Anti-Dopingkampf:Moskauer Strategien

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Noch immer gilt offiziell der Komplettausschluss der dopingverseuchten russischen Leichtathletik von den Olympischen Spielen. Ein neuer Plan aber soll jetzt Russlands Athleten doch noch nach Rio de Janeiro bringen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München

In Lausanne geht in diesen Tagen ein Schreiben mit großer sportpolitischer Sprengkraft ein. Russlands kollektiv gesperrte Leichtathleten suchen einen Umweg zu den Olympischen Spielen - und wollen ihn am Internationalen Sportgerichtshof (Cas) finden. Und wer die aktuellen Winkelzüge der Sportpolitik beobachtet, kann zum Schluss kommen, dass die Chancen ordentlich stehen. Es darf nicht überraschen, dass Russlands Verantwortliche offenbar schon die passende Strategie haben, wie sie ihre Leute noch nach Rio lotsen können.

Formal verhält es sich derzeit so: Der Leichtathletik-Weltverband IAAF verlängerte vor anderthalb Wochen die Suspendierung des russischen Verbandes und schloss dessen Athleten für Rio aus. Zugleich schuf die IAAF einen Kriterienkatalog für eine "individuelle Prüfung", dank der sie einzelne Athleten an den Start lässt. Dazu gehört etwa, sich "ausreichend lange Zeit" einem anderen Anti-Doping-System als dem russischen unterworfen zu haben. Manche Kriterien sind schwammig. Aber nach allgemeinem Dafürhalten erfüllen nur zwei Athleten den Geist dieses Katalogs: Weitspringerin Darja Klischina und Kronzeugin Julia Stepanowa.

Russlands Justizchefin hat einen Zweitjob - ausgerechnet beim Cas

Die Russen wiederum konnten zuletzt das Gefühl gewinnen, dass sie in ihrem Kampf wichtige Mitstreiter haben, vorneweg die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) um Thomas Bach. Dieser kam während der umfangreichen Dopingaffäre Moskaus Interessen schon öfters entgegen. So entschied das IOC, dass zugelassene Leichtathleten unter russischer Flagge starten, nicht, wie von der IAAF vorgeschlagen, unter neutraler Fahne. Auch eine Startzusage für Stepanowa vermeidet das IOC. Das verschafft Russlands Verantwortlichen Rückenwind.

Die würden sich vorm Cas am liebsten mit der Frage befassen, ob ein kollektiver Ausschluss gerecht ist. Jedoch bestätigte das Sportgericht erst kürzlich ein ähnliches Urteil, als der Weltverband der Gewichtheber die Athleten Bulgariens kollektiv sanktionierte. Der Cas, der ohnehin mit dem Ruch der sportpolitischen Abhängigkeit ringt, könnte da kaum eine andere Entscheidung treffen als zu Jahresbeginn.

Es empfiehlt sich eine andere Prozess-Strategie. Und so wenden sich die Russen nicht gegen den Kollektiv-Bann, wie Alexandra Brilliantowa, Leiterin der juristischen Abteilung des Russischen Olympischen Komitees (ROK), dem Sport-Express mitteilte. Vielmehr wollen sie die Kriterien der IAAF für die individuelle Prüfung angreifen, die nun gleich 67 russische Athleten beantragen möchten. "In ihrer jetzigen Form fordern sie von unseren Athleten faktisch, das Land zu verlassen. Das verstößt gegen alle juristischen Prinzipien und Menschenrechte", sagt Brilliantowa. Sie betont, es solle auch nur eine Klage durch das ROK geben, nicht vom nationalen Leichtathletik-Verband und auch nicht von einzelnen Athleten. Das ist clever und passt ins Bild: IOC-Boss Bach kam ja gerade erst auf den argumentativen Dreh, dass es sich bei dem (ausgerechnet von Putins Vertrautem Alexander Schukow gelenkten) ROK um einen um Aufklärung und Sauberkeit bemühten Akteur in dieser Staatsaffäre handele.

Die Stichhaltigkeit von Brilliantowas Argumentation sei dahingestellt. Den Russen gelingt es damit jedenfalls, die Parallele zum bulgarischen Fall zu vermeiden. Das ist das Entscheidende: Der Zugang ist ein anderer und der Cas freier in der Urteilsfindung. Wie objektiv der oberste Sportgerichtshof urteilt, ist ohnehin eine viel diskutierte Frage. Zwei deutsche Gerichte - das Münchner Land- und Oberlandesgericht - erklärten in der Doping-Causa Claudia Pechstein, dass dies nicht der Fall sei, bevor der Bundesgerichtshof den Cas mit teils erstaunlichen Argumenten für hinreichend neutral und unabhängig erklärte.

Der konkrete Fall könnte ein Härtetest für diese Auffassung werden. Hier offenbaren sich die Schwachstellen besonders. Brilliantowa hat nämlich in der olympischen Welt einen schönen Nebenjob: Die ROK-Juristin gehört selbst dem Icas an, dem wichtigsten Gremium der globalen Sportjustiz. In diese 20er-Runde entsenden vor allem das IOC und die Verbände Vertreter. Der Icas wählt den Cas-Präsidenten und die Kammer-Vorsitzenden (Ordinary und Appeal). Zu den Kernaufgaben des Appeal-Chefs zählt, den Leiter eines konkreten Schiedsgerichts zu berufen. Viele Jahre hatte Bach das Amt inne, nun ist es Corinne Schmidhauser (Schweiz).

Russlands Strategen haben noch ein zweites Eisen im Feuer. Falls das Lausanner Sportgericht die allgemeine Klage des ROK gegen die IAAF-Kriterien ablehnt, bleibt den Athleten immer noch der individuelle Zugang zum Sportrecht. Und zehn Tage vor Rio öffnen die sogenannte Ad-hoc-Schiedsgerichte. Da werden Urteile gern auch über Nacht gefällt - die meisten Athleten haben ja nur einmal im Leben die Chance, an den Spielen teilzunehmen.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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