Argentinien:Messi schmollt wegen einer Tüte

Der sonst so stille Messi schwingt sich zum Wortführer seiner Nationalelf auf - und verkündet trotzig einen Boykott gegen die argentinische Presse. Dabei geht es um ein Joint-Gerücht.

Von Javier Cáceres

Die Schlacht war geschlagen, das Schlimmste abgewendet, als die Welt Zeuge der jüngsten Verwandlung von Lionel Messi wurde. Soeben hatte Argentiniens Fußball-Nationalelf, die er als Kapitän befehligt, im Provinznest San Juan, am Fuße der Anden, 3:0 gegen Kolumbien gewonnen und damit die Chancen auf die Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland 2018 gewahrt, als Messi sich in ungeahnter Weise zum Wortführer aufschwang. Ausgerechnet er, der als Schulbub mit seiner Grundschullehrerin nur über eine Klassenkameradin kommunizierte, die seine Wortlosigkeit zu interpretieren wusste; er, der auch neulich noch Groll nur durch wortloses Schmollen manifestierte.

Dieser Messi also nahm sich das Mikrofon und setzte, umrahmt von 25 Mannschaftskameraden, die fast alle die Arme vor der Brust verschränkt hatten, zu einem dreiminütigen Monolog an. "Hallogutenabend", sagte Messi, entschuldigte sich für die Enge im Pressesaal des Stadions von San Juan und erklärte, dass das Team trotzdem vollzählig erscheinen wollte. Man wolle Gesicht zeigen, sagte also Messi: "Wie ihr schon wisst, weil man hier ja immer alles weiß, sind wir hergekommen, um euch mitzuteilen, dass wir nicht mehr mit der Presse reden werden. Ihr wisst schon, warum."

In der Tat wusste man das, landauf, landab. Schon vor der Partie gegen die Kolumbianer hatte es Gerüchte um einen Presseboykott gegeben, nun folgte also der Vollzug. "Wir haben viele Klagen und Respektlosigkeiten ertragen, und wir haben nie etwas gesagt. Aber die Anschuldigung gegen Pocho ist zu schwerwiegend, als dass man sie stehen lassen kann", erklärte Messi. Bei "Pocho" handelte es sich um den Stürmer Ezequiel Lavezzi, 31, der bei Hebei China Fortune FC spielt, und bei der Anschuldigung um den Tweet eines Journalisten namens Gabriel Anello von Radio Mitre.

Angriffe, die nichts mit Fußball zu tun haben

Anello hatte behauptet, Lavezzi sei "wegen der Tüte, die er gestern im Quartier geraucht hat", aus dem Kader geflogen. Lavezzi war schon vor der WM 2014 in den Ruch des Cannabis-Konsums gekommen, er gilt als einer der größten Freunde Messis in der Nationalelf. Er leugnete, einen Joint geraucht zu haben, und kündigte eine Klage an. Anello wiederum sagt, seine Informationen seien gerichtsfest.

Jenseits vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen des Radioreporters war die Lage rund um die argentinische Nationalelf zuletzt tatsächlich derart aufgekratzt, dass der Konsum von entspannenden Hanfprodukten fast schon medizinisch indiziert gewesen wäre. Nach dem WM-Finale 2014 gegen Deutschland hatte Argentinien zwei Copa-América-Finals gegen Chile verloren, der Verband versank nach dem Tod des allmächtigen Patrons Julio Grondona im Chaos, Lionel Messi trat erst zurück und kam nun wieder, vor wenigen Monaten wurde der Trainer gewechselt: Edgardo Bauza folgte auf Gerardo Martino und stand nun gleich wieder zur Disposition.

In den beiden vorangegangenen Wochen sei sein Team Angriffen ausgesetzt gewesen, die nichts mit dem Fußball zu tun gehabt hätten, sagte Bauza nach dem 3:0, auch er fühlte sich verletzt: "Mich hat man auch in kleine Teile zerlegt, aber ich bin daran gewöhnt." Vor dem Sieg gegen Kolumbien war die Lage so prekär, dass der Schriftsteller Martín Caparrós voller Sarkasmus schrieb, die Fifa sei korrupt genug, sie werde keine WM ohne Argentinien und Messi zulassen.

Argentinien kann wieder auf die WM hoffen

Argentinien lag da auf dem sechsten Tabellenplatz der Südamerika-Gruppe. Dort qualifizieren sich nur die ersten vier direkt, der Tabellenfünfte trägt Entscheidungsspiele gegen einen Vertreter Ozeaniens aus. Durch das 3:0 gegen die Kolumbianer, bei dem Lionel Messi durch ein Traumfreistoßtor (10. Minute) sowie den Vorlagen für die Treffer von Lucas Pratto (23.) und Ángel Di María (84.) brillierte, haben die Argentinier wieder aufgeschlossen. Zwar liegen sie nach 12 von 18 Spieltagen vier Plätze und acht Punkte hinter Tabellenführer Brasilien; Uruguay (23 Punkte) sowie Ecuador und Chile (je 20) sind aber nur noch vier beziehungsweise einen Zähler entfernt.

Die Gefahr, erstmals nach 1970 eine Weltmeisterschaft zu verpassen, ist also wieder geringer geworden. Doch auch der Sieg gegen Kolumbien konnte nicht kaschieren, dass Argentinien noch immer nach einer klaren fußballerischen Identität sucht.

Die nächste Prüfung steht im März 2017 an, dann empfängt Argentinien Chiles Nationalelf, die Uruguay 3:1 besiegte. Chile wird auf Arturo Vidal verzichten müssen, der Mittelfeldspieler vom FC Bayern ist gelbgesperrt. Für das Bundesliga-Duell in Dortmund am Samstag ist sein Einsatz fraglich: Vidal hatte ohnehin mit Muskelproblemen zu tun, wurde in der 56. Minute ausgewechselt und verweigerte nachher jeglichen Kommentar zu seinem Befinden.

Ungeklärt ist, wo die Partie stattfinden wird. Normalerweise werden entscheidende Partien in Buenos Aires ausgetragen. Doch zuletzt war die Stimmung derart gereizt, dass man in die Provinz flüchtete. Gut möglich, dass man dies gegen Chile wiederholt. Selbst wenn es auch in der Pampa derzeit nicht ruhiger ist als in Buenos Aires.

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