Argentinien nach der Niederlage:An Alemania gescheitert - schon wieder

Argentinien nach der Niederlage: Niedergeschlagen, leer, traurig: Lionel Messi (links) und Pablo Zabaleta

Niedergeschlagen, leer, traurig: Lionel Messi (links) und Pablo Zabaleta

(Foto: AP)

Hört das nie auf? Zum dritten Mal in Serie verliert Argentinien bei einer WM gegen Deutschland. Der Sieg hätte das krisengeschüttelte Land beruhigen können. Präsidentin Kirchner fehlt beim Finale krankheitsbedingt - für andere Termine reicht ihre Fitness jedoch.

Von Jürgen Schmieder

Es gab diesen Moment, das Finale in Rio de Janeiro war vor ein paar Minuten zu Ende gegangen, da wussten die argentinischen Fußballer nicht so recht, was sie mit sich anfangen sollten. Sie hatten dem Gegner gratuliert, sich gegenseitig getröstet, nun standen sie ratlos auf dem Rasen des Estádio do Maracanã unter der Cristo-Redentor-Statue, im gelobten Land des Fußballs.

Freilich war dieser Moment der strikten Dramaturgie des Weltverbandes Fifa geschuldet - und doch hatte es den Eindruck, als würden sich die Akteure auf der Suche befinden. Sie suchten nach jemandem, der schuld sein könnte an dieser Niederlage im WM-Finale gegen die deutsche Mannschaft.

Gescheitert. An Alemania. Schon wieder. Zum dritten Mal in Serie bei einer Fußball-Weltmeisterschaft. 2006 im Elfmeterschießen, 2010 nach einer Niederlage in regulärer Spielzeit, nun durch einen Treffer während der Verlängerung.

Bei den Turnieren zuvor war die Suche nach einem Schuldigen nach einem Blick auf die Trainerbank beendet gewesen. Im Jahr 2006 hatte dort José Pekerman gesessen und versucht, nach der 1:0-Führung im Viertelfinale ein Weiterkommen zu ermauern. Er schickte Leonardo Franco, Estaban Cambiasso und Julio Cruz zum Verteidigen auf Feld und ließ den schon damals hoch begabten Lionel Messi wie einen Schuljungen neben sich auf der Bank hocken. Verteidigen, Zeit schinden, provozieren. Gegen die niemals aufgebenden Deutschen. Was für eine Schande!

Vier Jahre später war es die Arroganz und Ignoranz des einstigen Zauberfußes Diego Armando Maradona, die für das Scheitern verantwortlich gemacht wurde - und die sich bereits drei Monate vor dem Turnier offenbart hatte. Da hatte sich Maradona heftig über einen jungen Mann echauffiert, der es gewagt hatte, sich bei der Pressekonferenz nach dem Freundschaftsspiel gegen Deutschland in der Münchner Arena neben ihn zu setzen.

Dieser junge Mann war Thomas Müller, der später das erste Tor im Viertelfinale erzielen sollte. Es war nicht nur eine Niederlage, es war eine Blamage. "Diego, dieser Junge heißt Müller", war danach in der Sportzeitschrift Olé zu lesen. Aber auch: "Dieses Mal war es schlimmer - wegen der Prügel."

Und nun? Gibt es keinen Schuldigen. Trainer Alejandro Sabella hatte seine Mannschaft ja wunderbar vorbereitet auf dieses Turnier und auch auf das Finale gegen Deutschland. Freilich hätte Messi ein wenig auffälliger agieren können, doch insgesamt hatte die Albiceleste den Deutschen ein packendes Finale geliefert. "Argentinien hat ein sehr ehrenhaftes Spiel gezeigt, trotz des Schmerzes muss man den Jungs Applaus spenden", steht nun bei Olé. In der Zeitung Clarín ist zu lesen: "Argentinien ging ohne Pokal aus, aber mit stolzgeschwellter Brust und erhobenem Kopf."

