Argentinien:Auf den Schultern das himmelblaue Heiligtum

Mit viel Vertrauen in seine Talente und gegen den Argwohn der Experten will Trainer Pekerman die hohen Erwartungen des Landes erfüllen.

Peter Burghardt

Am 24. Mai brach ein schmaler Mann mit silbrigem Haar und ernstem Gesicht auf zur argentinischen Mission, sie begann wie üblich im Vorort Ezeiza von Buenos Aires. Oft schon war José Nestor Pekerman dort in nationalem Auftrag losgezogen. Zwischen Autobahn und den grünen Kuhweiden der Pampa streckt sich das Trainingszentrum des Fußballverbandes Afa, für den er seit mehr als einem Jahrzehnt tätig ist, nebenan liegt der internationale Flughafen. Als Trainer der Nachwuchsauswahl flog Pekerman 1995 nach Katar und 1997 nach Malaysia und kam jeweils als Weltmeister zurück, 2001 erneuerte er den Titel in der Heimat. Die Erfolge machten ihn zum erfolgreichsten Ausbilder der vergangenen Jahre, doch sie zählten wenig, als Spieler und Betreuer die Iberia-Maschine mit der Flugnummer 6844 bestiegen. Erstmals führte Pekerman die erste Auswahl seiner Heimat zu einer WM, diesmal geht es um einen Staatsauftrag.

Jose Pekerman

Der argentinische Nationaltrainer Jose Pekerman

(Foto: Foto: dpa)

55.000 Anhänger hatten sich an einem kühlen Abend des südamerikanischen Spätherbstes zur Abschiedsvorstellung im Stadion Monumental der Hauptstadt versammelt. Pekermans Gegenwart, Argentiniens Nationalmannschaft, spielte gegen Pekermans Vergangenheit, die argentinische U 20 - es war nur eine Showeinlage für das Publikum und demonstrierte dennoch die gewaltigen Hoffnungen am Rio de la Plata. Ergriffen stand José Pekerman mit seiner weißblauen Trainingsjacke auf dem Rasen. "Das war ansteckend, beeindruckend", schwärmte er später mit seiner ruhigen, festen Stimme und argentinischem Pathos. "Wir werden das in jedem Moment dieser Weltmeisterschaft präsent haben, wir tragen diese Nacht auf der Netzhaut und im Herzen, wir werden uns immer an diese Nacht erinnern. Wir haben eine große Herausforderung vor uns und werden versuchen, den Leuten das zurück zu geben, was sie uns permanent geben."

Es geht bei der WM um seinen Ruf

Spätestens in diesen Momenten wusste Pekerman, was die Heimat von ihm erwartet. Sie will eine Revanche für die WM vor vier Jahren, als die Albiceleste, das himmelblaue Heiligtum, bereits nach der Vorrunde aus Fernost zurückkehrte, gescheitert gegen Schweden und England, ausgerechnet England. Die asiatische Exkursion war eine weitere Katastrophe für den Weltmeister von 1978 und 1986, obendrein triumphierte der Nachbar und Erzrivale Brasilien. Zwei Jahre später brachte Trainer Marcelo Bielsa aus Athen die Goldmedaille mit, aber das war auch kein gleichwertiger Ersatz, nach dem Olympiasieg quittierte der Exzentriker Bielsa den Dienst. Diesmal soll es also er richten, José Nestor Pekerman, geboren 1949 in der Provinz Entre Rios nördlich der Metropole, früher mäßiger Profikicker, eine Zeitlang Taxifahrer, später brillanter Jugendtrainer und dem Vernehmen nach entfernt verwandt mit Gregory Peck.

Es geht in Deutschland um seinen Ruf, denn die Husarenstücke mit seinen Teenies helfen ihm nur noch bedingt. "Wenn es nach mir ginge, dann würde ich ihm einen Vertrag auf Lebenszeit anbieten", verkündete Verbandspräsident Julio Grondona, der mächtige Pate, nachdem er den stillen Pekerman statt des Favoriten Carlos Bianchi zum Nachfolger Bielsas ernannt hatte. Andere Granden dagegen errichteten eine Mauer von Misstrauen und Arroganz. "Ich will das Jugendzeug nicht werten, weil auf diesem Niveau einfach kein Druck da ist", stänkerte Cesar-Luis Menotti, der WM-Trainer von 1978. "Einen Amateurschauspieler in einem Lokalstück zu führen ist nicht das gleiche, wie eines der großen Theater zu dirigieren." Der tragische Genius Diego Armando Maradona wurde noch deutlicher. "Ich bin nicht überzeugt von Pekerman als Nationaltrainer. Ich mag den Mann sehr, aber ich denke, er ist nicht der Richtige." Sprach Maradona und bot sich für Notfälle selbst als Ersatz an, nachdem er gerade von einer weiteren Herzattacke genesen war und sich den Magen hatte operieren lassen.

Bloß die Spieler begrüßten ihn von Anfang an, die meisten kannten ihn aus der U 20, manche sogar schon seit seinen Zeiten beim legendären Förderklub Argentina Juniors. "Er ist ein Gewinnertyp, er hat Argentinien die Titel zurückgebracht, die wir seit 1979 nicht gewonnen hatten", erläuterte Pablo Sorin, 1995 Kapitän der U 20-Weltmeister von Katar und jetzt Kapitän der ersten Elf. "Seine drei Teams, die er zum Weltmeister gemacht hat, zeigen seinen Stil. José will, dass seine Mannschaften wettbewerbsfähig sind und außerdem guten Fußball spielen." Auf seine Talente von damals verlässt sich Pekerman vor allem, auf Sorin eben, auf Juan Roman Riquelme, Pablo Aimar, Carlos Tevez, Javier Saviola, Esteban Cambiasso, Javier Mascerano und so weiter, sie alle kennt er seit Kindesbeinen - und auch Lionel Messi, den die Strategen zum Superstar machen wollen und den Pekerman erstmal auf die Ersatzbank setzt. "Messi halten alle für die Figur dieser WM, aber wir müssen ihn in Ruhe aufbauen, ohne ihn zu drängen."

Wenn's gut geht: Rückkehr erst am 10. Juli

Am Samstag in Hamburg gegen die Elfenbeinküste geht's los in der Gruppe C, in der noch Serbien/Montenegro und Holland warten und die deshalb als die gefährlichste gilt. Der Sieg in der Qualifikation gegen Brasilien nützt nichts mehr, lange her, das Klausurtreffen in einem Kloster nahe Madrid liegt auch schon wieder zurück, jetzt ist WM. Man sei ausgezeichnet vorbereitet, versicherte Pekerman in einem seiner wenigen Auftritte im Quartier in Herzogenaurach, wo er viel geheim hält. Auch seine Profis loben seinen Sinn für Teamgeist und Pädagogik, es geht ruhiger zu als unter Bielsa. Vor der Tür aber warten an die 200 argentinische Journalisten, und am Donnerstagabend kam obendrein Maradona vorbei, der Maskottchen ist und auch die personifizierte Drohung. "Eine WM muss man genießen", findet Pekerman - man wird sehen, wie ihm das gelingt.

Nachher wird er wieder mit seinem Peugeot in den gut bürgerlichen Stadtteil Hurlingham von Buenos Aires fahren, möglichst unaufgeregt, und sich um seine Frau, die beiden Töchter und die drei Haustiere kümmern. Wenn alles gut geht, dann kommt Argentiniens Nationalmannschaft erst am 10. Juli nach Hause, das Finale ist am neunten. Sonst wird es vielleicht kein so schöner Empfang in Ezeiza, wo José Pekermans größte Reise begann.

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