Angelique Kerber in Stuttgart:Zu Fuß über den Neckar

WTA-Turnier Stuttgart

Bislang überragend in Stuttgart: Angelique Kerber.

(Foto: dpa)

Nun schlägt sie sogar Maria Scharapowa: Angelique Kerber präsentiert sich in Stuttgart wie verwandelt, ihre Formkrise scheint endgültig überwunden. Die gestiegene Erwartungshaltung lächelt sie einfach weg.

Von Matthias Schmid

Angelique Kerber ist in diesen Tagen wirklich alles zuzutrauen. Die Tennisspielerin ist entspannt wie lange nicht. Sie würde vermutlich auch mit verbundenen Augen den Ball so präzise treffen, dass ihre Gegnerin auf der gegenüberliegenden Seite nur noch hinterherschauen könnte, manche aus ihrem Umfeld behaupten ja, dass sie sogar zu Fuß über den Neckar gehen könnte.

Man müsste sie halt nur fragen. Gefragt hat sie aber niemand, also spielt sie weiter Tennis. Und das richtig gut. Erst das 2:6, 7:5, 6:1 gegen die Weltranglisten-Zweite Maria Scharapowa, am Freitagabend dann das lockere 6:3, 6:2 gegen die Russin Ekatarina Makararowa. Damit steht Kerber im Halbfinale.

Der Sieg gegen Scharapowa war ihr achter Sieg in Serie. Es war eine mitreißende Partie, die beiden Frauen zeigten. Die Zuschauer tobten, es waren intensive Ballwechsel dabei, mit aberwitzigen Wendungen. Vor allem ein Ball war hinterher im Internet in unzähligen Wiederholungen zu sehen. Kerber hatte beim Stand von 5:5 im zweiten Satz einen Breakball, Scharapowa scheuchte sie von einer Ecke in die andere, vor und zurück, die Russin spielte schließlich einen Topspinvolley mit so viel Wucht, dass Kerber den Punktverlust nur noch mit einem langsamen Rückhandschlag verhindern konnte.

Es war ein Notschlag, mit wenig Tempo, die Russin rückte weiter ans Netz auf und spielt den nächsten Ball so platziert, dass jeder damit rechnete, dass die Kielerin diesen Ball jetzt nicht mehr erlaufen würde, doch sie kam noch ran und passierte Scharapowa aus dem vollen Lauf heraus mit der Vorhand, Break, 6:5-Führung. "Ich habe immer an mich geglaubt, habe auch nach dem verlorenen ersten Satz um jeden Punkt gekämpft", sagte Kerber: "Das war der Grund, warum ich das Match noch drehen konnte."

Die Deutsche verlor anschließend nur noch ein Spiel und verwandelte nach fast zweieinhalb Stunden Spielzeit den ersten Matchball, nachdem Scharapowa eine Vorhand aus dem Halbfeld ins Aus gespielt hatte. "Das ist einer der Siege, für die du das ganze Jahr trainierst", sagte sie.

Die Verkrampfung löst sich in Charleston

Kerber hat nach dieser eindrucksvollen Darbietung eine letzte Bestätigung dafür erbracht, dass sie ihre Formkrise und der Absturz aus den Top Ten tatsächlich überwunden hat, die ihr in den vergangenen Wochen zu schaffen gemacht und unter anderem dazu geführt hatte, dass sie bei den Australian Open ihr erstes Match auch gleich wieder ihr letztes war. "Es war eine schwierige Zeit", sagt Kerber im Rückblick. Sie begann an sich zu zweifeln. Wie schlimm ihre innere Zerrissenheit war, offenbarte sich auch dadurch, dass sie sich von ihrem Trainer Benjamin Ebrahimzadeh trennte und zu ihrem alten Coach Torben Beltz zurückkehrt ist.

Doch die alte Bindung scheint genau das richtige für die angespannte Psyche gewesen zu sein. Sie hatte das Tennisspielen ja nicht verlernt, doch jedes weitere Match, das sie verlor, vergrößerte ihre Verunsicherung und verkrampfte sie auf dem Platz umso mehr. Wie so oft war es ein kleiner Sieg, der große Wirkung entfalten sollte. In Charleston gewann sie gegen die Russin Jewgenia Rodina nach verlorenem ersten Satz ihre Erstrundenpartie. "Das war ein Befreiungsschlag für mich", sagt Kerber heute. Sie gewann danach jedes Match, darunter das Halbfinale gegen Andrea Petkovic und holte sich im Endspiel schließlich gegen Madison Keys den vierten Turniersieg ihrer Karriere.

"Durch diesen Erfolg bekam ich meine Leidenschaft, mein Spiel und mein Selbstvertrauen zurück", sagt Kerber. Sie spielt inzwischen wieder so gut, dass sie Petkovic gleich zur Favoritin in Stuttgart erhoben hat. Kerber lächelt die gestiegene Erwartungshaltung einfach weg. "Man weiß ja, dass Andrea machmal einen Spruch raushaut", entgegnete sie nur. Doch nach dem Sieg über Scharapowa glaubt sie auch langsam daran, dass sie das mit 731 000 US-Dollar besetzt Sandplatzturnier gewinnen kann. Und es scheint ihr in der Tat alles zuzufliegen in diesen Tagen. Bei einem Autorennen in der Tiefgarage der Halle samt Einparken und Geschicklichkeitsparcours, siegte am Ende: Angelique Kerber.

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