"Ein Schlag direkt ins Herz"

"Die Niederlage tut weh, ich bin genauso enttäuscht wie meine Spieler. Aber ich bin gleichzeitig auch sehr stolz auf meine Mannschaft. Sie hat jeden Tag hart gearbeitet, sie hat sich von Spiel zu Spiel verbessert und alles für das argentinische Trikot getan. Das ist eine phantastische Gruppe", sagte Sabella nach der Partie: "Gratulation an Deutschland. Sie haben eine großartige Mannschaft."

Es war ja viel geschrieben worden vor dieser Weltmeisterschaft über den Gastgeber Brasilien. Über diese Nation, in der Fußball viel mehr ist als nur ein Spiel. In der ein Sieg bei diesem Turnier einen gesellschaftlichen Wandel auslösen oder zumindest für ein paar Wochen die ärgsten Schmerzen lindern könne. Liest man diese Texte nun, nach diesem Finale, noch einmal, dann stellt man nicht ohne Erstaunen fest, dass sie auch dann wahr sind, wenn man das Wort Brasilien durch Argentinien ersetzt.

Das Land steckt in einer gewaltigen Krise, seit ein US-Gericht entschieden hatte, dass die Regierung 1,5 Milliarden US-Dollar an Hedgefonds zurückzahlen muss. Es droht ein "technischer Zahlungsausfall" und ein erneuter Zusammenbruch der Wirtschaft wie im Jahr 2001. Die Inflation liegt seit Monaten im zweistelligen Bereich, die Regierung hat den Handel mit Devisen unterbunden. Der Fußball dient als Opium fürs Volk, The Economist berichtete davon, dass während der WM-Spiele der argentinischen Nationalelf nicht nur Straßen und Einkaufszentren leer gewesen wären, sondern auch die Kriminalität drastisch gesunken sei.

Das freilich weiß Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner für ihre Zwecke zu nutzen. Ihr Ehemann und Amtsvorgänger Néstor Kirchner (im Jahr 2010 verstorben) hatte einmal gesagt: "Fußball dient nicht dazu, um Geld, sondern um Politik zu machen." Cristina Kirchner lässt sich während der Halbzeitpause prägender Partien auf der Großleinwand einblenden, um ihren Mitbürgern Politik und Wirtschaft zu erklären. Sie verlegt aber auch die Anstoßzeiten von Fußballspielen - der Regierung gehören die Übertragungsrechte der argentinischen Liga -, damit ihre Landleute gar nicht auf die Idee kommen, die Rede eines Kritikers auf einem anderen Kanal zu verfolgen.

Zum WM-Finale am Sonntag indes kam Kirchner nicht. Sie leide an einer Kehlkopfentzündung, hieß es in einer Erklärung. Nur: Am Samstag hatte sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen und eine Reihe von Vereinbarungen unterzeichnet. Russland beteiligt sich demnach über die staatliche Atomenergie-Agentur Rosatom am Bau des Reaktors "Atucha 3" für 2,2 Milliarden Dollar. Am Montag flog Kirchner dann nach Südargentinien, um den Geburtstag ihres Enkels Nestor Ivan zu feiern. Bei dem für ihre Landsleute so bedeutsamen Spiel am Sonntag fehlte sie.

"Uns wurde die Hoffnung gestohlen - ein nationaler Schlag", das war in der Sportzeitung Olé nach dem verlorenen Finale gegen Deutschland zu lesen, in La Nación stand gar: "Ein Schlag direkt ins Herz." Freilich kann Kirchner nichts dafür, dass die argentinische Nationalelf in einer spannenden Partie am Ende mit 0:1 gegen Deutschland verlor. Wenn aber jemand nach einem Schuldigen für die zahlreichen Probleme in Argentinien sucht, dann lohnt es sich, während der Halbzeitpause von Fußballspielen in diesem Land mal zur Großleinwand zu blicken.

In zahlreichen Städten Argentiniens, darunter Buenos Aires und San Miguel, kam es nach der Partie zu Ausschreitungen, laut Polizeiangaben wurden mehr als 20 Menschen verletzt. Es war die Reaktion auf ein verlorenes Fußballspiel, gewiss, und doch ist man versucht zu glauben, dass die wahren Gründe für diese Eskalationen nicht im Sport zu suchen sind.

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