Angelique Kerber verliert Halbfinale:Erloschenes Feuer in Wimbledon

Angelique Kerber scheitert im Halbfinale der All England Championships, weil ihre Gegnerin Agnieszka Radwanska nahezu fehlerfrei spielt. Die Deutsche beginnt zwar stark, verzweifelt jedoch zusehends an der stoischen Polin - wenigstens trifft Kerber in London noch ihr großes Idol.

Michael Neudecker, London

Mittwoch war ein besonderer Tag für Angelique Kerber, am Donnerstag spielte sie im Halbfinale von Wimbledon, aber Mittwoch war noch besser. Sie saß am Abend im Restaurant der Spieler, dann wurde sie über Lautsprecher gebeten, in die Kabine zu kommen, Kerber sprang sofort auf, "ich hab' meine Erdbeeren stehen lassen", sagt Kerber, "ich dachte, ich hätte etwas verloren". In der Umkleide sagten sie ihr, sie solle hier warten: Steffi Graf wolle sie treffen.

The Championships - Wimbledon 2012: Day Ten

Angelique Kerber nach ihrer Halbfinal-Niederlage gegen Agnieszka Radwanska: Gegen die nahezu fehlerfreie Polin hatte sie kaum eine Chance.

(Foto: Getty Images)

Steffi Graf ist die beste Tennisspielerin der Geschichte, Kerber hat schon ein paar Mal gesagt, wie gerne sie Steffi Graf treffen würde, die große Graf, Kerber wartete, und dann war Steffi Graf da: "Unglaublich", sagt Kerber. Die beiden sprachen zehn Minuten miteinander, "es war, als ob wir uns schon zehn Jahre kennen würden", und danach, als sie zurückging zu ihren Erdbeeren, sagt Kerber, "da hatte ich echt Gänsehaut".

Geh da raus und genieße es, das hatte Steffi Graf noch zu Angelique Kerber gesagt, und als das Halbfinale am Donnerstag begann, da ging Kerber raus, auf den Centre Court, und verlor 3:6, 4:6, sie war nahezu chancenlos. Natürlich, sagt Kerber, "ist das frustrierend", sie versuchte ja wirklich, Steffi Grafs Rat umzusetzen. Aber Agnieszka Radwanska, ihre Gegnerin, ließ das einfach nicht zu.

"Come on, Kerber", das war immer wieder zu hören auf dem Centre Court von Wimbledon, Kerber war die Außenseiterin, und das Publikum mag Außenseiter, vor allem dann, wenn sie so spielen wie Kerber. Angelique Kerber aus Kiel hat sich in Wimbledon einige Aufmerksamkeit verschafft in den vergangenen elf Tagen, sie hat bis zum Viertelfinale keinen Satz abgegeben, auch gegen die frühere Weltranglisten-Erste Kim Clijsters nicht, dann hat sie Sabine Lisicki auf dem Centre Court in einem mitreißenden Match in drei Sätzen besiegt; sie spielt kraftvoll, aggressiv, manchmal sieht das spektakulär aus.

Eine ihrer Stärken ist es, viele Bälle ins Feld zurückzubringen, so sehr sie dafür auch laufen muss. Lisicki hat das am Ende ein bisschen mürbe werden lassen, aber Radwanska? Das Spiel von Agnieszka Radwanska aus Polen ist unspektakulär, aber effektiv; sie spielt nahezu fehlerfrei, und sie bringt nicht viele Bälle zurück, sondern jeden. In diesem gesamten Halbfinalmatch unterliefen Radwanska gerade mal sechs Fehlschläge, im zweiten Satz war es einer. Radwanska spielt immer so, immer gleich, auf diese Weise ist sie, 23 Jahre alt, die Nummer drei der Welt geworden. Nach Wimbledon wird sie die Nummer zwei sein, und wenn sie das Finale gegen Serena Williams gewinnt, sogar die neue Nummer eins.

Radwanska, die stoische Ballmaschine

In ihren bisherigen Matches hatte Angelique Kerber immer so ein Feuer, sie brannte innerlich, auch deshalb gewann sie ja gegen Lisicki: Weil sie nahezu jeden Ball zurückschlug, und weil sie, ab einem bestimmten Moment zumindest, unerschütterlich an sich glaubte. Agnieszka Radwanska aber zerstörte dieses Feuer, sie schoss es aus, mit Returns aus jeder Lage, mit stoischen Schlägen nach rechts, nach links, immer lang, selten kurz, die Bälle flogen über das Netz zu Kerber, als stünde da nicht Radwanska, sondern eine Ballmaschine.

Aber es war nicht so, dass Kerber von Beginn an chancenlos gewesen wäre, die Chancenlosigkeit war vielmehr etwas Schleichendes, das langsam über die Netzkante kroch. Schon im dritten Spiel gelang Kerber ein Break, sie führte 2:1, dann 3:1, es sah gut aus für sie. Aber Radwanska blieb stoisch, glich zum 3:3 aus. Kerber hatte dann noch mal eine Chance, einen Breakball, der ihr das 4:3 gebracht hätte und wohl die Entscheidung in diesem Satz, aber Radwanska wehrte ab und gewann ihrerseits das Spiel, es stand nun 4:3 für Radwanska. Nach 29 Minuten war der erste Satz vorbei.

Im Sport können kurze Augenblicke ein ganzes Spiel entscheiden, ein ganzes Match, Turning Point, so nennt man diese Augenblicke, ein Wendepunkt. Gegen Sabine Lisicki hatte Kerber ihren Turning Point im dritten Satz, und auch gegen Radwanska gab es so einen Moment, der alles gehabt hätte, was ein Wendepunkt braucht. Es war ein langer, spektakulärer Ballwechsel im dritten Satz, Kerber gewann den Ballwechsel, die Zuschauer jubelten, Kerber riss die Arme hoch, es war ihr Moment, und dann hatte sie einen Breakball: Die Chance zum 3:3, sie wäre in diesem Match geblieben. Gleich danach schlug Kerber den Ball mit der Rückhand ins Aus, einfach so, nicht in Bedrängnis, die Chance war dahin. Da war klar, dass dieses Halbfinale bald vorbei sein würde.

Und jetzt? Kerber war enttäuscht, sehr sogar, aber sie ist Profisportlerin, und Profisportler haben gelernt, nach vorne zu schauen. Als das Match keine Stunde alt war, sprach Kerber schon von ihrem bevorstehenden einwöchigen Urlaub und von Olympia, "meine Karriere ist ja hiermit nicht vorbei, ich hab' noch ein paar gute Jahre vor mir", so sieht sie das, nicht nur sie.

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