gegen Kroatien unter Zugzwang.
  • Messi und seine Kollegen werden nicht erst seit dem 1:1 gegen Island kritisiert - auch in der Vorbereitung gab es einige Unruhen um Mannschaft und Verband.
  • Cheftrainer Sampaoli wird wohl ein altes Erfolgssystem zurückbringen.

Von Javier Cáceres, Sotschi

Oscar Ruggeri ist einer der glorreichen Veteranen der Geschichte des argentinischen Fußballs; er war Verteidiger und als solcher Mitglied der Weltmeistermannschaft von 1986, die Diego Maradona anführte. Vor Beginn der WM in Russland drehte Ruggeri, 56, einen Werbespot für eine Brauerei, in dem es um den imaginären Vertrag geht, den die argentinische Nationalmannschaft und ihre Fans schließen. Und der definierte, in welcher Stimmung Argentinien nach Russland gefahren ist.

"Wir verlangen doch nur, dass sie Eier zeigen!", brüllt eine Frau, die auf der Tribüne eines vollbesetzten Stadions sitzt. Und Ruggeri, der unter einem schwarzen Schirm auf dem Rasen wandelt, widerspricht. "Manchmal wollen wir von ihnen viel mehr als das! Wir bitten sie darum, dass sie unser Leben aufhellen, dass sie uns von einer Grippe heilen ...", sagt Ruggeri, und fügt eine Sentenz hinzu, welche die disparate Erwartungshaltung punktgenau trifft: "Gott bitten wir um weniger."

Ritter von trauriger Gestalt

An diesem Donnerstag trifft Argentinien in Nischni Nowgorod auf Kroatien; eine Mannschaft, die ein Trikot trägt, das aussieht wie eine Tischdecke, wie die Argentinier höhnten. Vor der WM, versteht sich. Jetzt geht ihnen die Muffe, denn im Auftaktspiel kam der zweimalige Weltmeister gegen die Isländer, von denen es vor dem Turnier noch hieß, dass sie keine 22 Leute für ein Spiel zusammenbringen, über ein 1:1 nicht hinaus. Auch, weil Lionel Messi, el Diez, Argentiniens Nummer zehn also, einen Elfmeter verschoss.

Seither werden Messis Mundwinkel und Augen von den Medien geröntgt, seine Körpersprache wird Analysen unterzogen. Messi, der in Russland schon zum vierten Mal nach dem Titel greift und am Sonntag 31 Jahre alt wird, sei zu einem Ritter von trauriger Gestalt geworden, war die gängige Schlussfolgerung dieser Tage, getreu der Worte, die selbst Messi nach dem 1:1 geäußert hatte: "Ich fühle mich verantwortlich", sagte er. Gestern nahm ihn Trainer Sampaoli in Schutz. "Mit ihm hat Argentinien vier oder fünf Spiele verloren. Jeder Argentinier hat ein Trikot Messis mit der '10'. Er ist ein Nationalheld wie Maradona".

Zurück zum alten System und zurück zum alten Messi

Kaum etwas hat in den vergangenen Wochen auch nur annähernd so funktioniert, wie es erhofft war. Im Trainingslager in Barcelona verletzte sich Manuel Lanzini, der Messi im Kampf gegen die Windmühlen dieser WM als Sancho Panza zu Diensten sein sollte. Das letzte Testspiel vor der WM gegen Israel - abgesagt. Der Verband Afa, der vor ein paar Wochen in die Schlagzeilen geriet, weil er Spielern, Funktionären und Journalisten Tipps gab, wie man am besten russische Frauen aufreißt, musste Gerüchte dementieren, Trainer Jorge Sampaoli habe eine Köchin des Verbandes sexuell bedrängt. Und nun zerreißen sich im fernen Argentinien die Klatschreporter im TV das Maul darüber, dass Messi Eheprobleme haben soll.

Hintergrund: Einer Audiodatei zufolge verabredeten sich Messi und Stürmer Kun Agüero etwas kryptisch für eine Feier mit "schönen Dingen". Die Datei ist unbekannten Datums, womöglich sogar schon Jahre alt - doch im Fegefeuer der sozialen Medien landete der Dialog unmittelbar vor dem Turnier. In den seriösen argentinischen Medien wurde es andeutungsweise erwähnt, weil Messis Frau Antonella es versäumte, ihrem Gatten via Sozialnetzwerk zum Vatertag zu gratulieren, der in Argentinien am vergangenen Montag begangen wurde. Was wiederum in den Sendungen, die nur auf Spektakel setzen, mit geheucheltem Kummer analysiert wurde. Nun hat sie sich doch gemeldet, mit einer Liebeserklärung: "Immer zusammen, und mit dir mehr denn je". Gäbe es das wundervolle Wort "quilombo" nicht, das in Argentinien für alle Arten von Chaos steht, man müsste es erfinden.

Di María wahrscheinlich Opfer der Umstellung

Denn: Zur Beunruhigung trägt vor alledem bei, dass Trainer Sampaoli den Eindruck erweckt, nicht genau zu wissen, was er will. Oder genauer: dass er gegen Island eine Elf nach dem Gusto Messis aufstellte, mit einer Viererabwehrkette und zwei defensiven Mittelfeldspielern. Sampaoli habe sich als "messiistischer als Messi" erwiesen, rügte die Zeitung Clarín. Nun wirft Sampaoli wohl alles um. Er wird drei Wechsel vornehmen und auf eine Dreier-Abwehrkette umstellen. Das erinnert eher an die Handschrift Sampaolis. Seinen größten Erfolg, den Sieg mit Chile bei der Copa América 2015, erzielte er im 3-4-3-System. Das prominenteste Opfer der Wechsel dürfte Ángel Di María (Paris Saint-Germain) sein, der wohl auf die Ersatzbank muss.

Für ihn rückt Christian "Kichán" Pavón, 22, von Boca Juniors in die Startelf, der schon im Spiel gegen Island als Einwechselspieler einen guten Eindruck hinterließ. Unter anderem verursachte er mit eine Szene, in der der Schiedsrichter eigentlich auf Elfmeter hätte entscheiden müssen.

"Ich habe immer davon geträumt, an der Seite Messis zu spielen", sagte Pavón dieser Tage. Die Hoffnung: dass die Unbekümmertheit Pavóns Messi ansteckt. Und den Wunsch seiner Mutter Celia erfüllt, die sich vor der WM nichts sehnlicher wünschte, als dass er seine Infantilität wieder gewinnt. Dass ihr Sohn "spielt wie bei Grandoli", dem Klub in seiner Geburtsstadt Rosario. Doch gerade von ihm wird mehr verlangt als vom Allmächtigen.

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